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Kultur

»Ich habe nichts zu sagen – deshalb male ich«

Aris Kalaizis über Malerei in Krisenzeiten, die gesellschaftliche Relevanz von Kunst und die Demut des Anfangs

  »Ich habe nichts zu sagen – deshalb male ich« | Aris Kalaizis über Malerei in Krisenzeiten, die gesellschaftliche Relevanz von Kunst und die Demut des Anfangs

Der Maler Aris Kalaizis, 1966 als Sohn griechischstämmiger Eltern in Leipzig geboren, hat sich mit unbehaglichen, realistischen Darstellungen einen Namen gemacht. Er schuf das Titelbild der aktuellen kreuzer-Ausgabe und ist ab 1. Mai mit simultanen Einzelausstellungen in den Leipziger und Berliner Räumen der maerzgalerie präsent. Das ungekürzte Interview aus der aktuellen Ausgabe des kreuzer

Der Maler Aris Kalaizis, 1966 als Sohn griechischstämmiger Eltern in Leipzig geboren, hat sich mit unbehaglichen, realistischen Darstellungen einen Namen gemacht. Er schuf das Titelbild der aktuellen kreuzer-Ausgabe und ist ab 1. Mai mit simultanen Einzelausstellungen in den Leipziger und Berliner Räumen der maerzgalerie präsent. Das ungekürzte Interview aus der aktuellen Ausgabe des kreuzer.

kreuzer: Bildende Kunst hat immer schon scheinbare Gewissheiten der Wahrnehmung aufgebrochen. Viele Überzeugungen unserer Normalität beginnen derzeit krisenhaft zu erodieren. Bietet Kunst eine Möglichkeit, das Instabile, Verwirrende als positives Element in politische und gesellschaftliche Diskussionen einzuführen?

ARIS KALAIZIS: Wie wir gerade aus der jüngeren Geschichte des 20. Jahrhunderts wissen, hat Kunst oft einen kompensatorischen Charakter bewiesen und dadurch nicht selten den Weg in das Andere, das Neue geebnet. Im Grunde aber ist die Kunst doch immer eine Art Chiffrenschrift des gesellschaftlichen Lebens gewesen – ganz gleich, ob man sich als Künstler der Problematik gesellschaftlichen Daseins annimmt oder verweigert. Oft haben sogar die Verweigerer, diejenigen also, die keine Lust auf ein Verfolgungsrennen mit der Wirklichkeit hatten, in ihren Texten oder Bildern eine subtilere Stimmung ihrer Zeit vermitteln können.

kreuzer: Müsste sich die Kunst – und mit ihr der Künstler – jenseits vom Börsenwert der Leinwände nicht viel mehr einmischen in die Ausgestaltung einer zivilen Gesellschaft?

KALAIZIS: Die Frage nach der Diskrepanz zwischen Ethik und Ästhetik stellt sich so nicht, da ich glaube, dass in jedem Gedicht und in jedem Gemälde auch ein bisschen Moral steckt. Ich würde im Gegenteil behaupten, dass wir im Kunstbetrieb eine Überrepräsentanz des Ethischen erleben. Man schaue sich nur die wichtigsten Großausstellungen an. Aber auch immer mehr öffentliche Ausstellungshäuser sehen sich diesem Ansatz verpflichtet. Mir ist das alles viel zu rationalistisch, viel zu wissenschaftlich. Kunst hat doch nichts mit Wissen zu tun und Wissen primär nichts mit Kunst. Auch glaube ich, dass der Gestus der Avantgarde, sich gleichzumachen mit der Wirklichkeit, verbraucht ist. Oft sehe ich in den Ausstellungen keine Unterscheidungen zwischen Journalismus und Kunst. Mit Kunst aber – so wie sie verstehe – sollte doch das Fenster zu einer anderen Welt geöffnet werden, in dem die Gesetze der Rationalität außer Kraft gesetzt sind. Ich finde, die Künstler sollten vielmehr dafür plädieren, was sie alleine können, und nicht dafür, was sie auch können.

»Das Ritual«, 150 x 180 cm, 2008
kreuzer: Der Kulturwissenschaftler Peter Sloterdijk hat einmal behauptet: »Das Kunstwerk der Moderne ist ein Zeugnis dafür, dass menschliche Beiträge zum Glück möglich sind.« Nach seiner Meinung allerdings nur, wenn die Kunst sich vom kommerziellen Kunstbetrieb fern hält – sonst »faltet sie ein«.

