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»Ich bin eine Brücke zwischen Orient und Okzident«

Ein Portrait über den Fotografen Mahmoud Dabdoub

  »Ich bin eine Brücke zwischen Orient und Okzident« | Ein Portrait über den Fotografen Mahmoud Dabdoub

1958 in einem palästinensischen Flüchtlingslager in Libanon geboren, bekommt Mahmoud Dabdoub als 24-Jähriger die Möglichkeit, in seiner »Wahlheimat« Leipzig Fotografie zu studieren. Neun Jahre lang lebt er in der DDR und dokumentiert den Alltag der Menschen. Heute organisiert der gebürtige Palästinenser Jugendreisen, die in seine Heimat, Libanon, führen.

1958 in einem palästinensischen Flüchtlingslager in Libanon geboren, bekommt Mahmoud Dabdoub als 24-Jähriger die Möglichkeit, in seiner »Wahlheimat« Leipzig Fotografie zu studieren. Neun Jahre lang lebt er in der DDR und dokumentiert den Alltag der Menschen. Heute organisiert der gebürtige Palästinenser Jugendreisen, die in seine Heimat, Libanon, führen.

Wenn er heute die palästinensischen Kinder in Flüchtlingslagern sieht, muss Mahmoud Dabdoub an seine eigene Kindheit denken: Wie er an der Wasserstelle für seine Mutter Wasser holte, wie seine Eltern Schlange standen, um Hilfsgüter von einer Hilfsorganisation der UNO abzuholen und an den ersten Fernseher des Lagers in einem Café. An die Cowboysendung, die man mittwochs durch ein Loch im Fenster schauen konnte. Ein paar schreckliche, gewaltvolle Szenen sind ihm auch in Erinnerung geblieben. »Es war normal, aber ich wollte diese Normalität nicht haben. Wenn meine Mutter nach Hause kam, habe ich gefragt: »Mama, warum leben wir nicht anders?« Mahmoud Dabdoub zeichnete damals gerne schönere, glücklichere Welten, am liebsten Häuser mit Ziegeldach, Wasserfall und Steinbrücken.

Bald schon wurde er an den berühmten, palästinensischen Maler Ismael Schamod vermittelt, bei dem er lernen durfte und der ihn anstellte. In dieser Zeit schenkte ihm sein Bruder eine Praktika-Kamera, mit der Dabdoub durch die Gassen des Lagers zog und die Menschen fotografierte. Eines Tages meinte der Künstler Schamod jedoch: »Mahmoud, du sollst nicht in Beirut bleiben, ich will dich nicht mit Kalaschnikow sehen. Du sollst studieren. Wir sind ein normales Volk.« Und so kam er mit Hilfe eines Stipendiums des Künstlerverbandes der DDR nach Leipzig, wo er in eine Foto-AG einstieg. Dort entdeckte die Abteilungsleiterin das Potential, das in den Bildern, die er in seinem Heimatlager gemacht hatte, steckte und fragte ihn prompt, ob er nicht Fotografie studieren wolle. So kam es, dass ein palästinensischer Flüchtling aus dem Libanon in der DDR ein Zuhause fand. »Ehrlich gesagt habe ich die DDR nicht so kritisch gesehen. Es war eine Verbesserung, ich habe hier in Frieden gelebt. Meine Sorgen waren andere als die der Leute hier, die manchmal gemeckert haben, dass es keine Bananen gab.«

Vor allem war es dem damaligen Fotografiestudenten wichtig, die Gastfreundschaft nicht zu verletzten. Er fühlte sich nicht dazu berechtigt, am System zu rütteln. Im Gegensatz zu seinen Freunden aus der DDR kam ihm vor seinem Hintergrund auch die eingeschränkte Reisefreiheit nebensächlich vor: Der Wunsch nach einer friedlichen Heimat, die seine Freunde hatten, war zu groß, als dass Mahmoud hätte Fernweh haben können. Anstatt sich nach der Karibik zu sehnen, dokumentierte er fotografisch den »Alltag in der DDR« – heute ein in West und Ost gleichermaßen beliebter Fotoband des Künstlers. Überraschend kam für ihn die Wende. Er erinnert sich an den Abend, als er im Freudentaumel der zusammenströmenden Menschenmassen in Berlin an seine Leute dachte und sich mit tränengefüllten Augen fragte: »Gott, wann passiert uns so etwas?«.

Heute, zwanzig Jahre später, hat sich die Situation im Nahen Osten nicht verbessert. Dabdoub lebt mit seiner Frau und seinen drei Töchtern, die von ihren Eltern Arabisch und vieles über ihre ursprüngliche Kultur gelernt haben, noch immer in Leipzig. Einmal im Jahr organisiert der Diplomfotograf eine Reise für Jugendliche von 18 bis 26 Jahren, die als Internationaler Kulturaustausch von der Stadt gefördert wird. »Ich bin eine Brücke zwischen Orient und Okzident. Ich will in meiner Arbeit zeigen, dass dies nicht nur Gerede ist, sondern, dass ich mit beiden Welten verbunden bin und sie schätze, weil beide trotz der krassen Unterschiede ihre Berechtigung haben. Die Menschlichkeit verbindet uns, das ist mein Motto.« Auch seiner ursprünglichen Heimat hat Dabdoub zwei Bildbände gewidmet: »Wie fern ist Palästina« und »Land der verletzten Zedern« zeigen in eindringlichen Bildern das alltägliche Lagerleben und die Zerstörung in einem Land, das schon lange auf Frieden wartet. Im letzten Jahr wurde die Reise mit einem Fotoprojekt verbunden, das die Gruppe in verschiedene Städte und Flüchtlingslager im Libanon führte. Die Jugendlichen lernen auf solchen Reisen viel über bestehende Probleme, müssen allerdings ein gewisses Maß an Offenheit mitbringen, wie Dabdoub betont: »Wenn du im Kopf schon Kästchen hast, kannst du von denen nicht loskommen.«


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