Eigentlich hatten sie sich am Schluss des letztjährigen Interviews auf der Bude von Clemens Meyer verabredet. Stammleser erinnern sich: Meyer hatte gerade den Rheingau-Literaturpreis bekommen und die damit einhergehende Lieferung von 111 Flaschen Wein sorgte in der Runde für einige Pläne. Getroffen haben sie sich dann doch wieder in der Schaubühne.
Eigentlich hatten sie sich am Schluss des letztjährigen Interviews auf der Bude von Clemens Meyer verabredet. Stammleser erinnern sich: Meyer hatte gerade den Rheingau-Literaturpreis bekommen und die damit einhergehende Lieferung von 111 Flaschen Wein sorgte in der Runde für einige Pläne. Getroffen haben sie sich dann doch wieder in der Schaubühne. Ob es daran gelegen hat, dass es dort neben Wein und Bier auch Steak und Burger gibt, oder weil von den 111 Flaschen nur noch Spätlesen übrig sind (Meyer: »So süße Plörre, die schenke ich meist den Frauen«), sei einmal dahingestellt. Inzwischen hat unsere Interviewrunde eine neue Verabredung: Zum Aufgalopp am 1. Mai, auf der Leipziger Rennbahn Scheibenholz.
CLAUDIUS NIESSEN: Die übliche Frage bei Autorengesprächen über das zweite Buch lautet ja stets so: Das zweite ist immer das Schwerste. Stimmt das überhaupt?
OLAF SCHMIDT: Eigentlich ist es ja schon mein drittes Buch (räuspert sich), wenn man die Doktorarbeit dazurechnet. Sonst kann ich sagen, dass die Arbeit – vom Termindruck abgesehen – recht entspannt war. Das liegt aber auch daran, dass ich ein populäres Sachbuch geschrieben habe: »Das babylonische Handbuch der Sprache«. Das ist mit dem Schreiben eines Romans oder Erzählbands nicht zu vergleichen, finde ich zumindest.
NIESSEN: Inwiefern? Weil man nicht soviel von sich selbst mit hinein gibt?
SCHMIDT: Da steckt schon auch Herzblut drin, so ist es nicht. Aber zu großen Teilen war das eine Fleißarbeit. Ein Roman ist doch eine persönlichere Angelegenheit. Gibt natürlich auch einen ganz anderen Kick.
NIESSEN: Und wie war das bei dir, Clemens?
CLEMENS MEYER: Ich habe ja einen Band mit Stories geschrieben. Das ging ziemlich flüssig. Eigentlich war der Erscheinungstermin vom Verlag für diesen Herbst geplant. Aber ich habe gesagt, nein, ich mache das bis zum Frühjahr. Im ersten Halbjahr 2007 war ich fertig mit der ersten Fassung.
NIESSEN: Warum so ein Druck mit dem Frühjahrstermin? Bist Du ein Deadline-Junkie?
MEYER: Nee, so würde ich das jetzt nicht sagen. Ich war schon sicher, ich schaffe das. Aber so ein wenig Druck kann nicht schaden. Ich brauche den Druck, um anständig zu arbeiten. Daher habe ich mir den Termin selber so eng gesetzt. Und ich wollte auch nicht wieder in ein Loch fallen und herumsumpfen. Nachdem »Als wir träumten« erschienen war, gab es eine Zeit, da ging es mir gar nicht gut. Das brauche ich so schnell nicht wieder. Nein, dieser Druck ist schon wichtig. Ich habe diesen Druck nicht, wenn Geld auf dem Konto ist…
SCHMIDT: (lacht) Wie bei Balzac. Wenn der reich geworden wäre, hätte er wahrscheinlich keine Zeile mehr zu Papier gebracht. Wäre schade gewesen.
MEYER: Bei mir ist das ähnlich.
NIESSEN: Das heißt, Sicherheit ist einerseits schon begehrenswert, andererseits aber ein Problem für die Kreativität?
MEYER: Vielleicht. Am Anfang, bevor »Als wir träumten« erschienen war, habe ich immer gedacht, dass muss doch zu schaffen sein, dass 10.000 Leute in Leipzig dein Buch kaufen. Das erwarte ich eigentlich.
SCHMIDT: 10.000? Nur in Leipzig?
NIESSEN: Wunschdenken.
