Obwohl sich Serge Gainsbourg für hässlich hielt und immer wieder sagte, mit einer »gueule« – auf Deutsch »Fresse« – wie der seinen könne man nicht zartfühlend sein, strahlte er eine unwiderstehliche und charmante Verwegenheit aus. Der Film »Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte« läuft seit Donnerstag im Kino. Im Interview erzählt der französische Comiczeichner und Filmemacher Joann Sfar über sein Werk und was ihn an der Musiklegende Serge Gainsbourg so fasziniert.
Obwohl sich Serge Gainsbourg für hässlich hielt und immer wieder sagte, mit einer »gueule« – auf Deutsch »Fresse« – wie der seinen könne man nicht zartfühlend sein, strahlte er eine unwiderstehliche und charmante Verwegenheit aus. Der französische Comiczeichner und Filmemacher Joann Sfar erzählt in seinem Film »Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte« nicht nur die Geschichte eines großen Verführers, sondern blickt auch hinter die Maske der französischen Musiklegende.
kreuzer: Serge Gainsbourg war eine Ikone der siebziger Jahre. Da waren Sie noch ein Kind. Was hat Sie an diesem Mann fasziniert?
JOANN SFAR: In meiner Kindheit war Gainsbourg der einzige lustige Typ im französischen Fernsehen. Er redete dauernd über Sex und trat betrunken vor die Kamera. Das war natürlich albern, aber genau so etwas möchte man als Jugendlicher im Fernsehen sehen. Er war wie der Rattenfänger von Hameln: Wenn er anfing, Musik zu machen, bin ich ihm gefolgt.
kreuzer: Wie erklären Sie sich die Verführungskraft, die Gainsbourg ausstrahlte?
SFAR: Das ist ein sehr französisches Phänomen. Gainsbourg hatte ja kein politisches Anliegen, aber er hatte sein ganzes Leben lang einen gutenInstinkt dafür, wie man das Publikum schockiert. Alles, was er in seinem Leben tat, hatte eine öffentliche Resonanz. Wenn er Brigitte Bardot verführte, verführte er gleichzeitig ganz Frankreich. Wenn er »Je t’aime … moi non plus« aufnahm und Sex mit Jane Birkin hatte, öffnete er gleichzeitig die Sexualität einer ganzen Generation.
kreuzer: Gainsbourg war nicht nur ein begnadeter Provokateur, sondern strahlte auch eine gewisse Verletzlichkeit aus.
SFAR: Die meisten Künstler, die in die Öffentlichkeit treten, haben eine Schutzmauer um sich herum errichtet. Gainsbourg hatte das nicht. Wenn er zum Klavier ging, hat er gezittert. Er tat so, als wäre er ein Macho, aber es war offensichtlich, dass er eigentlich noch immer ein kleines hässliches Kind war, das nicht glauben konnte, dass es geliebt wird. Die Menschen waren ihm nie egal. Er brauchte sie, um von ihnen geliebt zu werden.
kreuzer: Besonders die Frauen?
SFAR: Gainsbourg war stets von Frauen umgeben, die stärker waren als er. Jede Frau nahm ihm ein Stück Macht. Es ist die Geschichte eines kriselnden Machos. Selbst darin war er ein typischer Franzose. Italiener und
Spanier haben kein Problem damit, Machos zu sein. Französische Männer hingegen sind einerseits extreme Machos und fühlen sich auf der anderen Seite stets schuldig dafür. Wir pinkeln im Stehen – mit schlechtem Gewissen.
kreuzer: Worin unterscheidet sich Ihr Film von einem traditionellen Biopic?
SFAR: In Biopics lernen, heilen und verändern sich die Menschen. Mein Held ist Franzose. Er lernt gar nichts und ist am Anfang des Films derselbe Mann wie am Ende. Es geht hier nicht um Erlösung. Wenn Gainsbourg sich danebenbenimmt, versuche ich nicht, sein Verhalten zu erklären. Von Filmen, die sich als Medizin begreifen, lasse ich die Finger. Wenn ich geheilt werden will, gehe ich zum Arzt und nicht ins Kino. Ich mag diese total unamerikanische Idee des Tragischen: Egal was wir tun, die Verhältnisse bleiben bestehen.
kreuzer: Und was glauben Sie, wie Gainsbourg Ihren Film finden würde?
SFAR: Das weiß ich genau. Sein Agent verriet: Wird der Film ein Erfolg, wäre Gainsbourg mein bester Freund. Wenn nicht, würde er kein Wort mehr mit mir reden.