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»329.758 km² Vielfalt II«

Mit dem <em>kreuzer</em> auf die sieben Weltmeere – Der neue Blog auf <em>kreuzer</em> online (Teil 6)

  »329.758 km² Vielfalt II« | Mit dem <em>kreuzer</em> auf die sieben Weltmeere – Der neue Blog auf <em>kreuzer</em> online (Teil 6)

Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. In Malaysia wandelt sie auf grauem Asphalt, weißem Sand und grünem Moos.

Unsere »kreuzer-Auslandskorrespondentin« Ele Jansen hat sich auf große Fahrt begeben und berichtet in einem exklusiven Reise-Blog über ihre Erlebnisse vor Ort. In Malaysia wandelt sie auf grauem Asphalt, weißem Sand und grünem Moos.

Die Perhentians sind zwei relativ kleine Inseln mit verhältnismäßig wenig entwickelter touristischer Infrastruktur. An den Stränden sind jeweils eigene Bootsanleger, über kleine Dschungelpfade gelangt man zu den Nachbarstränden. An den Hauptstränden reihen sich Hütten und kleine, einfache Restaurants, die auf Rucksackreisende ausgelegt sind. Dazu ein paar Tauchstationen, Verleiher von Schnorchel- und Surfausrüstung – das war’s dann schon. Strom gibt es nur ein paar Stunden am Tag. Nur am Ende des »Coral Beach« thront ein Resort, das eine neue Zeit einläutet. Abends esse ich mit zwei netten Berlinern Barbecue, zu unseren Füßen die seichte Brandung. Der »Chef de Cuisine« erzählt, wie der Paket-Tourismus immer mehr Orte erreicht, die bisher von Individual-, meist Rucksackreisenden besucht wurden. Er sieht es problematisch, da seines Erachtens von den Resorts nur die großen Veranstalter profitieren und vielen Kleinunternehmern die Lebensgrundlage entzogen werden könnte.

Die Cameron Highlands, zu denen ich als nächstes aufbreche, sind nicht unbedingt das, was man ein typisches Reiseziel nennt: Das mit 15-27 Grad Celsius kühle, oft neblig-regnerische Hochland (bis 2.200 Meter über dem Meeresspiegel) ist die Speisekammer Malaysias. Hier werden 50 Prozent des im Land verzehrten Gemüses und Massen von Tee angebaut. Bei kühlen 14 Grad stehe ich auf moosigem Gras vor meinem Guest House und lasse meine leichte Leinenkleidung vom Regen durchweichen. Für den nächsten Tag nehme ich mir eine Wanderung zur größten Blüte der Welt (bis zu einem Meter im Durchmesser) vor.

Doch manchmal kommt es auch auf den Versuch an, sich treiben zu lassen, gar nichts Bestimmtes vorzuhaben. Wenn einen das Bett morgens nicht loslässt und die Beine nicht loslaufen wollen, sollte man die Hummeln im Hintern getrost ausblenden und die Reize der Natur sich selbst überlassen ... so wie an diesem Tag. Mein kleiner Spaziergang brachte mich gerade mal um die Ecke bis zu »Tan’s Camelia Garden«. Als ich die Camelien bewundere, lächelt der chinesische Gärtner und fragt, ob ich Blumen mag. Er zeigt mir, wie er die Samen einer Anturie einsammelt und wie er sie wieder setzt. Eine Stunde und diverse Pflanzengattungen später sitzen wir auf der Terrasse seines kleinen Ladens und er erklärt mir den chinesischen Kalender und dass inzwischen viele Zeitungen und Bücher in China nicht mehr traditionell von rechts nach links, sondern dem westlichen Vorbild entsprechend, von links nach rechts gesetzt werden. Er erklärt mir das politische System Malaysias und dass der amtierende »König der Könige« seine Zeit am liebsten auf seinem Gestüt in den Cameron Highlands verbringt. Er freut sich, dass ich – genau wie er – Linkshänder bin. Kurz darauf lächelt er verlegen; ich sehe kaum seine Iris in den schmalen Augen. Es sei ja nicht so schlimm, aber »rechts« sei die Seite der »Frau« und »links« sei die Seite des »Mannes«. Als Linkshänder(in) werde ich wohl Zeit meines Lebens einige männliche Eigenschaften behalten, meint er. Ich lache kurz auf und schüttele ihm zum Abschied kräftig die Hand.