Einwurf des Fotografen: Ich habe zwei verschenkt... (Lachen)
MEYER: (wieder ernst) Ja, schon. Das ist ja jetzt auch ein bisschen her. Aber ich denke immer noch manchmal, wenn jeder fünfte Student oder sogar jeder fünfte Leipziger dein Buch kauft ... Also, ich habe auch schon ohne meine Schulden geschrieben, aber in der ersten Zeit nach der Veröffentlichung von »Als wir träumten«, da habe nicht mehr geschrieben. Da hatte ich den Zwang nicht mehr, ich hatte ja etwas Geld und konnte erst einmal leben.
SCHMIDT: Wie hieß nochmal dieser Fußballer mit dem Spruch?
MEYER: George Best?
SCHMIDT: Genau: »Die Hälfte des Geldes, das ich verdient habe, ist für Alkohol, Frauen und Autos draufgegangen, den Rest habe ich verprasst.«
MEYER: (lacht) Mich bringt nichts aus der Bahn. (Pause.) Nur die Frauen vielleicht. Die können einen in eine tiefe Grube stürzen. Und immer wieder wartet eine neue Grube. Aber die Zeit obenauf ist gut.
NIESSEN: Noch einmal zurück zum zweiten Buch. Ihr habt gesagt, so schwer, wie immer gesagt wird, ist es nicht...
SCHMIDT: Manches ist leichter. Wenn man einen Verlag im Rücken hat, gibt das natürlich eine gewisse Sicherheit. Vom ersten Buch hängt auch mehr ab. Zum Beispiel, ob man überhaupt ein zweites schreibt.
MEYER: Das stimmt, die Selbstzweifel sind nicht ganz so stark wie beim ersten Mal.
NIESSEN: Wie seht ihr euer »Schriftstellerdasein«. Ist das noch etwas Besonderes?
SCHMIDT: Ach, das ist alles nicht besonders aufregend. Ich setze mich hin und schreibe. Insofern kann man sogar von geregelter Arbeit sprechen. Ich selbst empfinde das inzwischen auch als eine normale Tätigkeit. Aber ein ordentlicher Beruf ist das natürlich nicht – zum Glück.
MEYER: Also, die größte Angst ist weg. Gleichzeitig sagt man sich: Das Zweite muss auch was werden! Aber da hat Olaf schon Recht, da ist jetzt mehr Routine. Man lernt. Ich bin nicht mehr so aufgeregt wie früher. Nicht nur beim Schreiben, gerade auch bei dem ganzen Betriebszirkus Drumherum. Bei Interviews oder Lesungen bin ich einfach gelassener geworden. Aber wenn der Verlag meint, ich soll mich nicht selbst loben oder dass ich nicht schlecht über Kollegen reden soll – das ist deren Standpunkt. Aber wenn ich will, mache ich das.
SCHMIDT: Man sollte als Autor den Literaturbetrieb nicht so ernst nehmen. Das lenkt vom Schreiben ab. Trotzdem ärgert man sich gelegentlich.
MEYER: Man sollte sich eine gewisse Wut auf Instanzen bewahren. Ich habe da eine gepflegte Abneigung gegen den einen oder anderen Großkritiker. Das kommt auch noch aus Klagenfurt, vom Ingeborg-Bachmann-Wettlesen. Da habe ich mir eine appetitliche Abneigung bewahrt, die Freude macht.
NIESSEN: Aber negative Kritiken gehören nun einmal zum Geschäft.
MEYER: Auf jeden Fall. Nicht jeder mag dein Buch. Aber wenn die Leute Scheiße erzählen, das kann ich nicht leiden. Was wissen die denn von mir?
SCHMIDT: Ich finde, ein Kritiker muss im Interesse der Leser hart urteilen, er darf auch spotten und polemisieren, wenn es sein muss. Aber da ist leicht eine Grenze zur bloßen Häme überschritten – wie in dem FAZ-Verriss von Juli Zehs »Schilf«. Das ging mir zu weit. Aber offen gestanden finde ich die Literaturkritik bei uns eher zu brav.
MEYER: Das ist der Druck, den die Verlage und Agenturen machen. Die bremsen. Weil sie Angst haben, man könnte sich die Finger verbrennen und negative Schlagzeilen machen. Könnte ja schlecht sein fürs Geschäft. Die haben es gerne harmonisch und einfach.
