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Kultur

»Wir halten die ganze Wahrheit nicht aus«

Regisseur Markus Dietz über Oscar Wildes gesellschaftskritische Komödie »Ein idealer Gatte«

  »Wir halten die ganze Wahrheit nicht aus« | Regisseur Markus Dietz über Oscar Wildes gesellschaftskritische Komödie »Ein idealer Gatte«

Markus Dietz ist häufiger Gast am Schauspiel Leipzig. Anfang Dezember, als dieses Interview entstand, steckte der Regisseur mitten in den Proben zu »Ein idealer Gatte« von Oscar Wilde. Seine Inszenierung der Komödie feierte am 29. Dezember Premiere.

Markus Dietz ist häufiger Gast am Schauspiel Leipzig. Anfang Dezember, als dieses Interview entstand, steckte der Regisseur mitten in den Proben zu »Ein idealer Gatte« von Oscar Wilde. Seine Inszenierung der Komödie feierte am 29. Dezember Premiere.

KREUZER: Ihre 13. Inszenierung am Schauspiel ... MARKUS DIETZ (lacht): Ist das so?

KREUZER: Ja. Und das erste Stück von Oscar Wilde? DIETZ: Ja, tatsächlich. Ich wollte unbedingt eine Komödie machen, und da kommt man an Wilde nicht vorbei. Er ist eine interessante Persönlichkeit und ich mag das Stück sehr, die Sprache. Und Text ist mir sowieso sehr wichtig.

KREUZER: Dann wird es bei »Ein idealer Gatte« keine Kürzungen geben? DIETZ: Doch, historisch bedingte Striche. An Stellen, die heute keine Relevanz mehr haben. Wir haben auch keine zwei Diener – in neoliberalen Zeiten reicht einer. Aber ich will keinen Trash, keinen gesellschaftlichen Opportunismus, der die Texte beschädigt, auf die Bühne bringen. Der Mensch ist in der Sprache verortet, oder, wie Canetti sagte: »Die Achtung vor einem Menschen beginnt damit, dass man sich nicht über seine Worte hinwegsetzt.« Wir zeigen, was Sprache kann. Und damit versuchen wir, den Geist der heutigen Zeit zu treffen. Wie Oscar Wilde es auch wollte.

KREUZER: Ein aktuelles gesellschaftliches Thema wäre der »Leipziger Sumpf«. Wird es in der Inszenierung dazu einen Bezug geben? DIETZ: Nein. Das langweilt doch den Zuschauer. Viel reizvoller ist es, wenn der Zuschauer nicht alles serviert bekommt. Wilde hat in bissiger Art die Gesellschaft kritisiert, eine Gesellschaft, in der er sich selbst bewegt hat. In »Ein idealer Gatte« gewinnt am Ende die Figur des Robert Chiltern – der aufstrebende Staatssekretär und vermeintlich ideale Gatte – und glaubt immer noch an die Macht des Geldes. Keine Wandlung zum Guten. Das ist authentisch, und daran hat sich seit Wilde nichts verändert. Bis heute gibt es keine gesellschaftliche Gerechtigkeit, wie man an den Ackermanns und Essers unserer Zeit sehen kann.

KREUZER: In welcher Zeit spielt Ihre Inszenierung? DIETZ: Wir werden kein historisches Abbild zeigen, sondern ein zeitloses. Unser Ausstatter Franz Lehr hat zum Beispiel eine herrlich große Treppe entworfen, die bis in den Zuschauerraum hineinragt, ein Symbol für das gesellschaftliche Auf und Ab – toll. Einzelnen Kostümvorschlägen gegenüber war ich erst skeptisch, bis ich Maria Furtwängler zufällig traf und an ihr genau den theatralen Fummel sah, den Franz Lehr entworfen hatte, der ist also auch passend zeitlos.

KREUZER: Wie ist denn momentan die Stimmung am Schauspiel – vor dem Intendantenwechsel? DIETZ: Jetzt, wo geklärt ist, wer wohin geht und wer bleibt, hat sie sich wieder beruhigt. Man sollte diese Spielzeit oft ins Theater gehen, solange diese wunderbaren Schauspieler noch alle da sind.

KREUZER: Welche Rolle in »Ein idealer Gatte« würden Sie gerne spielen? DIETZ: Ich würde gerne während einer Party auf der Treppe als der versnobte Graf von Caversham stehen und sagen: »Sind doch nur lauter Nullen da ...« Oder als dessen Sohn Arthur: »Allein die Liebe, und nicht die deutsche Metaphysik, kann uns diese Welt erklären.«

KREUZER: Wie viel Wahrheit braucht eine Beziehung? DIETZ: Wir halten die ganze Wahrheit nicht aus …

KREUZER: Gibt es dann überhaupt einen idealen Gatten? DIETZ: Meine Frau würde sagen, doch, einen gibt es. (lacht) Nein, schreiben Sie lieber, für mich gibt es eine ideale Gattin: meine Frau.


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