Wir treffen Philine Maidt, Nicolas Morgenroth und Francesca Menges in einer Altbauwohnung im Leipziger Westen. Die ist so alt, dass hier noch mit Kohle geheizt wird. Im sonnendurchfluteten Wohnzimmer trinken wir einen Tee und sprechen über CRASH, eine »Feministische Theaterperformance über Long Covid, ME/CFS... und das Gesundheitssystem«. Die ehemalige Zirkus- und Theaterpädagogin Philine Maidt ist selbst von Post Covid und ME/CFS betroffen und hat das Stück initiiert, ihr Partner Nicolas Morgenroth hat es zusammen mit dem Team geschrieben. Francesca Menges bringt es gemeinsam mit Aziza Bouizedkane und der Musikerin Lise Sutter auf die Bühne. Ein Gespräch über die Herausforderungen, als Post-Covid-Erkrankte Kultur zu schaffen, das künstlerische Nachvollziehen einer Krankheit, von der man nicht betroffen ist und darüber, was das mit Waschmaschinen zu tun hat.
Wie sind Sie darauf gekommen, ein Stück über Post Covid zu machen?
PHILINE MAIDT: Eva Hammann, die andere Initiatorin, und ich haben uns über die Erkrankung kennengelernt und waren viel im Austausch, um Überlebensstrategien zu entwickeln. Und dann kam irgendwann die Idee, dass wir Lust haben, einen künstlerischen Ausdruck zu finden und das Thema mehr in die Öffentlichkeit zu bringen. Letztendlich war das auch eine Verarbeitung für uns, um dem Ganzen ein Ventil zu geben und um diesen Frust auszuhalten, dass diese Menschen alle zu Hause liegen und wir uns gegenseitig nicht hören können und sie auch nicht gehört werden. Deshalb haben wir Interviews mit Betroffenen geführt, die in das Stück mit eingeflossen sind, so dass es schlussendlich nicht die Geschichte von Eva oder mir ist, sondern die Geschichte von uns allen Betroffenen.
Warum ist es herausfordernd, mit Post Covid kreativ zu arbeiten?
MAIDT: Die Frage habe ich mir am Anfang oft gestellt: Wie sind künstlerische, kreative Prozesse in dem Tempo möglich, das die Krankheit vorgibt? Aber wir sind da extrem an unsere Grenzen gekommen und ich habe festgestellt, dass ich nicht in diesen Flow komme, wie ich es eigentlich aus der Theaterarbeit kenne und liebe, wenn ich alle 20 Minuten eine Pause machen muss. Eva und ich haben dann ganz viel Organisation im Hintergrund gemacht und die künstlerische Arbeit, das Schreiben und Inszenieren, das haben dann andere Leute übernommen. Ich war nur selten auf den Proben und habe dann immer mal meinen Senf dazugegeben. Wir waren wie so eine Redaktion im Hintergrund, die immer wieder Sachen angemerkt hat.
Können Sie sich noch an eine Stelle erinnern, an die Sie gesagt haben, das muss anders sein?
MAIDT: Ich war vor allem so streng mit so Sound-Sachen. Ich habe dann immer gesagt: »Sound runter, runter, runter, runter, es ist zu viel, es ist zu überladen.«
Um das Stück für Betroffene zugänglicher zu machen?
MAIDT: Ja, aber auch, um diese Stille reinzubringen. Wir waren am Anfang oft am Schwanken, für wen wir dieses Stück eigentlich machen und haben uns dann entschieden, dass es eben nicht explizit für Betroffene ist. Wir freuen uns über diejenigen, die es schaffen, aber es ist ein Stück zur Aufklärung und da ist dann teilweise auch ein lauter Sound wichtig, um zu zeigen, wie überfordernd das sein kann.
NICOLAS MORGENROTH: Trotzdem gibt es in dem Stück immer noch diese langen Pausen zwischendurch, wo nichts passiert und die Schauspielerinnen einfach in verschiedenen Positionen auf der Bühne rumliegen. Diese Szenen haben es auch weiterhin reingeschafft.
Nicolas Morgenroth, wie schreibt man denn ein Stück über eine Krankheit, von der man selbst nicht betroffen ist?
MORGENROTH: Erstmal ganz viel zuhören. Ich hatte das Glück, dass ich das schon eine Weile gemacht hatte, also einmal bei Philine, aber auch für andere Interviews, die ich im Rahmen meiner journalistischen Tätigkeit geführt hatte. Ich habe gemerkt, dass die Krankheit davon geprägt ist, dass es Leuten sehr unterschiedlich gehen kann, aber auch dass bestimmte Bilder immer wieder auftauchen. Klassisch ist zum Beispiel dieser Nebel im Kopf, aber auch, sich ausgelaugt zu fühlen, das Gefühl, dass die Batterie leer ist.
