Jürgen Vogel zu Besuch in Leipzig. Auf der diesjährigen Filmkunstmesse feierte »This is love« seine Premiere. Darin spielt er Holger, den Freund des Hauptdarstellers Chris. Sie versuchen, Kinder aus Asien, die zur Prostitution gezwungen werden, nach Deutschland zu schmuggeln und ihnen ein neues Leben zu ermöglichen.
Der 1968 geborene Jürgen Vogel ist einer der charismatischen deutschen Schauspieler, die sich mit Außenseiterrollen einen Namen machten. Für seine Rolle in »Der Freie Wille« erhielt er 2006 den Silbernen Bären.
kreuzer: Der neue Film, in dem du mitspielst, heißt »This is love«. Ist der Film eine Antwort?
JÜRGEN VOGEL: Der Titel war Matthias Glasners Idee. Da kann man sehr frei überlegen. Für den einen ist es ein Fragezeichen, für den anderen eben nicht.
kreuzer: Der Film ist sehr dicht. Es gibt immer wieder zwischenmenschliche Abgründe, die sich auftun. Kann man Stoffe auch überladen- und damit den Zuschauer?
VOGEL: Ich finde das nicht schlimm. Es kommt ja immer drauf an, wie man das Leben sieht. Es gibt Menschen, die haben ein Leben, wo wahnsinnig viel passiert, wo es plötzlich knüppelhart kommt. Das ist gerade das Spannende für ein Gefühlskino.
kreuzer: Die extreme Form von Sexualität und Leiden ist dennoch vordergründig. Auch in »Der Freie Wille« war das Thema. Ist das ein Schwerpunkt?
VOGEL: Wir wollen Filme machen, die dahin schauen, wo man sonst nicht hinguckt. Das Leben ist eben manchmal nicht so unkompliziert, wie man denkt. Es gibt sehr viele verschiedene Möglichkeiten zu lieben oder daran zu leiden oder sich nicht zu trauen zu lieben. Im Film kann der Protagonist seine Liebe nicht ausleben, auch wenn es ihn ganz schlimm erwischt hat und er sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt. Das ist eine Form, wie man die Thematik mal anders erzählt. Es ist eine künstlerische Form zu lieben.
kreuzer: Der Hauptcharakter Chris verliebt sich in ein 9-jähriges asiatisches Mädchen. Mit der Tatsache setzt er sich jedoch nur emotional und nicht auf der Vernunftebene auseinander. Das ist ein provokanter Ansatz.
VOGEL: Liebe an sich ist ja erst mal nichts Krankes. Ich glaube auch nicht, dass er sich als krank sieht, sondern etwas mit ihm passiert, was er eigentlich nicht will. Für mich ist das eine interessante Erlebniswelt. So kann man diesen Film fühlen. Das ist wie eine Reise in eine Welt, die man vorher vielleicht so nicht kannte. Etwas zu erfahren, worüber wir schon längst eine feste Meinung hatten. Und plötzlich siehst du etwas Neues.
kreuzer: Auf den ersten Blick könnte man hier die Verharmlosung eines schweren Themas sehen: Kinderprostitution.
VOGEL: Das ist kein Film über Kinderprostitution. Das ist auch kein Film über Alkoholiker, sondern über Menschen, die leiden. Man kann das nicht vereinfachen. Das ist auch kein pädagogischer Film. Es handelt sich eigentlich um die grundsätzlichen Gefühle, die dazu führen, dass man bestimmte Entscheidungen in seinen Leben trifft, die vielleicht falsch oder richtig sind für einen selbst. Wir sind vom Fernsehen gewohnt, dass alle politisch korrekten Aspekte eine Rolle spielen müssen, aber das ist im Kino zum Glück nicht so. Dort kannst du damit anders umgehen: größer, freier und mit künstlerischem Hintergrund.
kreuzer: Hast du Angst vor Kritik?
VOGEL: Kritik ist immer gut. Aber Angst davor, dazu kann ich gar nichts sagen. Nach dem »Freien Willen« sind wir auf positive Resonanz gestoßen. Auch von Leuten, die mit Sexualstraftätern arbeiten. Ich weiß nicht, wie das jetzt bei diesem Film ist. Aber ich glaube, der Fokus hier ist gar nicht so stark gesetzt wie beim »Freien Willen.« Das war eine heiklere Geschichte. Ich glaube, Kino ist immer gut, wenn es Geschichten erzählt, die aus dem Tabu mal rauskommen. So kommt man weg von den Vereinfachungen bestimmter Thematiken.
kreuzer: »This ist love« ist der erste Film eurer Produktionsfirma »Badlands-Film«, die du vor zwei Jahren zusammen mit Matthias Glasner und Lars Kraume gegründet hast. Verlagert sich dein Schwerpunkt von der Schauspielerei zur Produktion?
VOGEL: Ich produziere ja schon seit 1995 Filme. So komme ich ein bisschen raus aus meinem Metier. Meine Arbeit als Schauspieler hat damit begonnen, dass ich sehr viele schwierige Figuren gespielt habe, Randfiguren der Gesellschaft. Jetzt kann ich diesen Figuren neuen Raum geben.
kreuzer: Hast du dir die Randfiguren selbst ausgesucht oder wurdest du auf diese Rolle festgelegt?
VOGEL: So etwas entscheidet das Schicksal. Man tut das, was man machen muss. Nicht immer gibt es eine Wahl.
kreuzer: Gibt es eine Rolle, die du unbedingt einmal spielen willst?
VOGEL: Nee, so denk ich gar nicht. Ich denke nicht nur ans Wollen, für mich sind die Filme entscheidend. Ich mache den Job jetzt 26 Jahre. Am Anfang willst du verschiedene Facetten spielen und probierst halt aus. Da bin ich durch.
kreuzer: Willst du deshalb auch in Zukunft Regie führen?
VOGEL: Ich glaube, das ist eine Wende. Wenn du jahrelang Musik machst, dann produzierst du auch irgendwann deine eigenen Platten und bringst wahrscheinlich ein eigenes Label an den Start. Ich habe in über 100 Filmen mitgespielt. Habe viel geschenkt bekommen, viele tolle Rollen und viele tolle Geschichten gespielt. Wenn ich dazu beitragen kann, dass man Filme macht, die vorher nicht gedreht wurden, dann ist das für mich ein Geben und Nehmen.