Keine Wanderung, keine Riesenblume, kein Museumsbesuch hätte mir einen so unterhaltsamen und interessanten Vormittag bereiten können.

Am nächsten Tag melde ich mich aber doch zu einer Tour an. Als am viel zu frühen Morgen ein »Defender« die Auffahrt herauf kommt, freue ich mich wie ein kleines Kind über mein Lieblingsauto, das in Leipzig ziemlich Fehl am Platz, hier aber genau richtig ist. Ich klettere auf den Vordersitz, während die restlichen sechs Teilnehmer des Ausflugs auf den Rückbänken Platz nehmen. Unser Naturführer heißt Bob und ist ein viel wissender Komiker. Unser Ziel heißt »Mossy Forest«, was ein Franzose an Bord aufgrund der Aussprache für einen »Mozzy Forest« hält, also einen Mückenwald. Genau das Gegenteil ist der Fall. »Mossy« meint »moosig« und aufgrund der Höhe und der eigentümlichen Biosphäre gibt es dort keine Mücken.

Auf dem Weg dorthin durchqueren wir weitreichende Teeplantagen. Das Hochland ist geschwungen wie die Rhön, aber mit den flach getrimmten Teesträuchern sieht es aus, als wäre changierend grün gemusterter Brokat über die 8000 Morgen Bergland gelegt worden. Ursprünglich wachsen Teebäume einige Meter hoch, für den Anbau werden sie allerdings auf Hüfthöhe gestutzt, damit sich die frischen Blätter der Krone leichter ernten lassen. So sehen sie aus wie akkurat gepflegte Hecken englischer Parkanlagen, dicht aneinander gepflanzt, nur von schmalen Erntepfaden durchzogen. Geerntet wird vornehmlich von Hand; für die minderen Qualitäten mit Hilfe von tragbaren, lärmenden Maschinen. Da die Arbeit mit knapp vier Ringgit pro Tag (1 Euro) schlecht bezahlt ist, arbeiten in den Hängen fast ausschließlich Bangladeshi, Philippino und Nepalesen. Ein Arbeiter schafft maximal 20 Kilogramm pro Tag. Aus 200 Kilogramm frischem Tee erhält man nach Verarbeitung 45 Kilogramm losen, getrockneten Tee.

Irgendwie ist es mit Tee wie mit Wein. Wie bei Reben steigt mit dem Alter der Teebäume die Qualität der Ernte. Die Büsche hier sind 50-80 Jahre alt, in China gibt es welche, die bis zu 300 Jahre alt sind. Beim schwarzen Tee gibt es drei Qualitäten, erläutert Bob. Die größten, dunkleren Blätter werden zu einem eher bitteren Tee, der hier mit viel Milch und Zucker getrunken wird (wie zum Beispiel der Milk Tea, den ich an den Straßenständen täglich trinke). Die nächste Stufe ist etwas weniger bitter und die jungen, hellgrünen, zarten Blätter ergeben einen milderen Tee, der ohne Milch und nur (gegebenenfalls) mit etwas Zucker getrunken werden sollte. Aus den gleichen Büschen wird auch grüner und weißer Tee hergestellt. Beim weißen Tee werden nur die jüngsten, noch eingerollten Blätter verwendet. Dementsprechend leicht und wertvoll ist der Tee – er sollte deshalb nicht länger als drei Minuten ziehen. Wow, ich komme als Tee-Experte nach Hause.

In China, so erzählt Bob, gebe es einen Tee, der vor hundert Jahren geerntet wurde. Ein Tasse davon koste 8.000 Ringgit (1.800 Euro). Wenn er davon mal kosten dürfe, würde er vorher ein »Wie-schmecke-ich-Tee-richtig-Seminar« besuchen. Ich denke an das Zitat von Miranda July und nehme mir vor, meinen minderwertigen Milk Tea künftig zu würdigen, als wäre er hundert Jahre alt:

„I rush through life as if I’m being chased. Even things whose whole point is slowness, like drinking relaxing tea. When I drink relaxing tea, I suck it down as if I was in a contest for who can drink relaxing tea the quickest.“

