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Politik

Mein 9. Oktober, dein 9. Oktober, unser 9. Oktober?

Die Stadt Leipzig feiert sich selbst und den Leipziger Herbst 89, findet dabei aber nicht nur Zuspruch. Über mögliche und tatsächliche Kritik am Erinnerungsevent

  Mein 9. Oktober, dein 9. Oktober, unser 9. Oktober? | Die Stadt Leipzig feiert sich selbst und den Leipziger Herbst 89, findet dabei aber nicht nur Zuspruch. Über mögliche und tatsächliche Kritik am Erinnerungsevent

ERINNERN wird dieser Tage groß geschrieben. Die Stadt Leipzig präsentiert sich mit großem Spektakel in ihrem Gewand als Heldenstadt. Rund um den 9. Oktober finden die vielfältigen Jubiläumsfeierlichkeiten statt, gefeiert werden »20 Jahre Friedliche Revolution« und dabei insbesondere der Beitrag, den die Leipzigerinnen und Leipziger mit den Montagsdemonstrationen leisteten.

ERINNERN wird dieser Tage groß geschrieben. Die Stadt Leipzig präsentiert sich mit großem Spektakel in ihrem Gewand als Heldenstadt. Rund um den 9. Oktober finden die vielfältigen Jubiläumsfeierlichkeiten statt, gefeiert werden »20 Jahre Friedliche Revolution« und dabei insbesondere der Beitrag, den die Leipzigerinnen und Leipziger mit den Montagsdemonstrationen leisteten.

In diesem Jahr, wo sich auch das Bestehen der Bundesrepublik zum 60. Mal jährt, geht es den Initiatoren zusätzlich darum, deutlich zu zeigen, wie sehr »die Ereignisse von damals untrennbarer Teil der demokratischen Tradition der Bundesrepublik Deutschland« sind. Dem Veranstaltungsprogramm zufolge ist es außerdem erklärtes Ziel der Stadt, »das Thema neu in den Fokus zu nehmen und aufzuwerten« – und »zugleich soll der Tag der Friedlichen Revolution zu einer deutlich erkennbaren Botschaft im Rahmen des Stadtmarketings werden«.

Die relevanten Schlagwörter sind Freiheit, Demokratie, Friede und Revolution. Damit ist eigentlich schon das meiste gesagt. Die Stadt selbst und die Initiative »Tag der Friedlichen Revolution – Leipzig 9. Oktober 1989« haben ein umfangreiches Programm zusammengetragen. In diesem können auch Veranstaltungen anderer, nicht im Bündnis mit der Stadt aktiver Träger aufgenommen werden, allerdings nur nach sorgfältiger Prüfung. Es scheint die Befürchtung zu geben, dass nicht alle Veranstaltungen dem städtischen Maßstab entsprechen, nicht alle Formen des Erinnerns in den vorgegebenen und national wie international präsentabel geschnittenen Rahmen passen. Und das trotz der Parole »Mein neunter Oktober«, die mit dem Bild des kerzenschwenkenden Kindes zum Motiv der Kampagne der Initiativgruppe wurde.

Soll es hier nun also doch nicht um die individuellen Erinnerungen gehen und damit auch um strittige oder widersprüchliche Aspekte im Umgang mit diesen? Soll die Parole sogar von dieser Widersprüchlichkeit ablenken und eine inszenierte, vorkonstruierte, kollektive Erinnerung in den Vordergrund stellen, an der alle ganz befreit teilhaben können? Mein 9. Oktober, dein 9. Oktober, unser 9. Oktober? Geht es überhaupt noch um den tatsächlichen Umgang mit Geschichte oder doch vielmehr um ein aktuelles zukunfts- und marketingorientiertes Imagekonzept der Stadt, in Zuge dessen Geschichte zwar geschrieben und festgelegt, längst aber nicht mehr verhandelt oder befragt wird?

