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Kultur

»Ich schreibe Prosa wie ein Gedicht«

Ulrike Almut Sandig über ihr Prosadebüt »Flamingos«

  »Ich schreibe Prosa wie ein Gedicht« | Ulrike Almut Sandig über ihr Prosadebüt »Flamingos«

Mittlerweile ist sie nicht mehr nur in der Leipziger Literaturszene ein bekanntes Gesicht: Ulrike Almut Sandig hat erst mit der »augenpost« Poesie in Leipzigs Straßen gebracht, dann ist sie mit der Lesekonzert-Reihe »ohrenpost« durch das Land gereist. Zwischendurch kamen zwei Gedichtbände und jede Menge Preise und Stipendien. Jetzt legt die 1979 geborene Autorin mit »Flamingos« ihr Debüt als Erzählerin vor. Eine Lyrikerin, die zur Abwechslung mal Prosa geschrieben hat, will sie jedoch nicht sein. Das :logbuch sprach mit ihr über die verschiedenen Genres, surreale Motive und die vielen Vögel in ihren Texten.

Mittlerweile ist sie nicht mehr nur in der Leipziger Literaturszene ein bekanntes Gesicht: Ulrike Almut Sandig hat erst mit der »augenpost« Poesie in Leipzigs Straßen gebracht, dann ist sie mit der Lesekonzert-Reihe »ohrenpost« durch das Land gereist. Zwischendurch kamen zwei Gedichtbände und jede Menge Preise und Stipendien. Jetzt legt die 1979 geborene Autorin mit »Flamingos« ihr Debüt als Erzählerin vor. Eine Lyrikerin, die zur Abwechslung mal Prosa geschrieben hat, will sie jedoch nicht sein. Das :logbuch sprach mit ihr über die verschiedenen Genres, surreale Motive und die vielen Vögel in ihren Texten.

:logbuch: Du hast schon zwei Gedichtbände veröffentlicht, »Flamingos« ist deine erste Prosaveröffentlichung. Fühlt sich das noch einmal wie ein Debüt an?

ULRIKE ALMUT SANDIG: Wie ein erstes Buch fühlt es sich nicht an, deshalb finde ich es ein wenig irritierend, dass ich jetzt wieder auf Debütveranstaltungen eingeladen werde. Aber es stimmt schon, ich bin extrem unsicher. Ich habe vor allem Angst vor Klischees. Vor Schlagwörtern wie DDR-Aufarbeitung oder Wende-Generation oder davor, dass die Leute sagen: Das ist jetzt also eine Lyrikerin, die mal Prosa schreibt. Das würde mich schon ärgern. Und außerdem habe ich keine Vorstellung davon, was für Leute dieses Buch lesen werden.

:logbuch: Das war bei den Gedichten anders?

SANDIG: Die Gedichte habe ich oft auf der Bühne getestet. Da kommen die Leute hinterher natürlich nicht vorbei und sagen: Du, das dritte Gedicht, das hat mir jetzt nicht so gut gefallen. Aber während des Vortrags habe ich immer ein Gefühl dafür bekommen, bei welchen Gedichten die Leute genauer hinhören und bei welchen sie abschalten, und daraufhin konnte ich an den Gedichten weiterarbeiten.

:logbuch: Der Untertitel deines Buches lautet nicht »Erzählungen«, sondern »Geschichten«. Bei einem anderen Prosadebüt habe ich neulich »Stories« gelesen. Was hat dieses Genre eigentlich für ein Problem, dass es so viele verschiedene Bezeichnungen gibt?

SANDIG: Ich glaube, dass ein Text von fünf Seiten nicht die Länge und Komplexität einer Erzählung aufweisen kann. Nur sehr wenige Autoren sind in der Lage, sehr kurze Texte zu schreiben, die trotzdem Erzählungen sind. In meinem Buch sind es nicht immer Erzählungen. Es sind aber immer Geschichten, deshalb der Untertitel.

:logbuch: Du verwendest sehr unterschiedliche Erzählstimmen, es gibt Kinderperspektiven, Ich-Erzähler, allwissende Erzähler. Welche Perspektive findest du am schwierigsten?

SANDIG: Kindliche Erzähler finde ich sehr schwierig. Dort kann ich ja nicht die Sprache verwenden, die dem Alter des Erzählers angemessen wäre, sondern muss eine Kunstsprache erfinden, eine Hochsprache, die mit kindlichen Einsprengseln durchsetzt ist. Das richtige Maß für diese Einsprengsel zu finden, ist wirklich schwierig. Mindestens ebenso schwierig finde ich es aber, wenn die Erzähler sehr schnell wechseln. Bei »Mutabor« zum Beispiel ist das so. Für den Leser ist das vielleicht nicht so wichtig, für den kommt es eher auf den gebrochenen, stressigen Tonfall an, der durch die schnellen Wechsel entsteht. Aber als Autor muss ich immer wissen, wer gerade spricht, und das war beim Überarbeiten ziemlich kompliziert.

