Künftig gibt es im Centraltheater monatlich ein bis zwei Konzertabende, auch in der Skala werden Konzerte stattfinden. Das Programm verantwortet Christoph Gurk, ehemaliger Spex-Cheredakteur und langjähriger Dramaturg an der Berliner Volksbühne. Hier die vollständige Version des Interviews aus dem September-kreuzer.
kreuzer online: Was denken Sie über die Leipziger Popkulturszene?
CHRISTOPH GURK: Da kann ich bisher nicht so wahnsinnig viel sagen. Im Moment wohne ich ja noch in Berlin. Ab Herbst werde ich pendeln und ungefähr gleich viel Zeit in beiden Städten zubringen. In der Vergangenheit hatte ich immer mal wieder beruflich hier zu tun. Meine Erfahrungen waren durchweg positiv. Als Sebastian Hartmann, der neue Intendant am Schauspiel Leipzig, Kontakt zu mir aufnahm und Möglichkeiten einer Zusammenarbeit sondierte, hat es mich daher gereizt, meine Beziehungen zu dieser Stadt zu intensivieren. Gemessen an der Einwohnerzahl gibt es ein sehr vielfältiges kulturelles Angebot und eine überraschend lebendige Musikszene. Ich finde es gut, dass es hier gerade im Musikbereich viele Orte gibt, die selbstbestimmt und in relativer Unabhängigkeit von etablierten Strukturen agieren. Das kenne ich in dieser Massierung aus kaum einer anderen Stadt in Deutschland.
kreuzer online: Wie wird sich Ihre Aufgabe am Centraltheater in Leipzig gestalten? Wie ist Ihre Arbeit in die Strukturen der Institution eingebunden?
GURK: Mit Beginn der neuen Spielzeit bin ich dort halb als Musikkurator, halb als Dramaturg beschäftigt. Ich werde ein Programmprofil aufbauen, das vorerst auf monatlich ein bis zwei Musikveranstaltungen im Centraltheater angelegt ist. Als Dramaturg begleite ich eine Schauspielproduktion pro Spielzeit und bin an den relevanten Diskussionen um den Spielplan und die inhaltliche Ausrichtung des Hauses beteiligt. Unter meiner Verantwortung werden ferner regelmäßig Konzerte in der Skala stattfinden. Die konkrete Planung dafür teile ich mir mit einem Leitungsteam, das in der vormaligen Neuen Szene innovative Formen von Theater erproben will. Im Unterschied zu den letzten Jahren findet die Musik nicht mehr nur über Einmietungen und Fremdveranstaltungen ihren Weg in den Spielplan. Sie ist als eigenständige Sparte vollständig in das Profil des Theaters integriert.
kreuzer online: Hören Sie an der Volksbühne auf?
GURK: Nicht ganz. An der Volksbühne werde ich weiterhin Konzerte veranstalten. Über diesen Programmbereich hinaus ist momentan keine weitere Zusammenarbeit vereinbart. Wenn es sich ergibt, werde ich hin und wieder Projekte mit dem Hebbel Am Ufer (HAU) realisieren. Im Juni habe ich dort als Co-Dramaturg von »X-Wohnungen Neukölln 2008« meinen Einstand gegeben. Die Priorität hat aber nun erst einmal Leipzig.
kreuzer online: Welches musikalische Spektrum werden die Konzerte abdecken? Sehen Sie die Gefahr, dass Ihnen eine Dublette Ihrer Tätigkeit an der Volksbühne vorgeworfen werden könnte?
GURK: Ich bringe in den allermeisten Fällen nur Interpreten auf die Bühne, die ich selber interessant finde. Stilistisch bewegt sich das im weiten Feld zwischen Elektronik, Singer/Songwritern, Post-Industrial und Neuer Musik. Dieser persönliche Geschmack, der meine Programme prägt, wird sich bestimmt nicht grundlegend ändern. Ich glaube aber, dass in Leipzig manche Themen ins Blickfeld rücken werden, die mir in Berlin nicht einfallen würden – und umgekehrt. Für die Herbstprogramme kann ich schon einmal mit absoluter Bestimmtheit sagen, dass es zwischen dem, was ich an der Volksbühne und am Centraltheater programmiere, so gut wie keine Überschneidungen gibt. Hin und wieder kann es aber durchaus Sinn machen, mit der Volksbühne oder auch anderen Theatern in Ko-Produktion zu gehen und so Sachen zu ermöglichen, die man aus eigener Kraft nie finanzieren könnte.
kreuzer online: Sehen Sie in Ihrem Engagement am Centraltheater eine Weiterführung Ihrer bisherigen Arbeit – oder bedeutet Leipzig für Sie einen Neuanfang?