NIESSEN: Alle funktionieren einfach bloß noch?
SCHMIDT: Es gibt schon eine unabhängige Literaturkritik. Ich finde aber auf der anderen Seite eine große Uniformität in der Literatur. Und ich beobachte bei vielen jungen Autoren eine erstaunliche Professionalität, etwa im Umgang mit Medien. Oder wie toll die ihre Texte vortragen können! Ich bewundere das. Aber was gut für die Literaten ist, ist nicht unbedingt gut für die Literatur. Die gerät leicht zum Kunsthandwerk. Und so eine frühe Professionalisierung führt vielleicht auch zu einer übertriebenen Vorsicht mit öffentlichen Äußerungen…
MEYER: Das ist so langweilig. Déformation professionelle!
SCHMIDT: Aber davon bist du ja nicht betroffen.
NIESSEN: Also sind wir wieder bei dem alten Vorwurf, dass ein gutes Marketing auf dem Buchmarkt mehr Bedeutung hat als anspruchsvoll geschriebene Literatur?
MEYER: Da muss man sich nur diese Preisscheiße in Frankfurt anschauen. Welcher seriöse Preis maßt sich denn an, den besten deutschsprachigen Roman des Jahres zu ermitteln? Was soll das sein? Den kann es gar nicht geben. Das ist doch nur Marketing. So eine Behauptung machen die seriösen Preise nicht, mit denen sich der Deutsche Buchpreis vergleicht, der Booker Prize oder der Prix Goncourt. Der Deutsche Buchpreis ist Marketinggewäsch. Erfolgreich ja. Aber nicht literarisch, nur was die Verkaufszahlen angeht.
NIESSEN: Sind denn nun die Autoren langweilig oder ihre Texte?
MEYER: Es ist der ganze Betrieb. Man muss sich bloß die Texte anschauen. Viele sind handwerklich gut gemacht, aber so was von glatt und geschliffen. Die Brechungen fehlen. Ich nehme ab und zu absichtlich schiefe Formulierungen in meine Texte rein. Gute Lektoren erkennt man meiner Meinung nach daran, dass sie nicht zu sehr glätten.
SCHMIDT: Das Glatte und Zugängliche hat es natürlich immer leichter. Ich fand bei der Rezeption von »Friesenblut« ein bisschen erschreckend, dass viele Anspielungen und Zitate, die ich eingebaut hatte, meist, auch von professionellen Lesern, überhaupt nicht erkannt worden sind. Ich gebe allerdings zu, dass da auch viel Abgelegenes dabei war.
MEYER: Das kann man auch so verstehen: Als Problem der Kanonisierung. Da werden so viele Autoren außen vor gelassen und geraten in Vergessenheit. Man müsste mal einen Anti-Kanon machen. Die Leselisten, die Großkritiker und die Feuilletonfritzen immer aufstellen, ich kann sie nicht mehr sehen. Immer dasselbe.
SCHMIDT: Sehe ich ähnlich. Dabei gibt es immer noch soviel zu entdecken, zum Beispiel ist 1959, im selben Jahr wie »Die Blechtrommel«, der Roman »Alles andere als ein Held« von Rudolf Lorenzen erschienen. Der hätte wirklich das Zeug zum Klassiker. Er wurde auch überall gelobt damals und immer wieder aufgelegt, dringt aber nicht in den Kanon vor. Jetzt gibt der Verbrecher Verlag Lorenzens Romane neu heraus. Die gehörten wirklich auf die Leselisten. Aber jede Wette erst in dreißig Jahren…
NIESSEN: (hastig) Wetten ist ein gutes Stichwort. Clemens, woher kommt dein Faible fürs Pferderennen? Ist da auch George Best im Spiel?
MEYER: Kann man so sagen. Irgendwie finde ich, das hat Stil. Neulich habe ich sechzig Euro gesetzt und über tausend gewonnen. Da fängt es schon an zu kribbeln. Und wenn du dann eine Viererwette platzierst... Aber was erzähl ich hier. Wir gehen einfach am 1. Mai zum Aufgalopp. Dann müssen wir auch nicht warten, bis wieder Buchmesse ist.
SCHMIDT: Hm, wollte ich schon immer mal hin.
NIESSEN: Na denn, bis zum 1. Mai!