:logbuch: In »Mutabor« gibt es noch eine zusätzliche Schwierigkeit: Einzelne Passagen sind aus der Perspektive eines blinden Mädchens geschrieben.

SANDIG: Eigentlich ist »Mutabor« für mich keine Erzählung über ein blindes Mädchen, sondern die Geschichte einer ungleichen Freundschaft. Am Anfang war das Mädchen nämlich gar nicht blind, sondern wollte nur eine bestimmte Abhängigkeit nicht wahrhaben. Erst beim Überarbeiten ist sie immer kurzsichtiger und schließlich fast blind geworden. Und dafür konnte ich auch eigene Erfahrungen verwenden. Ich bin selbst als Kind relativ früh kurzsichtig geworden, und manche Sachen ähneln sich vielleicht: Ich wollte das nicht wahrhaben, und ich habe permanent Missverständnisse hervorgerufen, weil die anderen meine Kurzsichtigkeit nicht bemerken sollten und weil mir selbst noch nicht ganz klar war, worin jetzt genau der Unterschied zwischen den anderen und mir bestand.

:logbuch: Das blinde Mädchen kommt am Ende der Geschichte bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Der Tod ist ein Thema, das sich durch viele Geschichten zieht. Wieso beschäftigst du dich gerade damit?

SANDIG: Ich kann mir nicht aussuchen, was mich beschäftigt. Und eigentlich wäre es mir lieber, wenn mir dieses Thema nicht immer hineinrutschen würde. Aber es drängt sich immer wieder auf. Ich hoffe einfach, dass ich irgendwann so viele Texte darüber geschrieben habe, dass ich mich dann anderen Themen widmen kann.

:logbuch: Zwei Erzählungen haben stark surreale Anklänge: In »Damespiel« wächst einer Frau ein drittes Auge, mit dem sie Dinge wahrnehmen kann, von denen sie eigentlich gar keine Ahnung haben dürfte. In »Hush little Baby« wird ein Junge geboren, der zwei Personen in sich zu vereinen scheint: seinen Zwillingsbruder und sich selbst. Was interessiert dich an dieser Art zu erzählen?

SANDIG: Ich würde das gar nicht auf diese beiden Geschichten einschränken. Auch »Kuba« arbeitet viel mit surrealen oder magischen Motiven, obwohl diese Erzählung so DDR-geschichtlich daherkommt. Grundsätzlich kann man das vielleicht mit Science Fiction vergleichen: In diesem Genre kann man konkrete gesellschaftliche Probleme ansprechen, ohne von der eigenen Gesellschaft gleich mit Zensur bestraft zu werden. Auch wenn ich etwas magisch verzerre, ist es leichter, es auszusprechen. Ich muss nicht an den Fakten entlang arbeiten, das ist sowieso ein Arbeiten, das mir nicht so liegt. Ich möchte nicht erzählen, was mit Zwillingen vor der Geburt passieren kann, das kann man überall nachlesen. Was mich bei »Hush little Baby« viel mehr interessierte, war das Motiv von Kain und Abel. Ich habe mich gefragt, welche Formen des Brudermords es noch geben kann. Das kann ich dann natürlich beinhart aufbauen, oder ich verzerre es. Und das Verzerren liegt mir mehr, da fällt mir auch das Erzählen leichter.

:logbuch: Und wie sind die ganzen Vögel in die Texte geraten?

SANDIG: Dass die Flamingos hier und dort auftauchen, habe ich bewusst so gestaltet. Und die anderen Vögel … Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass ich immer Orientierungspunkte brauche, um eine Geschichte zu schreiben. Da suche ich mir oft Gegenden aus meiner Heimat heraus. Und weil ich auf dem Land aufgewachsen bin, müssen mindestens rote Milane und Bussarde in den Texten vorkommen. Aber vielleicht habe ich auch eine Vogelmacke. (lacht) Wenn ich ganz ehrlich bin: Die neuen Gedichte sind auch voller Vögel.

:logbuch: Kurz vor Schluss stelle ich doch noch die gemeine Frage: Lyrik oder Prosa – was liegt dir mehr?

SANDIG: Ich weiß gar nicht, ob man das nach drei Büchern schon sagen kann. Ich denke, viele Autoren haben ein Genre, das ihnen mehr liegt. Aber ich kenne mich nicht gut genug, um das für mich festzulegen. Und so genau will ich das auch gar nicht wissen, das schränkt mich sonst nur ein.


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