MAIDT: Ein immer bleibendes Bild ist auch die Waschmaschine. Dass mein Körper seit Jahren einfach immer am Schleudern ist und der Aus-Knopf fehlt.
MORGENROTH: Mir war es wichtig, Bilder zu nehmen, die nicht meine sind, sondern wirklich von den Betroffenen kommen. Und dann einfach ausprobieren und immer, wenn es bisschen lyrischer werden musste, Feedback von Eva oder Philine zu bekommen, ob das gerade in die richtige Richtung geht.
Francesca Menges, wie hat sich dieser Austausch auf Ihre Arbeit als Schauspielerin ausgewirkt?
FRANCESCA MENGES: Ich würde schon sagen, dass es erstmal auch eine große Herausforderung war, so zu arbeiten. Ich bin es vom Theater gewohnt, dass es bestimmte Abläufe gibt und jetzt ging es plötzlich darum, sich auf ein ganz anderes Tempo einzulassen und die Stimmen von Eva und Philine zu hören und mit einfließen zu lassen. Ich glaube, ich war da manchmal auch überfordernd, weil ich mit meinem gewohnten Arbeitsdruck von »Aber das muss doch jetzt noch gehen!« viel zu viel verlangt habe. Ich musste dann erstmal checken, dass es eigentlich gerade darum geht, sensibel zu bleiben, nicht zu viel zu fordern und einfach zu schauen, was kann man aus der Kraft, die von der Gruppe aus da ist, auf die Beine stellen und das ist dann das, was richtig ist.
Im Titel heißt es, dass CRASH eine feministische Theaterperformance ist. Inwiefern feministisch?
MENGES: Im Stück gibt es immer wieder geschichtliche Abrisse zu postviralen Erkrankungen, die schon sehr lange bekannt sind. Und man sieht da eben, dass diese Erkrankungen immer wieder als Frauenkrankheiten abgetan wurden. Also es wurde immer wieder gesagt: »Die Frau ist nur hysterisch, die tut nur so.« Deswegen wurde dazu auch nur wenig geforscht.
MORGENROTH: Wir wollten zeigen, dass es eine Geschichte hat, dass Post Covid am Anfang nur so zögerlich beachtet wurde und es auch heute, vor allem von männlichen Ärzten, nicht so richtig ernst genommen wird. Und dem wollen wir dem Stück auf den Grund gehen. Was ist da genau schiefgelaufen? Was sind da diese Erzählungen, die sich durchziehen von Hippokrates bis heute, die immer noch wirkmächtig sind und mit dazu beitragen, dass diese Erkrankung nicht so ernst genommen wird, wie sie eigentlich ernst genommen werden müsste?
Worauf müssen sich die Zuschauenden bei CRASH einstellen?
MORGENROTH: Ziemlich tief einzusteigen in eine Krankheit, die Menschen aus dem Leben reißt und sich auf diese Gefühle einzulassen, die das mit sich bringt. Und gleichzeitig auf einen ganz schön wilden Ritt durch die Geschichte der männlichen Medizin.
MENGES: Man kann sich auch auf Humor auch einstellen. Man kann sich darauf einstellen zu lachen, aber auch zu weinen, und tief betroffen aus dem Stück rauszugehen.
MAIDT: Was mir vor allem noch wichtig ist zu sagen: Es darf gelacht werden!
> »CRASH - Feministische Theaterperformance über Long Covid, ME/CFS...und das Gesundheitssystem« startet mit seiner Wiederaufnahme am 11. April um 20 Uhr im Neuen Schauspiel. Weitere Termine sind der 12. April, 29. Mai und 31. Mai. Bei der Vorstellung am 31. Mai werden alle Zuschauenden gebeten, eine Maske zu tragen, um das Stück für Post-Covid-Betroffene zugänglicher zu machen. Das Stück startet deshalb bei diesem Termin auch schon um 19 Uhr.
Dauer: ca. 90 Minuten
Altersfreigabe: 12 Jahre
HINWEIS: Das Stück soll über die Situation von ME/CFS- und Post-Covid-Betroffenen aufklären und richtet sich daher in erster Linie an Nicht-Betroffene. Sounds und Musik sind Teil des Stücks. Für Menschen mit Reizempfindlichkeit ist es ggf. nicht geeignet.
Zu den Tickets: https://neuesschauspielleipzig.de/spielplan/crash/date:1744394400
Zur Website des Stücks: https://crash-performance.weebly.com
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