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Kultur

»Dafür ist Theater schließlich da«

Theaterregisseur Dirk Cieslak im Interview

  »Dafür ist Theater schließlich da« | Theaterregisseur Dirk Cieslak im Interview

Am 19.3. hat »Braune Kohle« im Centraltheater Premiere, eine Inszenierung, die mit Schauspielern aus dem Ensemble und Laien aus der Braunkohle arbeitetet. Wochenlang hat Regisseur Dirk Cieslak geprobt – am authentischen Ort Neukirchen bei Borna, mitten im Braunkohleland.

Am 19.3. hat »Braune Kohle« im Centraltheater Premiere, eine Inszenierung, die mit Schauspielern aus dem Ensemble und Laien aus der Braunkohle arbeitetet. Wochenlang hat Regisseur Dirk Cieslak geprobt – am authentischen Ort Neukirchen bei Borna, mitten im Braunkohleland.

Der kreuzer hat die Proben besucht. Während er eine Apfelsine schält, erzählt Dirk Cieslak von Echtheit im Theater, von der Grenze zur Peinlichkeit und von den Dingen, die uns die Braunkohle heute noch zu sagen hat.

kreuzer: Wie hast du die Arbeit mit den Laien aus den Braunkohlegebieten erlebt?

CIESLAK: Ich habe schon in mehreren Projekten mit Laien gearbeitet, nach einem vielfach erprobten Verfahren. Bei meinen bisherigen Projekten in Berlin hatte ich es häufig mit Laien zu tun, die Erfahrungen mit Schauspiel oder Theater hatten. Hier ist es anders, weil wir es mit Laien zu tun haben, die insofern »kulturfern« sind, als sie keine Erfahrung mit Kunst- oder gar Theaterprojekten haben. Das heißt noch nicht, dass es leichter oder schwerer ist – die Voraussetzungen sind einfach anders. Es gibt einem andere Freiheiten, denn die Laien hier sind unbedarfter als die, die mehr Erfahrungen und damit auch Erwartungen haben. Wir haben hier eine extrem offene Atmosphäre, ich war überrascht, worauf sie sich einlassen.

kreuzer: Gab es bei den Laien keine Angst vor dem Künstlerischen, vor dem Intellektuellen womöglich?

CIESLAK: Nein gar nicht. Anfangs gab es eine gewisse Scheu und Unsicherheit, die Angst, dass etwas nicht richtig dargestellt oder in den Dreck gezogen wird. Das hat sich aber in der praktischen Arbeit mit den Laien hier vor Ort aufgelöst. Wir haben sehr transparent gearbeitet, weil unsere Intention nicht war, Stereotypen, Botschaften oder Vorstellungen zu zementieren. Gerade die Braunkohle ist ja extrem überlagert davon. Aber alle haben gemerkt, dass es uns hier nicht darum geht, Stereotypen, Weisheiten oder Positionen, die den politischen gesellschaftlichen Raum bestimmen, zu verdoppeln.

kreuzer: Was ist stattdessen der Ansatz?

CIESLAK: Unsere Intention ist es, eine Lebenswelt, die als solche nicht mehr existiert, die Lebenswelt DDR und der Braunkohle, herauszuschälen. Und zwar losgelöst von der Frage eines politischen Systems, als real existierende oder eben nicht mehr existierende Lebenswelt. Um diese dann zu befragen, was sie uns heute noch sagen kann, wie sie eine Folie für unsere eigene Existenz sein kann. Dafür ist Theater schließlich da: unser eigenes Leben zu reflektieren, die Dinge nicht in eine Schublade zu packen. Es interessiert uns, wie die Leute in dieser Gesellschaft gelebt haben, denn über ein Leben erfährt man nur etwas, wenn man an den Alltag herangeht.

kreuzer: Aber weswegen greift man dazu, das »reale« Leben auf die Bühne zu stellen? Theater kann ja auch mit Chiffren und Metaphern über das Leben erzählen.

CIESLAK: Wie ich arbeite, ist einer von vielen möglichen Zugängen. Zeitzeugen oder Menschen, die etwas Bestimmtes gelebt haben, einzubeziehen, spielt mit dem Begriff der Authentizität. Es ist ein völliges Missverständnis, wenn man denkt, das sei jetzt das Authentische. Nein, es versteckt das Spiel mit dem Authentischen – ich behaupte nicht, dass ich damit das Wirkliche zeige. Man fragt sich nicht »Ist das jetzt wahr? Ist es erfunden?«, sondern es ist ein beständiges Spiel zwischen Wahrheit und Fiktion. Das kann das klassische Schauspiel heute kaum noch herstellen. Darum halte ich unseren Zugang für einen sehr zeitgemäßen und modernen.

kreuzer: Wie entgehst du der Gefahr, dass die Inszenierung zu einer Ostalgie-Nummer wird?