GURK: Was mich erwartet, würde ich vor allem als eine große Herausforderung beschreiben. Mein Job entspricht zwar ungefähr dem, was ich bisher auch an der Volksbühne gemacht habe. Aber die Situation, die ich hier vorfinde, könnte unterschiedlicher nicht sein. Leipzig hat eine völlig andere Bevölkerungsstruktur und Kulturlandschaft. Es wäre nicht sinnvoll, eine in Berlin entwickelte Programmstruktur umstandslos auf diese Stadt zu übertragen. Mich interessiert es, über meine Tätigkeit als Kurator und Dramaturg die Menschen, die hier wohnen, näher kennenzulernen. Das ist ein kommunikativer Prozess, der auf Geben und Nehmen beruht. Man muss Schritt für Schritt ein Gespür dafür entwickeln, was geht und was nicht, und an welchen Punkten man ein Angebot machen kann, das es in dieser Form hier vielleicht noch gar nicht gibt. Momentan habe ich das Gefühl, noch ganz am Anfang zu stehen. Ich bin schon ganz stolz, wenn ich nicht der Versuchung erliege, das nächstbeste Taxi ins Theater zu nehmen, sondern den Stadtplan heraushole und nachschaue, auf welchen Wegen ich zu Fuß mein Ziel erreichen kann.
kreuzer online: Wie würden Sie Ihre Ausgangssituation am »Centraltheater« im Vergleich zur Volksbühne beschreiben?
GURK: Als ich vor sieben Jahren an der Volksbühne anfing, hatten sich die Rauchschwaden der Theaterrevolution, die Frank Castorf zu Beginn der Neunziger mit seinem damaligen Chefdramaturgen Matthias Lilienthal angezettelt hatte, bereits gelichtet. Es gab etablierte Strukturen und klar definierte Formate. Die Aufgabe bestand nicht darin, das Rad neu zu erfinden, sondern einen Betrag zu leisten, mit dem sich das bereits erreichte Niveau des Hauses steigern oder zumindest festigen ließ. In Leipzig reden wir von einem kompletten Relaunch mit neuem Intendanten, neuem Leitungsteam und neuem Ensemble. Das ist eine Situation, die man in einem Berufsleben nicht sehr oft antrifft.
kreuzer online: Worin unterscheidet sich die Tätigkeit eines Kurators und Dramaturgen von der Arbeit eines Bookers, wie man ihn in Clubs antrifft?
GURK: Im Vergleich zu Konzerten in einem kommerziell ausgerichteten Rahmen hat man im Theater den Vorteil, dass allein schon der Kontextwechsel und die Bühnensituation einen unterschiedlichen Rahmen herstellen. Das Publikum nimmt zu Recht an, dass es für die Ansetzung einer Veranstaltung einen inhaltlichen Grund gibt. Um den Stein ins Rollen zu bringen, werden wir sicher immer wieder auch auf Sachen setzen, die relativ sicher Erfolge bringen. Spannend wird es aber aus meiner Sicht erst, wenn man nicht bedient, was schon durchgesetzt ist, sondern einen Punkt erreicht, an dem man selber eine kulturelle Setzung unternimmt und die Bedingungen verändern kann, unter denen ein kulturelles Geschehen überhaupt als marktfähig gilt oder nicht. Mittelfristig fände ich es interessant, verstärkt über Formate nachzudenken, die über das traditionelle Genre des Konzerts hinausgehen, die die Kraft entwickeln, mehrfach aufgeführt werden zu können, und so ihren Weg ins Theaterrepertoire finden.
kreuzer online: Wie könnte so etwas aussehen?