Dahingehend äußert sich auch die Kritik verschiedener Aktivisten aus dem Leipziger Westen. OBM Burkhard Jung sprach im Vorfeld der Gedenkfeierlichkeiten vom Fehlen der »aktiven Erinnerung« an den Herbst 89, von der eine ganze Generation betroffen sei. Diese Formulierung in all ihrer Undurchsichtigkeit aufgreifend, schlossen sich einige Leute spontan zu einem Arbeitskreis für aktive Erinnerungsarbeit (AFAEA) und der Initiative pro memoria zusammen, um vom 25. September bis zum 9. Oktober den Anlass zu nutzen, andere, kritische, ironische bis zynische Aspekte in den Erinnerungs- und Gedenkevent einfließen zu lassen.

Hier steht weniger die Frage im Vordergrund, woran erinnert wird, sondern wie dieses Erinnern eigentlich überhaupt stattfindet, wozu es Menschen in der Gegenwart bewegt, wie sie sich dazu verhalten. Das Programm vom so entwickelten »Licht-Spiel-Feld 2009« unter dem Motto »Und Du so?« enthält eine Vielzahl völlig unterschiedlicher, teils skurriler Veranstaltungen, die rund um das Jahrtausendfeld an der Karl-Heine-Straße stattfinden; es ist nicht festgelegt und – zentraler Bestandteil des Konzepts – ergebnisoffen. Hier kann und soll mitgemacht werden, bei den Übungen zum friedlichen Demonstrieren ebenso wie bei einem Theaterworkshop, einem Chor oder der feierlichen Einweihung einer »Friedens-Glucke«, die am 9. Oktober dann auch aufgescheucht und mit großer Schar und Chorbegleitung zum Lichtfest in der Innenstadt getrieben werden soll.

An den drei zentralen Veranstaltungstagen läuft außerdem abends jeweils ein Teil von Christoph Schlingensiefs Deutschlandtrilogie. »Schlingensief schont und verschleiert nicht, er zwingt den Zuschauer zur Auseinandersetzung«, sagt eine der Organisatorinnen aus dem Arbeitskreis. Und darum geht es den Leuten hier vor allem: Auseinandersetzung mit Geschichte(n), mit Erinnerungen, Gedenkspektakeln und den unterschiedlichen Haltungen, die diesen gegenüber eingenommen werden können.

Noch radikaler und mehr auf die Inhalte als die Form des Erinnerns ausgerichtet ist wiederum die Kritik, die aus dem Umfeld Leipziger antifaschistischer Gruppen bei einer Demonstration am 10. Oktober unter dem Motto »Still not lovin' Germany« auf die Straße getragen werden soll. Der Aufruf hierzu erläutert jenseits der grundsätzlichen Kritik an hegemonialer deutscher Erinnerungspolitik die Gründe für eine Absage an die Gedenk- und Erinnerungsfeierlichkeiten in Leipzig: »Die Revolution – ein Mythos, Die Freiheit – eine Farce, Deutschland – eine Zumutung«.

Es war 1989 weder friedlich, noch kann von Revolution gesprochen werden. Die Parolen von Freiheit und Demokratie sind Pathos, bei dem die Rufe nach Nation, nach Großdeutschland, nach Bananen und Kapitalismus verschwiegen werden. Was in Erfüllung ging, sehen wir heute. Dass Kritik am postulierten Gedenken der Stadt nicht gleichzeitig eine Ablehnung des Umgangs mit Geschichte bedeutet, zeigte eine Vortragsreihe im Vorfeld der Demonstration.

Dass eine Stadt wie Leipzig sich die Chance zum Großevent anlässlich des historischen Moments nicht nehmen lässt, ist selbstverständlich. Die hier nach außen getragene Interpretation der Ereignisse des Herbst 89 und der zugrunde liegende erinnerungspolitische Ansatz müssen sich jedoch ernstzunehmender Kritik aus verschiedenen Richtungen stellen. Diese sollte bei den Erinnerungsfeierlichkeiten unbedingt Beachtung finden,– sie könnte helfen, den Blick zurück in die Geschichte zu klären.


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