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»Wir können das besser«

Biomare-Chef Malte Reupert über den anhaltenden Bio-Boom, die Konkurrenz der Discounter und grüne Punkte auf dem Preisetikett

  »Wir können das besser« | Biomare-Chef Malte Reupert über den anhaltenden Bio-Boom, die Konkurrenz der Discounter und grüne Punkte auf dem Preisetikett

Anfang Oktober 2006 eröffnete mit dem Biomare nahe dem Connewitzer Kreuz der erste Bio-Supermarkt Ostdeutschlands seine Pforten. Betreiber Malte Reupert hatte zuvor jahrelang einen Naturkostladen in der Bornaischen Straße geführt. Der neue Laden wurde komplett durch Kundenkredite finanziert.

Anfang Oktober 2006 eröffnete mit dem Biomare nahe dem Connewitzer Kreuz der erste Bio-Supermarkt Ostdeutschlands seine Pforten. Betreiber Malte Reupert hatte zuvor jahrelang einen Naturkostladen in der Bornaischen Straße geführt. Der neue Laden wurde komplett durch Kundenkredite finanziert.

Leipzig TAG & NACHT: Wie laufen die Geschäfte? Malte Reupert: Die Entwicklung ist sehr gut. Es ist aber nicht so, dass wir vor einem Kundenansturm stünden, den wir nicht bewältigen könnten. Leipzig TAG & NACHT: Es läuft also alles nach Plan? Reupert: Kann man so sagen. Dafür, dass wir bisher so gut wie keine Werbung gemacht haben, ist das ein ganz akzeptables Ergebnis. Leipzig TAG & NACHT: Ist das Biomare denn ein Selbstläufer? Reupert: Das kommt auf die Perspektive an. Wenn man bestimmte Läden in Süddeutschland als Vergleichsmarke setzt, dann haben wir natürlich noch ne ganze Menge Luft, uns zu entwickeln. Auf der anderen Seite sind wir hier in Leipzig mit großem Abstand diejenigen mit den meisten Angestellten und dem größten Umsatz. Leipzig TAG & NACHT: In Zahlen? Reupert: In diesem Jahr werden wir bei rund 1,5 Millionen Euro Umsatz landen. Leipzig TAG & NACHT: Wie ist Ihnen und Ihren Mitarbeitern der Sprung vom Naturkostladen zum Bio-Supermarkt bekommen? Reupert: Für die meisten von uns war es ein Sprung ins kalte Wasser, denn wir sind fast alle Quereinsteiger. In den ersten Wochen herrschte Chaos. Aber nach anderthalb Monaten hatte sich das eingeschliffen. Wir sind natürlich noch lange nicht fertig. Es gibt noch viele Baustellen, virtuelle und sichtbare. Aber der große Sprung ist geschafft. Leipzig TAG & NACHT: Sie sind nicht nur Geschäftsinhaber, sondern selbst auch Bio-Bauer und betreiben einen Hof in Calbitz bei Oschatz. Wie hat das bei Ihnen angefangen? Reupert: Da war auch Zufall im Spiel. Ich bin in einem Pfarrhaus groß geworden und habe schon als 14-, 15-Jähriger Tomaten angebaut und Äpfelbäume gepflanzt. Das empfand ich als sehr wohltuend – dieses Gefühl, hier gehöre ich hin, die Erde unter den Füßen zu spüren, mit meinen Händen selber etwas zu tun. Diese Verwurzelung ist nach wie vor ein wichtiges Motiv für mich. Eigentlich sollte der ökologische Landbau aber nur ein Lückenfüller sein, bis mein Chemiestudium beginnen würde. Dann kam die Wende, und ich bin da hängengeblieben. Leipzig TAG & NACHT: Bei der Erweiterung zum Biomare ging es Ihnen nicht nur um Wachstum, sondern auch um »Entschleunigung«. Ein schöner Gedanke – aber funktioniert er in der Praxis? Reupert: Das ist sehr ambivalent. Je mehr Menschen und je mehr Geld daran hängen, desto größer ist die Verantwortung, die man hat. Da muss man auch schauen, dass die Betriebswirtschaft stimmt, und das ist eher selten entschleunigend. Es gibt auch nicht die Möglichkeit, die Preise so weit nach oben zu schrauben, dass wir Tariflöhne zahlen können. Eine ruhige Kugel schieben wir hier nicht. Aber es muss auch genug Zeit sein, damit wir uns als Team finden können und ein gutes Klima untereinander entsteht. Dafür ist – zum Glück – auch Geld da. Ich bekomme viele Rückmeldungen von meinen Mitarbeitern, dass sie gerne hier arbeiten. Darauf bin ich stolz.