GURK: Wenn man sich das Geschehen auf den Bühnen im deutschsprachigen Raum anschaut, dann muss man sich ja grundsätzlich erst einmal vergegenwärtigen, dass an ganz unterschiedlichen Orten der Dialog mit der Musik als möglicher Ausweg aus einer Legitimationskrise des Theaters gesucht wird. Die einschlägigsten Beispiele für diese Entwicklung sind die jüngsten Produktionen von Frank Castorf und Christoph Schlingensief. Genauso wenig ist zu übersehen, dass mittlerweile eine Generation von jüngeren Regisseuren ihren Weg in die Stadttheaterlandschaft gefunden hat, die durchweg mit Popmusik sozialisiert worden ist. Das Spektrum reicht da von René Pollesch über Stefan Pucher bis hin zu den Leuten aus dem Umfeld des Golden Pudelclub, etwa Schorsch Kamerun oder Studio Braun, die zwischen Zürich und Hamburg derzeit Riesenerfolge feiern. Als ich vor ein paar Monaten im Hebbel am Ufer bei der diesjährigen Ausgabe von »X Wohnungen« eingestiegen bin, hat uns die Frage interessiert, wie man Musik in ein Format einbinden kann, das auf Theater in Privatwohnungen spezialisiert ist – und zwar so, dass mehr dabei herauskommt als ein Wohnzimmerkonzert. Die Ergebnisse waren sehr ermutigend. Mit sowas würde ich gerne in einem etwas größeren Rahmen weiter experimentieren.
kreuzer online: Ist Leipzig nicht zu klein für all diese Ideen? Besteht nicht die Gefahr, dass viele spannende Sachen, die an den Rändern der Musikkultur stattfinden, in einer Stadt wie Leipzig nicht die verdiente Resonanz finden?
GURK: Ich bin eigentlich eher erstaunt, wieviel in Leipzig, einer Stadt mit gerade mal einer halben Million Einwohner, möglich ist. Wenn hier Gruppen wie Battles oder Why? mehr als 350 Zuschauer anziehen, dann sind wir von Zahlen, wie wir sie aus Berlin kennen, gar nicht so weit entfernt. Man darf nicht vergessen, dass es in der Hauptstadt mittlerweile ein kulturelles Überangebot gibt. Die Veranstalter graben sich gegenseitig das Wasser ab. Das birgt selbst für Konzerte, die an anderen Orten eine sichere Angelegenheit sind, nicht unerhebliche Gefahren. Das gleiche gilt für die Theaterlandschaft. In Berlin versendet sich vieles, weil eine Volksbühne oder ein Hebbel am Ufer nur zwei von vielen Theatern in dieser Stadt sind. In Leipzig besteht die Chance, mit einem Centraltheater als der einzigen Spielstätte ihrer Art eine viel konzentriertere Form der Öffentlichkeit herzustellen. Aber natürlich ist klar, dass man schon etwas tun muss, wenn man so einen Laden füllen will. Für Musik, die sich eher an ein Nischenpublikum richtet, gibt es ja bereits etablierte Orte, etwa das UT Connewitz oder Ilses Erika, die weit über Sachsen hinaus für ihr risikofreudiges und konsistentes Programmprofil bekannt sind.
kreuzer online: Bislang hat sich in Leipzig ausschließlich die Freie Szene für popkulturelle Veranstaltungen verantwortlich gefühlt. Wenn das Centraltheater nun eine Musiksparte einführt, ist dies auch eine kulturpolitische Zäsur. Das über viele Jahre etablierte Gefüge verschiebt sich.
