Die Literaturgeschichte ist grausam. Mancher Schrift-steller wird erst nach seinem Ableben berühmt, andere, denen der Erfolg schon zu Lebzeiten beschieden war, versinken nach ihrem Tod in Vergessenheit. So auch der Leipziger Abenteuerschriftsteller Robert Kraft (1869-1916).
Die Literaturgeschichte ist grausam. Mancher Schriftsteller wird erst nach seinem Ableben berühmt, andere, denen der Erfolg schon zu Lebzeiten beschieden war, versinken nach ihrem Tod in Vergessenheit. So auch der Leipziger Abenteuerschriftsteller Robert Kraft (1869-1916). Obwohl er bis in die 1920er Jahre hinein zu den erfolgreichsten Kolportage-Schriftstellern Deutschlands gehörte, kennen und lesen ihn heute nur noch wenige.
Wer war Robert Kraft? Sein Vater betrieb in der Hainstraße eine Weinhandlung und die Wirtschaft »Der goldne Elephant«. Roberts Jugend verläuft wenig hoffnungsvoll. Nachdem er vom Gymnasium geflogen ist, sogar im Gefängnis gesessen hat, führt er ein unstetes Leben. Später behauptet er, in Australien, Amerika, Südafrika und Indien gewesen zu sein. Was davon wahr ist, lässt sich heute kaum noch ermitteln. Ähnlich wie sein berühmter Kollege Karl May hat Kraft zwischen Dichtung und Wahrheit nie so genau unterschieden.
1896 finden wir ihn in London. Kraft schreibt jetzt Kolportageromane für den berüchtigten Dresdner Münchmeyer-Verlag – »Schund- und Schmutzromane«, wie er selbst damals meinte. Seine Bücher verkaufen sich glänzend. Aber von da an steckt Kraft in der »Kolportagemühle«, er muss Literatur am Fließband produzieren, eine Fortsetzung nach der anderen. In den zwanzig Jahren seines Schaffens hat er an die 40.000 gedruckte Seiten geschrieben, ungefähr so viel wie Karl May – aber in der Hälfte der Zeit. Kraft stirbt mit 46 Jahren.
Wie hat er nur dieses barbarische Pensum bewältigt? Offenbar konnte sich Kraft in eine Art Schreibrausch versetzten. Nach eigenen Angaben hat sich in seinem Arbeitszimmer eine steinerne Sphinx mit roten Glasaugen befunden, die er mit versteckten Lämpchen erleuchtete und durch optische Tricks riesengroß erscheinen ließ: »Unbewußt legen sich meine Finger auf die Tasten der Schreibmaschine. Und so, immer starr in die rotfunkelnden Augen der Sphinx blickend, beginne ich zu schreiben, Stunde um Stunde. Was ich schreibe? Ich weiß es selbst nicht. […] Ich bin ein Trance-Schreiber.« Niemand weiß, wo die wundersame Sphinx geblieben ist. Und das ist vielleicht auch gut so.
Kraft hat Abenteuer- und Detektivgeschichten geschrieben — sein Detektiv Nobody ist ein direkter Vorfahre James Bonds —, aber auch Science-Fiction. In der Erzählung »Stahlroß« reitet der Held einen vierbeinigen Roboter aus Stahl, und in »Wenn ich König wäre!« beschreibt Kraft eine Art Plasmabildschirm – zu einer Zeit, als gerade die ersten Stummfilme auf den Jahrmärkten vorgeführt wurden! In der Endzeit-Geschichte »Die Totenstadt« liegt aufgrund einer Verlagerung der Erdachse Leipzig plötzlich am Äquator und wird von einem Dschungel zugewuchert und von riesigen Ratten bevölkert. Übrigens kamen einige dieser Werke bei einem Düsseldorfer Verlag namens W. Girardet heraus. Ein Abkömmling dieses ehrwürdigen Drucker- und Verlegergeschlechts amtet heute bekanntlich in Krafts Heimatstadt als Kulturdezernent.
Krafts Geschichten erschienen zunächst serienweise in Heften zu zehn Pfennig, es handelt sich also buchstäblich um Groschenliteratur. Und doch zählte, ginge es gerecht zu, manches davon zum klassischen Bestand der deutschen Abenteuerliteratur. Zum Beispiel die fünfbändige Romanserie »Wir Seezigeuner«. Der Karl-May-Verlag hat in den sechziger Jahren einmal den Versuch gewagt, die Romane wieder aufzulegen. Über den ersten Band, »Die Sturmbraut«, ist das Projekt kaum hinausgekommen. Ein Jammer, denn der macht Lust auf mehr! Der Roman ist vollgestopft mit Seeabenteuern, Verschwörungen, Erzbösewichtern, geheimen Inseln, ein echter »pageturner«.
Ganz in Vergessenheit geraten ist Kraft jedoch nie, immer hat es Liebhaber gegeben, die ihn für sich entdeckt und gelesen haben. Zu diesen »happy few« gehört Thomas Braatz, im richtigen Leben Datenschutzbeauftragter der Universität Leipzig. Von Krafts Werk hat er immerhin ungefähr die Hälfte gelesen. »Ich habe schließlich noch einen Beruf und eine Familie.« Aber Braatz sammelt nicht nur alte Ausgaben, zusammen mit dem Wiener Bibliomanen Walter Mayrhofer gibt er sie auch neu heraus. In der Edition Braatz & Mayrhofer sind bereits eine umfangreiche Bibliografie, eine Kraft-Biografie und einige Bände »Gesammelte Romane und Novellen« erschienen. Gerade wird Band 6: »Im Zeppelin um die Welt« zum Druck bereit gemacht. Freilich beträgt die Auflage immer nur wenige hundert. Braatz schätzt die Zahl der Kraft-Leser in Leipzig auf sechs oder sieben.
Es ist der übliche Teufelskreis: Mit Robert Kraft ist heute kein Geschäft zu machen, weil er unbekannt ist, und er ist unbekannt, weil sein Werk nicht vorliegt. Jedenfalls bleibt auf diese Weise dem deutschen Lesepublikum einer seiner fantasievollsten und unterhaltsamsten Schriftsteller vorenthalten, und das ist mehr als betrüblich. Das ist ein Skandal.
Was tun? Nun ja, Leipzig versteht sich doch als Literaturstadt, und wenn sich unser Kulturbürgermeister auf seine glorreiche Familiengeschichte besönne … Es muss ja nicht gleich die sechzigbändige Werkausgabe oder eine marmorne Ruhmeshalle sein, aber so eine kleine Ausstellung, vielleicht mit einem schicken Katalog.
Das wäre schon etwas.