Das hatte Symbolkraft: Joachim Brohm, der Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB), lädt Mitte August in den Anatomiesaal der Hochschule – alte Knochen an der Decke, alte Knochen an den Wänden –, um sich zum heißesten HGB-Thema seit Jahren zu äußern. Draußen im Treppenhaus piepst leise ausgerechnet ein Rauch-Melder vor sich hin. Ein paar Dezibel lauter wären dem Anlass angemessener gewesen, denn an der Kunsthochschule herrscht seit einigen Tagen Tumult, verbunden mit dem Namen Neo Rauch.
Das hatte Symbolkraft: Joachim Brohm, der Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB), lädt Mitte August in den Anatomiesaal der Hochschule – alte Knochen an der Decke, alte Knochen an den Wänden –, um sich zum heißesten HGB-Thema seit Jahren zu äußern. Draußen im Treppenhaus piepst leise ausgerechnet ein Rauch-Melder vor sich hin. Ein paar Dezibel lauter wären dem Anlass angemessener gewesen, denn an der Kunsthochschule herrscht seit einigen Tagen Tumult, verbunden mit dem Namen Neo Rauch.
Auslöser des Krachs war eine Personalie: Anfang August gab die Hochschule bekannt, dass der Kölner Maler Heribert C. Ottersbach die Nachfolge Rauchs im Amt eines Professors für Malerei und Grafik antritt. Der Leipziger Malerstar hatte die Stelle Ende des vergangenen Wintersemesters aufgegeben, um der Doppelbelastung in Hochschulgremien und Studentenateliers zu entfliehen.
Selbst schuld, sagen die, die Ottersbach jetzt an die HGB geholt haben. Das ist das Ende der Leipziger Schule, sagen die anderen. Die Berufung Ottersbachs – der dritte Kölner von insgesamt vier Malereiprofessoren an der HGB und ein konzeptueller Maler –, das sei eine »Richtungsentscheidung gegen die traditionelle Malerei Leipziger Provenienz«, meldete sich Rauch ungewöhnlich deutlich zu Wort.
Tatsächlich gab es einen Kandidaten für die Professur, den viele für den geeigneteren hielten: Michael Borremans, ein belgischer Top-Künstler, Galeriekollege Rauchs und ins Spiel gebracht vom Leipziger Malerstar. Borremans, so lautete Rauchs Kalkül, ist Maler und Filmemacher, eine Option also auch für diejenigen in der HGB, die sich schwertun mit der traditionellen Leipziger Malerei. Borremans sei »eine Eier legende Wollmilchsau auch aus anderen Fachrichtungen betrachtet«, sagte Rauch, künstlerische Champions League dazu: »Keine zweite Kunsthochschule auf der Welt würde an ihm vorbeigreifen.«
Doch die Berufungskommission ließ Borremans durchfallen. An der Frage, warum, entzündete sich nun ein Streit, der sich zur Grundsatzfrage über die Ausrichtung der Schule und über den Führungsstil von Rektor Brohm ausgeweitet hat. Denn fast alle außer dem Rektor und der Berufungskommission reagierten mit Unverständnis auf die Entscheidung. Rauch und andere erhoben öffentlich den Vorwurf, Ottersbach sei nur berufen worden, weil er ein enger Freund des Rektors sei – und weil er nicht für die traditionelle Leipziger Malerei stehe.
Den Vorwurf der Vetternwirtschaft spielte Brohm als »unverschämt« an Rauch zurück: Vielmehr würden sich Borremans und Rauch »ausgezeichnet kennen«. Dann machte Brohm klar, dass die Berufungskommission fachlich einwandfrei und ohne sein Dazutun entschieden habe. Schließlich kanzelte er einen Protestbrief ab, in dem Rauch-Schüler die Berufung Ottersbachs kritisiert hatten: Die Studenten sollten doch bitte »ihren Status auf realistische Weise reflektieren«.
Der Krach um die Personalie Ottersbach hat an der Schule grundsätzliche Kritik an Brohm ausgelöst. Die konzentriert sich auf drei Punkte: Erstens, die Berufung Ottersbachs setze ein Günstlingssystem fort, das der Rektor, gestützt auf intransparente Entscheidungen, seit Jahren praktiziere. Zweitens, er habe die Verabschiedung der neuen Grundordnung, einer Art Hochschulverfassung, dazu genutzt, Gewaltenteilung und Mitbestimmung massiv zu beschneiden. Drittens beabsichtige er, die traditionelle Leipziger Malerei, diesen Sonderfall an einer deutschen Kunsthochschule, ein für alle Mal zu entsorgen.
»Es ist auffällig, wie viele Bekannte und Freunde des Rektors sich mittlerweile in der Hochschule tummeln«, sagt Timm Rautert, inzwischen emeritierter Fotografie-Professor. Nach und nach ist es Brohm gelungen, immer mehr Stellen an der Schule mit Leuten zu besetzen, die seinem Netzwerk zugerechnet werden können. Das Berufungsverfahren für eine Fotografieprofessur vor zwei Jahren, so lautet ein Vorwurf, ließ Brohm platzen, um seinen Kandidaten Torsten Hattenkerl gegen die Widerstände von Studenten und Fachbereich durchzusetzen.
