Sohn Karsten muss Papa Wolfgang unfreiwillig bei seiner Tour als Damenoberbekleidungs-Vertreter helfen. Derweil geht beruflich wie privat bei Wolfgang Zencker so ziemlich alles den Bach runter, was man sich vorstellen kann. „Gar nicht so peinlich, wie man befürchten möchte“, heißt es in unserer Pro-Meinung zu Ingo Raspers Komödie „Reine Geschmacksache“. „Auf peinlichste Weise bieder“, heißt es in unserem Contra. Alles reine Geschmacksache? Zwei Meinungen, ein Film.
Sohn Karsten muss Papa Wolfgang unfreiwillig bei seiner Tour als Damenoberbekleidungs-Vertreter helfen. Derweil geht beruflich wie privat bei Wolfgang Zencker so ziemlich alles den Bach runter, was man sich vorstellen kann. „Gar nicht so peinlich, wie man befürchten möchte“, heißt es in unserer Pro-Meinung zu Ingo Raspers Komödie „Reine Geschmacksache“. „Auf peinlichste Weise bieder“, heißt es in unserem Contra. Alles reine Geschmacksache? Zwei Meinungen, ein Film.
Pro:
Als Wolfgang Zenker zum wiederholten Male ohne Führerschein am Steuer erwischt wird, kann sich Sohn Karsten seine Sprachferien in Spanien ganz schnell abschminken. Denn Wolfi, Vertreter für Damenmode in der Provinz, verdonnert ihn zum Chauffeur − ohne Auto kann er seinen Job nun mal nicht machen. Karsten, alles andere als erfreut über diesen unfreiwilligen Ferienjob, fügt sich missgelaunt seinem Schicksal und kutschiert den selbstüberzeugten Möchtegern-Patriarchen nun zu den Boutiquen und Modehäusern der Region, um die Frühjahrskollektion von Goldberger Classic unters Volk zu bringen.
Die seit Jahren routiniert zelebrierte Verkaufstaktik wird plötzlich durchkreuzt von Steven Brookmöller, der als Vertreterkollege Wolfis Kunden abzuwerben droht. Wolfi, nach einem kurzen Schreck wieder ganz gewiefter Geschäftmann, geht zum Gegenangriff über, der − wie solte es anders sein − zum Scheitern verurteilt ist. Im Hause Zenker hängt der Haussegen zudem seit längerem schief, hat Mama Erika doch die selbstgefällige Eigenbrötlerei ihres Mannes satt und lässt sich von Freundin Brigitta zur Emanzipation anstacheln.
Was nach unerträglicher Schenkelklopfer-Albernheit made in Germany klingt − und die deutsche Komödie ist ja nun wirklich oftmals ein Widerspruch in sich –, ist gar nicht so peinlich, wie man befürchten möchte. Allen voran die prima aufgelegte Darstellerriege macht „Reine Geschmacksache“ zu einer richtig schönen Sommerkomödie. Edgar Selge als nicht ernstzunehmender Hausvorstand bringt durch die Parodierung seines Rollenklischees allein soviel Witz ins Spiel, dass der Film schon dadurch gewonnen hat. Und Regisseur Ingo Rasper beweist zudem ein Händchen für die allerwichtigsten Zutaten einer erfolgreichen Komödie: Erzähltempo und Timing sitzen perfekt.
Sicher, es ist nicht schwer, die Kleinbürgerlichkeit der deutschen Provinz (Kennzeichen: JWD) ins Zentrum des Gelächters zu stellen, aber fast unerklärlicherwiese rutscht die Tonart niemals ab in ein gehässiges Spotten, obwohl sämtliche Requisiten die besten Steilvorlagen der Welt böten. Doch von den Plastikflamingos am Gartenteich, den kackbraunen Badezimmerfliesen bis zum gestreiften Pullunder: All diese Dinge haben ihre Berechtigung. Rasper macht es sich eben nicht so leicht, von oben herab über die Armseligkeit der Povinz zu lästern, sondern ihm gelingt es, diese trotz aller Ironie sehr liebevolle Stimmung einer typischen skandinavischen Komödie ins Deutsche zu übersetzen. LINA DINKLA
Contra:
Zugegeben, Ingo Raspers „Reine Geschmacksache“ hat immer wieder unglaublich witzige Momente. Und Edgar Selge als Damenoberbekleidungsvertreter macht einfach süchtig! Aber Raspers unbedingter Wille zur fortwährenden Ironie trifft leider nicht immer den Kern, sondern all zu häufig auch ins Aus.
Der Filmemacher missachtet, dass Ironie eine völlig andere Qualität besitzt, wenn sie auf einen Spießer aus der Mittelschicht, einen Golfplatz-Adligen oder eine penetrante Wäschereifrau abzielt. Genau bei letzteren beiden verspielt der Film sein bösartiges Potenzial. Denn sich über stinkreich-brotdumme Yuppies oder über das allseits beliebte Daueropfer „Asi aus der Unterschicht“ lustig zu machen, ist keine Kunst. Wo die Ironie hingegen sehr wohl funktioniert, sind alle Figuren, die sich mit Protagonist Wolfgang Zencker auf einer Ebene befinden, so wie die Freundin der Ehefrau, Brigitta, oder die diversen Boutiquenbesitzerinnen.
Richtig ärgerlich ist „Reine Geschmackssache“ aber dann, wenn er trotz aller Ironie eben doch immer wieder bierernst daherkommt. Klar: Ironie braucht die Anbindung an eine glaubwürdige Realität, um sich von ihr abzuheben und überhaupt erst funktionieren zu können. Aber das Coming-out von Sohn Carsten, der mit Vaters ärgstem Konkurrenten Brookmöller etwas anfängt, hätte durchaus ebenfalls Ironie vertragen können. Coming-out-Geschichten sind wie jede andere Liebesgeschichte mittlerweile so sehr abgeranzt, dass man sie ohne jegliche Reflektion und ohne jeden neuen Einfall nicht einfach todernst in eine Dauerlacher-Komödie hineinpflanzen darf. Das wirkt auf peinlichste Weise bieder. Offenbar hat Regisseur Rasper ungeheure Berührungsängste mit dem Schwulensein seiner beiden Jünglinge. Oder aber Rasper zeigt, so er denn selbst schwul ist, unverzeihlich wenig Selbstironie. Der Trend zu Dating, Sex und Liebe als Fließbandvergnügen, das offenkundig auch Brookmöller Freude bereitet, darf ruhig auch kritisiert oder zumindest ironisch belächelt werden.
Der Film scheitert schließlich kläglich, wenn sich am Ende alle – Friede, Freude, Eierkuchen – versöhnlich in die Arme fallen. Dabei verspielt er all seine subversive Kraft, die er am Anfang noch verstrahlt hat. Warum nicht ein offenes Ende mit einem wenigstens etwas bitteren Nachgeschmack hinterlassen, was zum Beispiel die Nachhaltigkeit von „Muxmäuschenstill“ ausgemacht hat? „Reine Geschmackssache“ verpufft im selben Tempo, wie seine durchaus lustigen Witze fallen und verkommt schließlich zu einer schmerzlosen, leicht verdaulichen Fernsehklamotte. Am Ende bleibt allein das Gefühl, nett unterhalten worden zu sein. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.