GURK: Selbstverständlich. Den bislang gültigen Antagonismus – hier der Underground, dort die Repräsentationskultur – wird es in der Form nicht mehr geben, zumindest nicht, was die Bereiche Musik und Theater angeht. Nicht umsonst haben Sebastian Hartmann und sein Chefdramaturg, Uwe Bautz, in ihrer Antrittspressekonferenz offensiv vom Centraltheater als einer »Independent-Plattform« gesprochen. Das Kulturleben in dieser Stadt kann doch nur gewinnen, wenn sich selbstorganisierte Zusammenhänge und Einrichtungen wie ein Stadttheater nicht mehr nur in friedlicher Ko-Existenz ignorieren, sondern aufeinander zugehen und an Punkten, wo es sich ergibt, eine Synergie entwickeln. Politisch gesehen, verorten wir uns sehr stark auf der Seite der Kultur, die in Connewitz produziert wird.
kreuzer online: Könnte diese Entwicklung nicht auch bedeuten, dass das Centraltheater der Freien Szene, zum Beispiel im Hinblick auf Konzerte, mit seinen Subventionen das Leben schwerer macht?
GURK: Zunächst einmal ist es ja so, dass einige Einrichtungen, die der Freien Szene zugerechnet werden, selber Empfänger von öffentlichen Zuwendungen sind. In dieser Hinsicht ist das Musikleben in Leipzig in einer deutlich besseren Position als, zum Beispiel, in Berlin. Ich glaube auch nicht, dass ein bis zwei Musikveranstaltungen pro Monat im Centraltheater das Marktgeschehen für freie Träger ungünstig beeinflussen werden. Wenn es so läuft, wie ich es mir wünsche, dann ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass Leipzig als Standort für Konzerte insgesamt aufgewertet wird. Davon könnten mittelfristig auch andere Akteure in der Stadt profitieren. Mit geht es darum, auch Künstler ans Centraltheater zu holen, die bislang um diese Region einen Bogen geschlagen haben.
kreuzer online: Wird es bei Konzerten trotzdem auch künftig noch Fremdveranstaltungen geben?
GURK: Vor allem in der Anfangsphase werden wir das – nicht nur bei Konzerten, sondern auch bei anderen Veranstaltungsformen – stark reduzieren. Wir wollen erstmal unser eigenes Profil schärfen und deutlich machen, was wir kulturell und kulturpolitisch wollen. Wenn wir diesen Prozess abgeschlossen haben, wird es sicher möglich sein, auch wieder mehr Fremdvermietungen zu machen. Aber einen Gemischtwarenladen, der alles ins Haus holt, um an Einnahmen und Zuschauer zu kommen, die der Theaterbetrieb nicht hergibt, darf es nicht geben. Das Programm soll nicht beliebig werden.
kreuzer online: Für welches Publikum sind die Konzerte gedacht?
GURK: Ich hoffe, die Leute, die sich für diese Veranstaltungen interessieren, werden so unterschiedlich sein wie nur möglich. Vom Alter her hat sich an der Volksbühne über die Jahre ein Publikum herausgebildet, das bei unter 20 anfängt und erst bei Mitte 50 aufhört. So ein Spektrum wünsche ich mir auch für Leipzig. Sicherlich werden wir uns aber, nicht nur die Musiksparte, sondern das Theater insgesamt, in besonderem Maße um ein studentisches Publikum bemühen, das sich im Spielplan bislang nicht wiedergefunden hat. Wir reden hier über eine Gruppe von ungefähr 30.000 Leuten, an der viele Jahre lang vorbeigespielt worden ist.
kreuzer online: Wollen Sie mit den Konzerten überregionale Aufmerksamkeit erzielen?
GURK: Durch seine Nähe zu Dresden, Jena, Cottbus, Magdeburg, Berlin und sogar Prag hat Leipzig ganz klar eine geographische Lage, die mich ermutigt, auf Publikumskreise zuzugehen, die über eine gewisse Mobilität verfügen. Gleich meine Debütveranstaltung im Centraltheater wird in dieser Hinsicht ein Testballon sein. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn der Auftritt von Wolfgang Voigt unter dem Projektnamen GAS, sein erster und vorerst einziger im deutschsprachigen Raum, nicht eine ganze Reihe von Leuten dazu bringen wird, sich ins Auto oder in den Zug zu setzen und nach Leipzig zu kommen. Ich bin mir ganz sicher, dass Sebastian Hartmann, dem Centraltheater auch insgesamt eine bundesweite Aufmerksamkeit bescheren wird, die es bislang nicht gehabt hat.