Volker Lösch ist Hausregisseur am Staatstheater Stuttgart und bekannt für seine Stücke mit großen Laienchören. Mit dieser Methode perforiert er die Grenze zwischen theatraler Wirklichkeit und gesellschaftlicher Realität. Nun inszeniert er Kleists »Penthesilea« in Leipzig.
Volker Lösch ist Hausregisseur am Staatstheater Stuttgart und bekannt für seine Stücke mit großen Laienchören. Mit dieser Methode perforiert er die Grenze zwischen theatraler Wirklichkeit und gesellschaftlicher Realität. Nun inszeniert er Kleists »Penthesilea« in Leipzig.
KREUZER: Die Amazonen sind ein Volk ohne Männer. Warum?
VOLKER LÖSCH: Dieser Frauenstaat gründet auf einem brutalen Überfall, der der Gemeinschaft der Skythen widerfahren ist. Feindliche Krieger haben alle Männer getötet und die Frauen vergewaltigt – kriegerischer Alltag also. Die Frauen haben sich hier aber erfolgreich gewehrt, befreit und dann einen eigenen Staat gegründet. In diesem Mythos liegt der repräsentative Punkt: Jeder weiblichen Gewalt liegt ein durch Männer verübter Gewaltakt zugrunde. Der Mann nimmt sich ja traditionell das Recht, über den Körper der Frau frei zu verfügen. Die Amazonen haben diese Art von Männerdominanz abgeschafft.
KREUZER: Die Königin der Amazonen, Penthesilea, scheitert aber – und mit ihr der Frauenstaat
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LÖSCH: Kleist hat das so geschrieben, und das ist auch die herkömmliche Deutung aller, die sich mit dem Stoff beschäftigen: Durch den Selbstmord Penthesileas soll sich die Idee eines autonomen Amazonenstaates erledigt haben. Penthesilea wird zwischen dem Anspruch des Frauenstaates – ein Leben ohne Männer zu führen – und ihrer Liebe zu Achilles aufgerieben und zerrissen. Ihr Scheitern – sie ermordet Achilles und tötet sich selbst – wird als inhuman gedeutet und soll beweisen, dass dieser Frauenstaat nicht besser als eine herkömmliche, patriarchal organisierte Gemeinschaft ist. Das kann man natürlich auch anders lesen: Wenn die Liebe zwischen einem Mann und einer Frau so destruktive Energien entfalten kann, dann ist das für Frauen umso mehr ein Argument dafür, auf Männer zu verzichten. Und außerdem: Dass ein Frauenstaat in seiner Praxis nicht perfekt sein kann, macht ihn noch lange nicht überflüssig. Er entfaltet eben eine andere Kraft.
KREUZER: Genau: Liebe gibt es ja zwischen den Amazonen.
Ja. Da existiert auch eine wichtige Beziehung – zwischen Penthesilea und Prothoe. Sie ist nicht nur die Freundin, sondern auch die Geliebte. Und insofern ist Achill auch eine konkrete sexuelle Konkurrenz.
KREUZER: Warum bilden bei Ihnen die einzelnen Amazonen einen Chor?
LÖSCH: Die Schaffung dieses Chores wertet die Geschichte in Bezug auf die Frauen auf. Diese rein weiblich besetzte Gruppe hat eine konkrete und sinnliche Ausstrahlung – sonst stehen die Amazonen immer nur im Text. Wir haben die Kräfteverhältnisse umgedreht: 5 Männer gegen 30 Frauen. Und Frauen in einem Chor sprechen zu lassen, erzeugt eine explizit weibliche Kraft. Die ist sehr stark und präsent.
KREUZER: Haben die Frauen ein Mitspracherecht?
LÖSCH: Niemand macht hier etwas, was er nicht will oder als Figur nicht vertreten kann.
KREUZER: Und wie fühlen sich die Schauspieler angesichts dieser Frauenübermacht?
LÖSCH: Keine Ahnung, wir haben darüber noch nicht so viel gesprochen. Alle sind zu sehr mit ihrem Text und der szenischen Arbeit beschäftigt (lacht). Ich versuche, gerecht zu arbeiten, aber letztlich bin ich natürlich ein Mann im Frauen-Stück – und da gibt es schon einen Widerspruch. Ich leite in herkömmlichem Sinne, also autoritär, einen theatralischen Prozess, der letztlich eine Kraft entfalten soll, die sich gegen das Männliche, also auch gegen mich, richten wird. Aber ich habe starke weibliche Mitarbeiterinnen – Schauspielerinnen, Dramaturgin, Ausstatterin, Choreografin –, mit denen ich mich auseinandersetze. Letztlich ist es eine gemeinsame Frau-Mann-Arbeit.
KREUZER: Gleichberechtigung also?
LÖSCH: Warum sollen wir uns mit dem Thema Gleichberechtigung beschäftigen, die gibt es doch schon! Im Grundgesetz fest verankert! Aber im Ernst: Man braucht sich doch nur solche Frauen wie Eva Hermann anzuschauen: Die haben ja im Ansatz nichts verstanden, die arbeiten schön rückwärts, ganz in unserem Sinne: Solange es derlei weibliche Standpunkte gibt, haben wir Männer in puncto Machterhalt nichts zu befürchten! Danke, Eva! Solange Frauen und Kinder aus kriegstaktischen Gründen von Männern vergewaltigt werden, solange es von Männern sanktionierte Genitalverstümmelungen gibt, solange Millionen von Frauen ihr Leben komplett verschleiert verbringen müssen, solange Säuglinge von Männern gefickt werden, solange in Konzernzentralen und Aufsichtsräten hauptsächlich Männer sitzen, solange Frauen nachts nicht durch Parks gehen können und und und – so lange kann man von Gleichberechtigung nicht wirklich sprechen. Selbst in Künstler-Kreisen, in denen man scheinbar kritischer und politischer mit diesen Fragen umgeht, ist doch sehr spürbar, wer die Hosen anhat.
KREUZER: Was erwartet das Leipziger Theaterpublikum?
LÖSCH: Wir werden die Leipziger nicht mit einer ausgewogenen Literaturveranstaltung quälen, auch nicht mit einem gemütlich-runden Theaterabend foltern. Erwarten Sie starke Frauen – und Männer, die Widerstand leisten werden.