Über andere hochschulwichtige Personalien wird Ähnliches berichtet, begleitet von der Klage darüber, dass der Rektor, statt zu erklären, welches Gepräge er der Schule mit seinen Entscheidungen geben wolle, stets nur auf die formal-juristische Richtigkeit der Verfahren verweist – seien sie moralisch so angreifbar wie die im Ruch der Vetternwirtschaft stehende Ottersbach-Entscheidung oder der Fall Hattenkerl, als Brohm am Kommissionstisch saß und als Rektor gleichzeitig über die Annahme des Verfahrens zu entscheiden hatte. Einer Studentin, die damals dagegen protestierte, drohte er nach ihren Angaben mit rechtlichen Schritten.
Ist Brohm in diesen Punkten unsensibel oder nutzt er schlicht die Machtbasis, die er sich an der Hochschule aufgebaut hat? Der emeritierte Fotografie-Professor Rautert attestiert Brohm: »Er ist ein Stratege von großen Gnaden, der Dinge über Jahre plant.«
Die schwerwiegendste Kritik an ihm lautet daher, dass er die traditionelle Leipziger Malerei lieber heute als morgen aus der Hochschule fegen würde. »Dass sich Kunst und Kunstpraxis verändern, halte ich für eine normale und wünschenswerte Angelegenheit«, lautet ein Brohm-Satz, der diese Kritik eher bekräftigt als widerlegt. Von vier Malerei-Lehrstühlen an der HGB ist nach der Berufung Ottersbachs nur noch einer übrig geblieben, auf dem genuine Leipziger Malerei gelehrt wird. Mit Ottersbach kommen nun drei von vier Malerei-Professoren aus Brohms rheinländischer Heimat. Doch eine Frage ost-westdeutscher Karriere-Befindlichkeiten ist der Konflikt nur vordergründig. Um ihn zu verstehen, muss man weiter zurückgehen.
Die Malerei der Leipziger Schule war geboren aus dem Sieg, den die gegenständliche Malerei in der DDR der fünfziger Jahre über die als dekadent gebrandmarkte abstrakte Kunst erzielt hatte. Im Westen war es umgekehrt: Dort galt die abstrakte Malerei als modern, die figurative Malerei als rückständig. Durch ihre Dienstbarmachung für den Sozialistischen Realismus war sie ohnehin kompromittiert. In diesem Sinne sind Brohm und die Leute in seinem Netzwerk sozialisiert worden.
Als die HGB in den neunziger Jahren umgestaltet wurde, entließ man nicht nur politisch belastete Professoren, sondern versuchte, Anschluss an die im Westen angesagten Kunstdiskurse zu schaffen. Die Kunst, die jetzt gegen die Leipziger Malerei in Anschlag gebracht wurde, war zeitgenössisch im Wortsinn, ihre Protagonisten waren näher an den drängenden gesellschaftlichen Fragen und in der Lage, zwischen Themen und Medien zu wechseln. Das Behäbige und mitunter Defätistische der Leipziger Malerei war denjenigen, die in der Kunst einen Reflex der offenen, liberalen, leichtfüßigen Gesellschaft sehen wollten, ein Graus.
Dann reüssierten die Maler um Neo Rauch, Matthias Weischer, David Schnell oder Tilo Baumgärtel unter dem Label Neue Leipziger Schule. 2004, auf dem Höhepunkt des Hypes, schloss die Hochschulleitung mit der Begründung unzureichender hygienischer Bedingungen das HGB-Kellercafé, die Gerüchteküche und Initiationskammer der Hochschule, die sogar rigide DDR-Rektoren überstanden hatte. Und als die Sofas von den Gängen der Malereiflure verschwinden mussten, wurden Brandschutzgründe angeführt. Auch wenn es vielleicht keinen Großen Plan des Rektors hinter alldem gibt, psychologisch muss man das als eine Abwehr des Schmutzigen und Peinlichen deuten.
Der Prozess, aus der Akademie mit ihren in der DDR geprägten Eigenheiten eine »normale« Kunsthochschule zu machen, hält bis heute an. Ein Kulturkampf, zu dem gehört, dass eine Seite sich im Gefechtsstand wähnt, während die andere den Kampf leugnet und mit jovialer Geste sagt: »Zwanzig Jahre nach der Wende sind solche Ost-West-Geschichten nicht mehr angebracht.«
Ein klares Ziel, ein Bild für die Ausrichtung der Hochschule formuliert Brohm nicht. Er spricht lieber in Gemeinplätzen von »optimalen Bedingungen für jeden Fachbereich«. Auch der Vorwurf, er betreibe den Kehraus der Leipziger Malereitradition, muss deshalb an ihm abperlen. »Wenn er eine Vision hätte, könnte man wenigstens darüber streiten«, sagt ein künstlerischer Mitarbeiter der Hochschule.
Von den Gremien, in denen das möglich wäre, gibt es seit einigen Tagen ein paar weniger. Mitte des Monats trat an der Hochschule eine neue Grundordnung in Kraft. Brohm nutzte die Reform für eine Abschaffung der alten Fakultätsstrukturen. Wo unterhalb des Rektorats bislang Senat, Dekane und Fachbereichsräte mitzureden hatten, bleibt jetzt nur noch der Senat übrig, mit dem Brohm seine Gewalt teilen muss.