KALAIZIS: Dem würde ich – bei aller Sympathie für diesen Denker – nur bedingt zustimmen, weil ich zunächst zwischen Kunstwerk und Künstler unterscheiden würde. Ein Kunstwerk kann sich nicht dagegen wehren, vom kommerziellen Kunstbetrieb aufgenommen zu werden. Ein Künstler allerdings kann sich sehr wohl zu seiner Marktnachfrage positionieren. Und wenn wir vom Markt reden, müssen wir die Galerien erwähnen. Ohne sie gäbe es keinen Markt. Der Künstler kann natürlich – wie es oft geschieht – recht unreflektiert im Hinblick auf das eigene Werk, diesen Markt mit weiteren Bildern füttern. Er kann diesen Markt aber auch aus dem Augenwinkel beobachten, analysieren und danach weiter an der Feinjustierung seines Projektes arbeiten. Ich habe für mich beschlossen, weniger Bilder – die dafür umso aufwendiger hergestellt werden – zu produzieren. Es sind ja im Grunde nicht mehr als 8 bis 10 Bilder pro Jahr. Ich tue dies nicht, um eine Knappheit zu erzeugen. Ich verknappe, um meine Bilder in der Mehrzeit auf ein qualitativ höheres Level zu hieven. Oft bin ich dann im Nachhinein enttäuscht – so wie die Illusionen dafür da sind, enttäuscht zu werden. Dennoch: Auf’s Ganze betrachtet, hat es sich immer gelohnt, innezuhalten. Aber im Grunde halte ich den Markt – um auf deine Frage zurückzukommen – immer noch für den besten Beurteilungs- und Bewertungsplatz. Im Übrigen sind ja in der Finanzwirtschaft nicht die Märkte gescheitert, sondern die Kontrollfunktionen über die Märkte.

kreuzer: Man könnte dem entgegenhalten, dass, je weniger Menschen in der Lage sind, den »Beitrag zum Glück« der Kunst zu erspüren, desto mehr dafür bezahlen – in Form einer Art Subprime-Investment, das der Kunstmarkt allzu gerne füttert: Nur wenige verstehen das Produkt, aber alle glauben ans diffuse Rating und die Wertsteigerung.

KALAIZIS: Ich würde zunächst einmal für ein Lob der Unterscheidung plädieren. Deine Frage ist mir – mit Verlaub – etwas zu ungenau. Sicher, es gibt unter den zeitgenössischen Kunstkäufern wenige, die selbstbestimmt agieren. Ja, die Mehrheit ist nun einmal, wie die gesamte Menschheit auch, fremdbestimmt. Sie ist stets von anderer Meinung abhängig und bestätigt auf ein Neues, dass der Mensch ein Herdentier ist. Der Investment-Typus, den du ansprichst, dürfte jedoch beim derzeitigen Stand der Dinge kalte Füße bekommen und rechtfertigt zurecht deinen Vergleich mit dem Kunst-Investment. Aber es gibt auch jene passionierten Kunstsammler unterschiedlichster Profession, die einen Künstler über einen längeren Zeitraum beobachten und einzelne Werke zu verschiedener Zeit erwerben. Diese Menschen bewegen sich zwischen arm und reich. Ihre Leidenschaft heißt Sammeln, richtiges Sammeln, obsessives Sammeln – und sie tun dies nicht selten am Rande des finanziellen Abgrunds. Keine Frage: Einige wollen und die wenigsten können Kunst besitzen. Das war so und wird immer so bleiben. Dennoch – jenseits aller Besitzkategorien – der wunderbar demokratische Ansatz, dass Kunst – zunächst – für alle da ist!

»Making Sky«, 190 x 210 cm, 208
kreuzer: Die Unterscheidung ist mit Sicherheit wichtig, aber würdest du soweit meiner Behauptung folgen, dass der Wert, den Kunst einnimmt, weitgehend Ergebnis ihrer medialen Inszenierung ist – mit den bekannten Folgen?

KALAIZIS: Keine Frage, dem habe ich überhaupt nichts entgegenzusetzen. Ich würde in diesem Zusammenhang nur kritisch hinzufügen, dass es nicht nur eine Mainstream-Malerei gibt, sondern auch einen Mainstream-Journalismus, der diese medialen Inszenierungen zusätzlich zementiert. Dieser Typus agiert nicht investigativ, sondern bezieht seine Information recht unfiltriert aus zweiter oder dritter Hand.

kreuzer: In deinen Werken beschäftigst du dich mit irritierenden und untergründig bedrohlichen Beziehungen von Menschen zu Menschen und zu Umgebungen. Woran leidest du? Spielst du mit der Angst des Betrachters vor dem Abgrund? Oder müsste heute, um es mit Francis Bacon zu sagen, »ein wirklich guter Künstler aus der ... Situation ein Spiel machen«?

