anzeige
anzeige
Kultur

Der Jazz ist tot! Lang lebe der Jazz!

Wille zur Selbstrevolution: Die Leipziger Jazztage starten mit ihrem neuen Chef Stefan Heilig eine Verjüngungskur

  Der Jazz ist tot! Lang lebe der Jazz! | Wille zur Selbstrevolution: Die Leipziger Jazztage starten mit ihrem neuen Chef Stefan Heilig eine Verjüngungskur

»Der Jazz ist tot, verdammt noch mal!« Das sagte schon Miles Davis, und der ist auch längst tot. Louis Armstrong tot. Charlie Parker tot. John Coltrane tot. Und die Hörer? Zwischen siebzig und scheintot.

»Der Jazz ist tot, verdammt noch mal!« Das sagte schon Miles Davis, und der ist auch längst tot. Louis Armstrong tot. Charlie Parker tot. John Coltrane tot. Und die Hörer? Zwischen siebzig und scheintot.

Jazz? Das ist doch diese Rentnermusik dickbäuchiger, bärtiger Biertrinker, die mit den Beinen wippen, sich »keep swinging« zurufen und nach jedem Solo in die Hände klatschen. Jazz? Das ist doch dieses nervtötende Banjo-Tuba-Gedudel oder dieser ambitiöse Freejazzkrach.

Jazz hat bei vielen jungen Leuten nicht gerade den besten Ruf. Das weiß auch Stefan Heilig, der seit August letzten Jahres neuer Geschäftsführer des Jazzclubs Leipzig ist und damit Chef der Leipziger Jazztage, die sich vom 21. bis 30. August zum 33. Mal jähren. Damit ist das Festival genauso alt wie sein Boss, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt. Schließlich muss sich Heilig zwischen den Festivalbesuchern wie ein jugendlicher Außenseiter vorkommen.

»Die Auslastungszahlen im Opernhaus in der Vergangenheit zeigen uns, dass wir zu wenige ermäßigte Karten verkauft haben. Das heißt, uns fehlte dort vor allem das junge Publikum«, konstatiert Heilig. »Ich bin mir aber sicher, viele junge Leute wissen einfach gar nicht, dass sie Jazz mögen.« Solange diese jedoch nicht in die Oper kommen, kommen die Jazztage eben zu ihnen.

So weiht die Reihe »Junge Strecke« gleich drei neue Spielstätten ein. Den Auftakt macht das Schreberbad mit mehreren Djanes am beleuchteten Pool, gefolgt von einer Party im Werk II. Mit aufwendigen Visualisierungen tritt im UT Connewitz schließlich der Fusion-Gitarrist Eivind Aarset auf.

»Die Reihe erkundet Schnittstellen zwischen Jazz und Elektro. Wir wollen zeigen, wie weit der Jazz reicht, und hoffen auf einen Aha-Effekt«, sagt Heilig. Und das lässt sich das Festival einiges kosten. Mit dem »Junge Strecke«-Pass zahlt man für alle drei Konzerte bloß 14 € und kann für zusätzlich 9 € einen ganzen Abend in der Oper verbringen.

An der Oper wollen die Jazztage auf jeden Fall festhalten, obwohl man dort vom Oktober in den August verdrängt wurde. Das Festival will mit dem verstaubten Image des Opernhauses brechen. »Entscheidend ist nicht nur der Ort, sondern das Publikum und das, was dort passiert«, meint Heilig. Entscheidend dafür aber ist, ob er den Altersdurchschnitt wirklich senken kann.

Bis dahin gelingt der Balanceakt zwischen den Generationen vor allem auf der Bühne. »You can’t be in the present, if you haven’t been in the past«, sagt der Trompeter Eddie Henderson. In diesem Sinne kommt eigens fürs Festival das Transatlantic Freedom Suite Tentet zusammen und vereint vier Generationen von Musikern aus vier Nationen. Mit dabei: Wadada Leo Smith, Bare Philipps, Günter »Baby« Sommer und Ernst-Ludwig Petrowsky, dem die Anekdote anhängt, bei den 14. Leipziger Jazztagen im Herbst 89 während eines Konzertes über die Abhörpraktiken der Stasi gesprochen zu haben.

Zu erleben sind auch der Blue-Note-Bassist Avishai Cohen mit einer romantischen Gesangseinlage, der »Zenfunk«-Pianist Nik Bärtsch, die Smooth-Jazz-Sängerin Rigmor Gustafsson, Posaunist Ray Anderson, Marty Ehrlich, Marc Ribot, Wolfgang Haffner, Adam Baldych und nicht zuletzt der quirlige Leipziger Universitätsmusikdirektor David Timm als Jazzorganist in der Reformierten Kirche. Überdies haben alle Kinder bis 14 Jahre freien Eintritt zum Brass-Band-Konzert in der Oper.

Verantwortlich für das Programm ist seit dem Generationswechsel beim Jazzclub im letzten Jahr nicht mehr ein künstlerischer Leiter wie lange Zeit Bert Noglik, sondern ein Kuratorium, dem unter anderem mehrere Musiker angehören.

Zwar sitzt Stefan Heilig als neuer Geschäftsführer dem Kuratorium bei, sieht sich selbst aber eher als Verwalter. Seine Leidenschaft fürs Kulturmanagement entdeckte der Amateurmusiker und Jurist schon in frühen Jahren bei seinen Reisen als Sänger im Jugendchor der Dresdner Philharmonie. Noch bevor er für die Kulturstiftung Sachsen Projekte betreute, assistierte er im Management der Sidney Theatre Company. Gerade das könnte ihm jetzt beim dringend nötigen Ausbau des Sponsorings behilflich sein.

Frischen Wind haucht der Kulturmanager auch der hiesigen Jazzszene ein. Schon jetzt trägt Heilig dazu bei, dass die Jazzabteilung der Musikhochschule, die Initiative Leipziger Jazzmusiker (LeipJAZZig) und der Jazzclub in einen neuen Dialog getreten sind und demnächst sogar ein gemeinsames Jazzlokal eröffnen wollen.

Der Wille zur Selbstrevolutionierung des Jazzclubs und seines Festivals ist immens. Ganz so, als würden die Leipziger Jazztage einem Wesenszug ihrer Musik nacheifern. Der Jazz ist tot! Lang lebe der Jazz!


Kommentieren


0 Kommentar(e)