Weitere holprige fünf Kilometer bergauf erreichen wir unser eigentliches Ziel. Bevor wir überhaupt den Einstieg des Mooswaldes erreicht haben, hat Bob schon mindestens zehn Pflanzen am Wegesrand erläutert. Er wird uns nicht alle 7.000 Pflanzenarten des Mooswaldes zeigen, aber er redet so schnell und begeistert, als wolle er es zumindest versuchen. »Malastuman Nutricum«* helfe bei Blutegelwunden, bei Asthma und Erkältungen, und mache Haare weich und Garfleisch zart. Das Sulfit vom »Cladmos« sei früher für Schießpulver und den Blitz der ersten Fotoapparate verwendet worden. Wasser aus Lianen sei meist giftig. Viele Blätter auch. Man solle sie im Notfall erst an der Haut testen, bevor man sie isst. Der Stamm von Bananenbäumen hingegen sei unbedenklich und schmecke wie Salat. Die Blätter solle man in der Not allerdings meiden, weil der Duft den Appetit anregt. Wenn man sich merkt, wie die Blätter der »Simalate« aussehen, könne man die roten Knollen, die »Blood Potatoes«, ausgraben und verzehren. »Bilberry« riecht wie Minze und werde gerade hoch gehandelt als Impf-Wirkstoff gegen Krebs. Die Samen von »Citronella« könne man alternativ als Pfeffer verwenden. Farne seien im Ernstfall nicht nur eine gute Tarnung, sondern auch als Waldkosmetik geeignet. Die mehrere hundert Arten des »Wild Ginger« seien das »Aspirin des Waldes« – fast universell einsetzbar. Auch schön zu wissen: Ingwer-Tee hat laut Bob viele Antioxidantien, rettet den Körper nach Alkohol oder Jetlag und hält wach.

Ich bin erschlagen von all den Informationen und frage mich, wieso ich das Stadtleben der Natur immer wieder vorziehe. Mir ist warm, als Bob endlich auf den Einstieg in den Mooswald weist. »Guys, I turned on the natural air condition for you. Let’s have a walk under the canopy.« Wahnsinn. Ich trete von dem breiten Weg in den Wald, wo der Pfad nur noch 30-60 Zentimeter breit ist. Es ist bestimmt 5-10 Grad kühler und der Boden fühlt sich an, als würde man auf einem Schwamm laufen. Bob erklärt auch gleich, warum: Der Untergrund sei Humus und Moos, durchsetzt mit den Wurzeln der Bäume. Wir wippen auf dem nachgebenden Boden. Der Wald hier sei 220 Millionen Jahre alt, die »Liver Wood«-Bäume seien aus Unterwasserpflanzen entstanden und hätten noch heute deren Merkmale. Die Cameron Highlands bezögen 70 Prozent ihres Wassers aus diesen Wäldern. Erst, als wir tief im Wald die voll gesogenen Moose auf Boden, Bäumen, Ästen (und sowieso überall) sehen, können wir annähernd ermessen, wie dieser natürliche Wasserspeicher funktioniert. Auf dem Rückweg sehen wir Fleisch fressende Blüten und probieren frischen Kardamom und feuchte Zimtrinde, auf der ich noch auf unserer Fahrt zurück in die asphaltierte Welt kaue. Abends gibt es im Hostel (wieder) »Slumdog Millionaire« zu sehen, und ich denke, so gemütlich auf die Couch gelümmelt, dass die Zivilisation doch angenehmer ist, als der nasse Wald.

Tags drauf verlasse ich das Hochland in Richtung Flughafen. Dank der 27 Billigfluglinien in Südostasien ist es inzwischen vergleichsweise leicht, nach Borneo zu kommen. Kuching und Kota Kinabalu werden meine Ausgangspunkte für Ausflüge in die »Mystery-Box Borneo«. Ele Jansen

* Achtung, ich bin kein Botaniker. Die Namen sind phonetisch nach dem stark akzentuierten Englisch von Bob rekonstruiert. Meine Recherche führte nicht immer zum gewünschten Ergebnis. Vielleicht weiß jemand näheres zu den beschriebenen Pflanzen?

Bildergalerie zu dieser Folge hier. Karte mit Routenverlauf und Etappenbeschreibungen hier.


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