Leipzig TAG & NACHT: Die »Entschleunigung« zielt also eher auf das Einkaufserlebnis der Kunden ... Reupert: ... richtig. Der große Laden bietet einfach Raum, in Ruhe zu gucken. Es kommen tatsächlich öfter Leute, die hier eine halbe oder dreiviertel Stunde zubringen. Das Ambiente lässt das zu.

Leipzig TAG & NACHT: Was sind das für Menschen, die bei Biomare einkaufen? Reupert: Zum Teil ist es das klassische Bio-Publikum: Familien mit Kindern, Leute, die nicht mehr ganz jung sind, aber auch noch nicht im Seniorenalter – obwohl auch immer mehr Menschen jenseits der 50 oder 60 regelmäßig zu uns finden. Es sind alle Einkommensschichten vertreten – vom Hartz-IV-Empfänger bis zu sehr gut verdienenden Leuten, die ohne mit der Wimper zu zucken für 50 Euro an der Käsetheke einkaufen. Leipzig TAG & NACHT: Bio ist heute keine Ideologie mehr, sondern längst zu einer Art Lebensstil geworden. Beobachten Sie das auch? Reupert: Die Motive sind ganz unterschiedlich. Es gibt natürlich die traditionell umweltbewussten Menschen. Aber bei den meisten überwiegt das Lebensgefühl, sich etwas Gutes, Gesundes zu essen zu kaufen, sich das bewusst zu leisten und den Einkauf nicht nur mit einer Pflichtübung abzuhaken. Das macht die Arbeit für uns schön und leicht – anders als im Discounter, wo die Stimmung oft weder zwischen Personal und Kunden noch untereinander besonders angenehm ist. Leipzig TAG & NACHT: Sind Bio-Käufer mehrheitlich Genießer, oder wollen Sie doch eher die Welt retten? Reupert: Das hat sich schon Anfang der neunziger Jahre gewendet. Die vordergründig ökologischen Weltretter können natürlich genauso Genießer sein. Aber der Sinnaspekt, die bewusste Entscheidung für ein auch ethisch vernünftiges Produkt stehen bei vielen unserer Kunden auf der Tagesordnung. Und es macht ja auch Spaß, etwas Gutes zu tun. Leipzig TAG & NACHT: Die Aufrüstung der Discounter mit Bio-Lebensmitteln wird zurzeit viel diskutiert. Ihnen macht diese Entwicklung erklärtermaßen keine Angst. Woher nehmen Sie Ihre Gelassenheit? Reupert: Das hat viel mit dieser Lust am Leben und Genießen zu tun. Wir können das eben besser vermitteln als die relativ ungeliebte Rewe-Kaufhalle. Leipzig TAG & NACHT: Verlieren Sie nicht dennoch viele Kunden an die Billig-Konkurrenz, denn Zeit und Geld halten sicher auch manchen potenziellen Biomare-Kunden davon ab, zu Ihnen nach Connewitz zu kommen, wenn der Supermarkt um die Ecke auch Bio-Produkte führt? Reupert: Das ist ganz klar. 99 Prozent unserer Kunden kaufen zum Teil konventionell ein. Das ist aber gar nicht schlimm. Wir arbeiten daran und sind auf der Suche nach einem zweiten Standort. Leipzig TAG & NACHT: In der Innenstadt? Reupert: Die wäre natürlich sehr reizvoll. Noch hat sich aber nichts Konkretes herauskristallisiert. Leipzig TAG & NACHT: Was spricht aus Ihrer Sicht noch für Bioläden und gegen Bio-Waren im Supermarkt? Reupert: Nicht ohne Grund waren bei Ökotest die Bio-Tomaten einer Supermarktkette die am stärksten belasteten von allen. Das ist symptomatisch für den konventionellen Handel. Die Fachkompetenz ist nicht da, das Verständnis für die Prozesse vom Feld bis zum Laden fehlt. Leipzig TAG & NACHT: Welche Kompetenz können Sie denn bieten? Sie haben ja vorhin selbst betont, dass die Mehrzahl Ihrer Mitarbeiter Quereinsteiger sind. Reupert: Ich tue eine ganze Menge