In den Jahren 1951 bis 1957 hatte die DEFA die Ehre, mit dem weltbekannten Dokumentarfilmer Joris Ivens sechs Filme zu produzieren. Vier davon sind in der Retrospektive des Dokfestivals zu sehen.
In den Jahren 1951 bis 1957 hatte die DEFA die Ehre, mit dem weltbekannten Dokumentarfilmer Joris Ivens sechs Filme zu produzieren. Vier davon sind in der Retrospektive des Dokfestivals zu sehen. Judith Kretzschmar, Doktorandin am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Uni Leipzig, hat Ivens’ Verhältnis zu Deutschland erforscht und seine DEFA-Filme unter die Lupe genommen.
kreuzer: Was zeichnet die Filme aus, die Joris Ivens mit der DEFA produzierte?
JUDITH KRETZSCHMAR: Aus heutiger Sicht wirken sie stellenweise anstrengend. Aber man muss den zeitgeschichtlichen Kontext betrachten. Damals waren sie revolutionär und emotional bewegend.
kreuzer: Anstrengend?
KRETZSCHMAR: In »Friedensfahrt Warschau-Berlin-Prag« sieht man zum Beispiel lange Aufnahmen von Radfahrern, das ist ermüdend. Aber 1952 war das schon eine irre Leistung.
kreuzer: War es nicht ungewöhnlich für einen politischen Dokumentarfilmer, sich an einer Sportdokumentation zu versuchen?
KRETZSCHMAR: Ivens verknüpfte das natürlich mit einer politischen Demonstration. Es ging um internationalen Frieden – wie auch in den anderen seiner DEFA-Filme. Etwa in »Das Lied der Ströme«, der weltweit eine halbe Milliarde Zuschauer erreicht haben soll. Ein Film über den Kampf der Arbeiter in der ganzen Welt für ein besseres Leben. Und der Kurzfilm »Mein Kind« von Vladimir Pozner und Alfons Machalz, bei dem Ivens die künstlerische Oberleitung hatte, enthält die pazifistische Botschaft: Mütter ziehen ihre Kinder doch nicht groß, damit sie später Soldaten werden.
kreuzer: Wirkt das nicht reichlich belehrend?
KRETZSCHMAR: Mir persönlich sind seine DEFA-Filme zu propagandistisch und pathetisch. Auch »Freundschaft siegt« und »Die Windrose« gehören dazu, die beide nicht gezeigt werden.
kreuzer: Lohnen sich die Filme trotzdem?
KRETZSCHMAR: Unbedingt! Sie sind ein einmaliges Zeitdokument und zeigen Ivens’ Entwicklung. Bedeutend in Ivens’ Werk sind ja seine verschiedenen Handschriften, der Wechsel in der Ästhetik, der Kamera und den politischen Themen. Außerdem ließ sich Ivens nicht vereinnahmen. »Mein Kind« war der DDR-Obrigkeit zum Beispiel zu pazifistisch.
kreuzer: Was hat es mit »Die Abenteuer des Till Ulenspiegel« auf sich?
KRETZSCHMAR: Ein deutsch-französisches Gemeinschaftswerk. Ivens wollte sich an einem Spielfilm ausprobieren und den Unabhängigkeitskampf Flanderns gegen die spanische Vorherrschaft zeigen. Aber es gab Gerangel mit dem Hauptdarsteller und Co-Regisseur Gérard Philipe. Ivens zog sich zurück und nahm schließlich nur noch die Position eines Beraters ein. Er war wohl auch nicht fähig, mit professionellen Schauspielern zu arbeiten.
kreuzer: Ihr Ivens-Favorit ist also keiner der DEFA-Filme?
KRETZSCHMAR: Ich mag seine frühen, experimentelleren Filme wie »Die Brücke« oder »Regen« und besonders sein Spätwerk. »Eine Geschichte über den Wind« ist für mich einer der schönsten, poetischsten und größten Dokumentarfilme überhaupt, sofern man ihn denn als Dokumentarfilm bezeichnen will.