anzeige
anzeige
Kultur

Tonfiguren in den Grauzonen der Erinnerungskultur

Der Bildhauer Volker März löst regelmäßig Kontroversen aus. In der Galerie Kontrapost ist nun eine Ausstellung mit Werken von ihm zu sehen

  Tonfiguren in den Grauzonen der Erinnerungskultur | Der Bildhauer Volker März löst regelmäßig Kontroversen aus. In der Galerie Kontrapost ist nun eine Ausstellung mit Werken von ihm zu sehen

Überlebensgroße rot-blau-weiße Radiergummis, von Performern im öffentlichen Raum arrangiert und bespielt: So sah der Beitrag von Volker März zum Kunstprogramm der Bundesregierung anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 aus. Dieses Projekt reiht sich ein in zahlreiche weitere Aktionen des Künstlers, in denen er mit Tonfiguren, Malerei und Fotografie, mit Texten, Musik und Performances multimediale und temporäre Rauminterventionen herstellt.

Überlebensgroße rot-blau-weiße Radiergummis, von Performern im öffentlichen Raum arrangiert und bespielt: So sah der Beitrag von Volker März zum Kunstprogramm der Bundesregierung anlässlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 aus. Dieses Projekt reiht sich ein in zahlreiche weitere Aktionen des Künstlers, in denen er mit Tonfiguren, Malerei und Fotografie, mit Texten, Musik und Performances multimediale und temporäre Rauminterventionen herstellt.

Das Werk von Volker März steht in der Bruchzone heutiger Erinnerungspolitik in der Bundesrepublik. Angesichts der weitgehend zu Ende gegangenen persönlichen Erfahrung des Nationalsozialismus kam es in den letzten Jahren zu einer Flut medialer Auseinandersetzungen mit dieser Zeit. »So viel Hitler war nie«, sagte der Historiker Peter Frei. Parallel dazu fand gleichzeitig eine Renaissance eines »guten« deutschen Patriotismus statt, in dem die NS-Zeit als ein abgeschlossenes Kapitel integriert wurde: Die Bundesrepublik nicht nur als Export- und verhinderter Fußballweltmeister, sondern auch als Weltmeister der Vergangenheitsbewältigung, deren Staatsbürger nun endlich frei von Hemmungen Nationalstolz zeigen dürfen.

März hinterfragt derartige Gewissheiten der Erinnerungskultur mit ihren allgegenwärtigen Pflichtübungen, die das behagliche Gefühl erzeugen, aus der Geschichte gelernt zu haben. Genau an dieser Stelle greift der Künstler mit seinen Interventionen ein: Für ihn stellt das Vernichten einen epochenübergreifenden Modus sozialen Handelns dar, der zum Beispiel auch für den Sport konstitutiv ist. Den Hintersinn der Radiergummis erläutend, sagte er in einem Interview: »Wer Weltmeister werden will, muss alle anderen Nationen ausradieren – das verbindet eine Fußballweltmeisterschaft mit der deutschen Geschichte.«

Noch in einem anderen Sinn markiert März’ Werk das Ende der unmittelbaren Zeitgenossenschaft des Nationalsozialismus. Sein umfassendes Infragestellen scheinbar standardisierter Narrative macht auch vor den Opfern der Shoa nicht halt – was vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre.

Neue Arbeit: »Kafka in Israel«
Das letzte große Projekt von März, die Ausstellung »Kafka in Israel«, die im Herzliya-Museum in Israel gezeigt wurde und heftige Kontroversen auslöste, erzählt – wieder mit den verschiedensten Medien – eine Geschichte von Franz Kafka, der nicht 1924 starb, sondern noch in Tel Aviv lebt und die Zeitgeschichte kommentiert. In einem Brief zum Beispiel schlug der fiktive Kafka 1953 vor, eine »Schubkarre 70« in Israel einzuführen: Mit dieser sollten alle 70-Jährigen auf eine Klippe gefahren und ins Meer gekippt werden. Durch seine (Außen-)Sicht auf Israel versucht März, gesellschaftliche Konventionen in einem ganz anderen Zusammenhang zu durchbrechen, ein Unterfangen, das nur im Kontext seiner offensiven Auseinandersetzung mit der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur Akzeptanz gewinnt.

»Denken ohne Geländer« – die Maxime von Hannah Arendt könnte man leicht auch als das Leitmotiv von Volker März ausmachen, doch Differenzierungen sind seine Sache nicht. Es geht ihm um Vereinfachungen und Zuspitzungen, was im Übrigen mit der formalen Gestaltung seiner Tonfiguren korrespondiert. Mit den plakativen Visualisierungen von Grauzonen der Erinnerungskultur schafft März aber einen Raum zum Nachdenken – wenn man Irritationen produktiv umsetzt.


Kommentieren


0 Kommentar(e)