dafür, dass meine Leute gut Bescheid wissen. Wir geben sehr viel Geld für Bildung und Seminare aus, in der Bio-Branche sind wir da weit vorn. Es kommen halt viele spezielle Fragen, die wir aber fast immer beantworten können – auch, wenn ich mal nicht da bin. Leipzig TAG & NACHT: Droht Ihnen eigentlich demnächst Konkurrenz von auswärtigen Bio-Supermarktketten? Reupert: 2008 soll wohl was passieren. Es ist nur noch die Frage, ob in Leipzig oder Dresden. Leipzig TAG & NACHT: Bio beschränkt sich heute nicht mehr auf Lebensmittel. Dennoch dominieren sie weiter das Sortiment, oder? Reupert: Ja, auf jeden Fall. Aber das erweitert sich peu a peu um sinnvolle Ergänzungen, ob das nun ein Olivenlöffel ist oder ein Gemüseschäler, bis hin zum umfangreichen Drogerieangebot. Im Moment experimentieren wir mit Textilien. Leipzig TAG & NACHT: Welche Trends gibt es sonst noch im Bio-Bereich? Reupert: Sie gehen, wie überall in der Gesellschaft, auseinander. Preiswertes wird wichtiger, das Mittelfeld unwichtiger, und interessant sind Produkte mit einer hohen, speziellen Qualität, verbunden mit gutem Service. Fünf verschiedene Pecorino-Sorten an der Käsetheke, zum Beispiel. Oder sieben Apfel- und drei verschiedene Mango-Sorten. Beim Wein geht es weiter, bis hin zu sehr speziellen Kosmetiklinien. Leipzig TAG & NACHT: Wie entwickeln sich die Preise? Reupert: Auch das spreizt sich. Auf der einen Seite gibt es die preiswerten Standardqualitäten, die deutlich unter dem allgemeinen Inflationsniveau bleiben. Das hängt damit zusammen, dass die Mengen größer werden und die »Erfahrungskurve« – wie die Ökonomen zu sagen pflegen – langsam wirkt. Auf der anderen Seite gehen hochpreisige Artikel mit handwerklich guter Qualität nach oben. Dann gibt es noch den Weltmarkttrend: Die Getreidepreise sind letztes Jahr sehr stark gestiegen; das merken wir natürlich auch. Momentan passiert das Gleiche mit der Milch. Leipzig TAG & NACHT: Zu wie viel Prozent beziehen Sie eigentlich Waren aus regionaler Produktion? Reupert: Da kann ich leider keine seriöse Zahl nennen. Aus dem Bauch heraus würde ich so 10 bis 20 Prozent schätzen. Leipzig TAG & NACHT: Mit den weiten Wegen, die andere Produkte zurücklegen, haben Sie wohl kein Problem? Reupert: Man kann natürlich fragen, ob man Äpfel aus Neuseeland oder Argentinien haben muss. Aber wir schreiben immer dran, wo die Sachen herkommen, und ich bin nicht der Vormund meiner Kunden. Jeder kann selber entscheiden, was er will und was nicht. Regionale Artikel zeichnen wir explizit mit einem grünen Punkt auf dem Preisetikett aus. Leipzig TAG & NACHT: Was verstehen Sie unter regional? Reupert: Wir haben da ein klar definiertes Kriterium, nämlich 200 Kilometer im Umkreis. Da fällt dann die Insel Rügen raus, aber Nordbayern zählt dazu. Es geht aber auch um die gesamte logistische Effizienz. Es ist halt sinnvoller, wenn ein voller LKW aus Göttingen, wo unser Hauptlieferant sitzt, zu uns kommt, als wenn 20, 30 kleine Lieferanten jeweils 50 bis 200 Kilometer fahren. Leipzig TAG & NACHT: Wie erfolgt die Kontrolle der Waren? Reupert: Das ist ein sensibles Thema. Der Handel ist im Wesentlichen nicht kontrollpflichtig. Wir haben uns seit 2002 freiwillig der Ökokontrolle unterzogen. Das ist einfach eine Glaubwürdigkeitsfrage.


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