CIESLAK: Indem ich mich mit diesen Menschen, ihren Geschichten und ihren Leben beschäftige und versuche, daran zu arbeiten.

kreuzer: Aber es kann doch sein, dass das Ganze in eine Volksbeschauung oder einen Voyeurismus umschlägt?

CIESLAK: Ja, das ist immer die Gefahr. Ich würde aber behaupten, dass die Leute das nie mit sich machen lassen würden. Es ist auch eine Frage von Haltung, die man den Menschen gegenüber einnimmt – ob man sie ernst nimmt, und ein Interesse und Zuneigung aufbringen kann. Den festgefahrenen, medial und politisch immer wieder gebetsmühlenartig reproduzierten Standards möchte ich entgehen und einen ganz klaren Gegenpol setzen.

kreuzer: Wie schafft ihr das genau?

CIESLAK: Die einzelnen Situationen bleiben immer transparent, niemand muss hier eine Rolle spielen – und wenn er eine Rolle spielt, ist es klar, dass er spielt. Es sind immer reale Situationen. Wir haben eben kein abgezirkeltes Stück, das Spiel wird immer wieder gebrochen.

Einer der Schauspieler, die zusammen mit den Laien auf<br>der Bühne stehen: Andrej Kaminsky (Foto: R.Arnold/CT)
kreuzer: Schwierig wird es, wenn die Laien versuchen, so zu spielen wie die Schauspieler.

CIESLAK: Richtig. Aber genau diesen Modus des Schauspielers wird hier niemand annehmen. Und wenn er ihn mal annimmt, wird es immer gleich gebrochen. Auch die gespielten Szenen sind zitathaft und nicht vermeintlich realistisch gekennzeichnet.

kreuzer: Und dann sitzen im Theater lauter wohlhabende Städter und sehen sich die »echten« Menschen an. Das wäre dann wieder sehr fern von einem selbst, weil man damit ja doch nichts zu tun hat.

CIESLAK: Was heißt Nähe und was heißt Ferne? Wir machen zunächst einmal einen unterhaltsamen Abend, und dann erfährt man etwas über Menschen, die in unserer Wahrnehmung extrem marginalisiert sind. Es sind Repräsentanten eines Wissens, das es so nicht mehr gibt.

kreuzer: Aber die Braunkohle ist doch noch sehr präsent in den entsprechenden Regionen. In den Familien, in den Erinnerungskulturen.

CIESLAK: Ja, aber nicht mehr so wie früher. Früher war es bestimmend für die Braunkohle, dass Wissen weitergegeben wird – von Großvater zu Vater, von Vater zu Sohn. Lebensgeschichten sind an diese Industrie gebunden. Die Bodenständigkeit, die durch die Tradition entstanden ist, ist nun gebrochen. Das Wissen des Alltags in dieser Industrie ist entwertet. Das kann man als moderner Stadtmensch, der von einem Job zum anderen springt, kaum noch nachvollziehen. Es ist eine ganz andere Intensität, eine andere Mentalität. Egal, ob ich mich für Braunkohle interessiere oder nicht, es ist dennoch interessant, eine andere Welt und ein anderes Lebenskonzept kennen zu lernen.

kreuzer: Spielt da ein didaktischer Anspruch in dein Theater mit hinein?

CIESLAK: Nein, gar nicht.

kreuzer: Aber der Anspruch, Wissen an andere Generationen weiter zu geben, klingt schon ein bisschen nach Belehrung …

CIESLAK: Ich kann die Wissenslücke ja gar nicht füllen. Es geht darum, dass etwas interessant ist. Und es soll mein eigenes Leben reflektieren. Man schaut eine andere Welt an, um sich selbst zu reflektieren. Hier zum Beispiel ist der Verlust einer Lebenswelt das Thema. Mich interessiert daran, wo dieses Gefühl herkommt, was da vermisst wird. Wenn man das herausschält, dann kann man sich auch fragen, was einem heute fehlt.


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