KALAIZIS: Ich bin Epikuräer, kein Christ. Infolgedessen könnte ich allein aus dem Leid keine Kraft beziehen. Ich muss stets ergriffen sein vom jeweiligen Sujet, sonst läuft nichts. Und das erreiche ich nur durch eine Ergriffenheit, die zu einer Freude bei der Umsetzung führt. Dabei ist es ganz gleich, ob ich etwas Heiteres oder etwas Tragisches darstelle. Selbst wenn ich mir vorstelle, das Leid einer Kreuzigungs-Szene darzustellen – wenngleich man heute fragen kann, welche Bedeutung eine Kreuzigung in unserer Zeit hat – so ließe sich dies, für mich gesprochen, nur mit einer gewissen Freude glaubhaft umsetzen. Und in der Tat glaube ich, dass Maler wie Ribera oder El Greco in ihren Kreuzigungs-Szenerien und selbst ein Maler wie Grünewald bei der Ausführung des Isenheimer Altars, Freude empfunden haben müssen, sonst würde uns dieses Leid nicht derart bewegen. Als mein Vater starb, glaubte ich auch, mein Leid durch Malerei bewältigen zu müssen. In der Folge entstand jedoch nichts, kein Blatt, kein Gemälde. Heute weiß ich, dass man solche Situationen zunächst für sich aushalten muss, bevor sie zur Form gelangen können. Wer leidet, macht doch außerdem andere leidend.

kreuzer: Du betonst häufig, dass für dich formale Fragen wie Licht, Farbwirkung, Komposition im Vordergrund stehen und erst in zweiter Linie die Figuren in deinen Bildern. Kann man das so trennen?

KALAIZIS: Die Figuren sind ja auch Teil der Komposition, aber im Grunde stimmt es schon, dass für mich die einzelnen Fragen des formalen Bildaufbaus dringlicher sind, wenngleich ich zugestehe, dass meine Bilder über die Jahre doch erzählerischer geworden sind. Als Basis blieb mir jedoch immer die Strenge des Bildhintergrundes, der für mich mehr als bloße Kulisse ist, da er im weiteren Verlauf des Malens mehrere Zwischenräume eröffnet. Oft variiere ich in diesen Zwischenräumen malerisch. Diese Zwischenräume aber haben – formal betrachtet – den gleichen Stellenwert für mein Arbeiten. Oft variiere ich dann in diesen Zwischenräumen malerisch, wird eine Bildstelle großzügiger gemalt, geschieht dies vor dem Hintergrund, mich an einer anderen Bildstelle festzubeißen, um diese zu verdichten. Und dieses Pendeln zwischen den Möglichkeiten ist – zu meinem Leidwesen – immer gegenwärtig, sowohl beim Bildentwurf, als auch bei der Bildausführung. Nicht selten sind dabei die Entwürfe zeitraubender als die eigentliche malerische Umsetzung. Ziel ist die Konstruktion eines Mikrokosmos, den es so in unserer Welt nicht gibt, der aber den Anschein erweckt, als gäbe es ihn wirklich. Nein, um auf deine Frage zurückzukommen, ich mache mich nicht zum Erfüllungsgehilfen dessen, was uns ohnehin täglich durch Presse und Fernsehen um die Ohren geschmettert wird. Auch wird man doch nicht zu einem Maler, weil man originelle Ideen hat oder eine bestimmte Haltung zu Politik und Geschichte entwickelt hat, die zu haben ja ohnehin allzumenschlich ist. Wir können unseren Platz als Maler doch nur finden, wenn wir eine spezifische Bildsprache entwickeln. Wodurch sonst soll sich denn ein Maler definieren? Bildthemen haben für mich nie eine große Rolle gespielt. Ich habe keinen Stoff, der mich umtreibt, und erst recht keinen, der den Gelehrten befriedigen könnte. Also gilt es, zu bestehen und dies kann das Vielfältigste hervorrufen. Ich habe auch nichts zu sagen, vielleicht male ich deswegen.

»Europa«, 200 x 220 cm, Titelbild kreuzer 04/09
kreuzer: Wie stark haben sich seit dem Hype um die Leipziger Schule die Bedingungen für künstlerisches Schaffen hierorts verändert?

KALAIZIS: Als ich in Leipzig 1992 mein Malereistudium anfing, interessierte sich kein Mensch für Malerei. Ich habe auch während der gesamten Studienzeit kein einziges Bild verkaufen können. Trotz allem war der Entschluss, zur Unzeit zu studieren, absolut richtig, denn die finanziellen Umstände zwangen mich noch mehr, mein Projekt voranzutreiben, und erst das machte mich robust. Heute weht an der HGB ein anderer Wind. Eine studentische Mehrheit wird mit einer deutlicheren Verheißung auf schnellen Erfolg angezogen. Natürlich braucht ein Student der Malerei auch Geld zum Leben. Das Problem ist nur: Wenn das Geld vor dem eigentlichen malerischen Entwurf kommt, sehen sich auf dem Weg befindliche Studenten weniger genötigt, sich und ihre Arbeit zu hinterfragen. Dass wir uns nicht falsch verstehen: Ich glaube nicht an den Bildungswert von Armut, ich glaube nur daran, dass ein Jungmaler auch eine demutsreiche Zeit erfahren haben muss, denn eine Niederlage kann einen eher auf den Weg bringen, als Erfolg, der oft leichtsinnig macht. Wenn man später reift und ein bisschen Glück hat, dann bekommt man alles wieder zurück. Und was gibt es denn Schöneres für ein Menschenleben, als so einer Tätigkeit nachzugehen?


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