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Kultur

Fruchtbare Missverständnisse

In der Werkschauhalle ist junge Fotografie aus Chicago und Leipzig zu sehen

  Fruchtbare Missverständnisse | In der Werkschauhalle ist junge Fotografie aus Chicago und Leipzig zu sehen

In einer seiner Erzählungen gibt Francis Scott Fitzgerald einer Frau zwischen zwei Flügen gerade drei Stunden Zeit, um sie damit klarkommen zu lassen, dass der Mann, mit dem sie im Wohnzimmer sitzt, nicht der ist, für den sie ihn gehalten hat. Den Titel des Textes und in gewisser Weise auch sein Motiv hat sich die zweiteilige Ausstellung »Three Hours between Planes« geborgt, die zeitgenössische Fotografie von elf jungen Künstlern aus Chicago und Leipzig in der Werkschauhalle der Spinnerei und im renommierten Chicago Cultural Center zeigt.

In einer seiner Erzählungen gibt Francis Scott Fitzgerald einer Frau zwischen zwei Flügen gerade drei Stunden Zeit, um sie damit klarkommen zu lassen, dass der Mann, mit dem sie im Wohnzimmer sitzt, nicht der ist, für den sie ihn gehalten hat. Den Titel des Textes und in gewisser Weise auch sein Motiv hat sich die zweiteilige Ausstellung »Three Hours between Planes« geborgt, die zeitgenössische Fotografie von elf jungen Künstlern aus Chicago und Leipzig in der Werkschauhalle der Spinnerei und im renommierten Chicago Cultural Center zeigt.

Es fällt auf: Leipzig ist mit seiner gewohnt starken konzeptualistischen Arbeitsweise vertreten, und während die amerikanischen Gäste auf formal sehr traditionelle Fotografie setzen – hochwertige Abzüge, Passepartouts, Rahmen –, dürfen die Leipziger auch mit dem Laserprinter drucken. Videos, Gesticktes und Angepinntes auf beiden Seiten verlassen den Rahmen des Mediums. »Wir wollten den konventionellen Begriff von Fotografie brechen«, sagt Julia Maier. Man habe »verschiedene Arbeitsweisen und nicht nur die Schinken zeigen« wollen, ergänzt Thilo Scheffler. Beide organisieren das Projekt auf Leipziger Seite mit

Elise Rasmussen aus Chicago spielt in ihrer Installation »The French Revolution« mit frankophilen Stereotypen: ein junger Mann in Jeans und roter Jakobinermütze, ein Kuss, eine Marianne wie aus dem Café nebenan, gestickte Guillotinen. Dominique Koch macht in ihren Drucken mittels wegretuschiertem Personal, Pfeillinien und Text die Konstruktionen von ihrem Wesen nach gar nicht so unähnlichen Bildern deutlich, sie hinterfragt den Authentizitätsanspruch von politischer und nachrichtlicher Fotografie.

Familiendramen gibt es gleich in mehreren Arbeiten aus Chicago, hart mitunter, doch harmlos im Vergleich zu den Orestien dieser Welt. Jill Frank fiel auf, dass Familienalben im Normalfall nur Erfreuliches bewahren: Kindergeburtstage, Zuckertüten, Luftschlangen. Die Fotografin aus Chicago reinszeniert – mit ihren Eltern! – das Unheil dunklerer Kindheitstage. Der Stich einer Biene, ins Auge gestreuter Pfeffer, um nicht in die Schule zu müssen, das Stigma, die dicke Schwester zu sein.

Der Leipziger Andreas Schulze legt narrative Seilenden aus, Fangschlingen, permanente Verheißungen auf eine Erzählung hinterm Bild. Sie enden regelmäßig im Nichts. Sein Inventar scheint wie aus amerikanischen Filmen der Siebziger geborgt, doch die Jury aus Chicago ließ nun gerade dieser Aspekt kalt. Das ist interessant: Es müssen Klischees sein, die am Ort ihrer Herkunft bedeutungslos geworden sind. Drei Stunden zwischen zwei Flügen – genügend Zeit für fruchtbare Missverständnisse.


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