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Es ist noch lange nicht kalt genug

Oder: Warum Leipzigs Autofahrerinnen sich schon einmal in Geduld üben sollten

  Es ist noch lange nicht kalt genug | Oder: Warum Leipzigs Autofahrerinnen sich schon einmal in Geduld üben sollten

Radfahren in Leipzig macht Spaß. Besonders an schönen Spätsommertagen. Ich kann dann so schön vor mich hinradeln, immer schön vor mich hin im nicht mehr ganz so warmen Sonnenschein, schrecke nur hin und wieder einmal zusammen, weil mein Hintern abrupt zehn Zentimeter nach unten saust

Radfahren in Leipzig macht Spaß. Besonders an schönen Spätsommertagen. Ich kann dann so schön vor mich hinradeln, immer schön vor mich hin im nicht mehr ganz so warmen Sonnenschein, schrecke nur hin und wieder einmal zusammen, weil mein Hintern abrupt zehn Zentimeter nach unten saust und sogleich wieder zehn Zentimeter nach oben katapultiert wird – Schlagloch –, verschnaufe ein bisschen vor einer roten Ampel, werde von links aus einem tiefergelegten Wagen angesprochen, verstehe nicht so recht, worum es geht, aber dann ist es ja auch schon wieder grün, und der Tiefergelegte startet genauso durch wie ich, nun wieder ganz munter.

Es ist einer dieser wunderbaren Septembernachmittage, an denen die Sonne schon dieses goldene Licht verströmt, bei dem man unwillkürlich melancholisch wird, aber das macht gar nichts. Ich stehe an der Ecke Inselstraße und warte auf eine Gelegenheit, nach links auf die gut befahrene Dresdner Straße einzubiegen. Drei Autos von links, danach vier von rechts, eine Straßenbahn nähert sich. Das Auto hinter mir rollt an meine rechte Seite, der Blinker zeigt an, dass die Fahrerin ebenfalls nach links abbiegen möchte. Ich warte darauf, dass die Straßenbahn vorbeifährt, dann kommen wieder Autos von rechts. Die Frau neben mir gibt Gas, kommt nur bis zur Mitte der Straße, schreit mir aufgebracht etwas zu, von dem ich nur »beim nächsten Mal« verstehe, und schafft es dann auf die richtige Straßenseite. Ich bin verdutzt. Beim nächsten Mal – was? Soll ich mich besser vor die Straßenbahn werfen?

An einem frühen Abend, eine Woche später. Nun ist es kalt und grau. So ist das im Spätsommer. Statt leichtfüßiger Melancholie nun erdenschwere Tristesse. Radfahren ist lästig, macht klamme Hände und einen steifen Nacken vom Kopfeinziehen. Straßenbahnen bekommen nach langen Monaten des Verschmähens wieder etwas Anheimelndes und liebenswert Verschrobenes. – Ich will die Querstraße überqueren; mir gegenüber steht ein Wagen, der auf meine Seite der Querstraße möchte. Die Stelle ist etwas verzwickt, man sieht nämlich nicht, ob von links Autos heranfahren, meist in ganz gutem Tempo. Die Frau im Wagen gegenüber macht sonderbare, etwas hektisch wirkende und sehr ausdrucksstarke Bewegungen. Ich warte trotzdem noch das nahende Auto von rechts ab, bevor ich mich ans Weiterfahren mache. Die Gesten der Fahrerin sind auf der Lautstärkeskala einem wütenden Gebrüll gleichzusetzen. Ich wundere mich.

War das nun die gleiche Frau? War es das angedrohte »nächste Mal«? Habe ich die Chance verpasst, beim »nächsten Mal« alles anders, nämlich besser zu machen? Oder war es ein anderes Mal, und das »nächste Mal« kommt erst noch und ich sollte mich besser in Acht nehmen? Ich erwäge kurz, mir eine Monatskarte anzuschaffen. 50 Euro nimmt die LVB dafür. 50 Euro für stress- und konfliktfreies Sich-Fortbewegen. – No way. Leipzigs Autofahrerinnen sollten sich schon mal in Geduld üben. Es ist noch lange nicht kalt genug, um das Rad im Schuppen zu lassen.


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