Ein griesgrämiger Misanthrop, ein naiver Obdachloser, eine französische Stewardess und ein Haufen Trinker – Dagur Kári hat tief in der Geschichtenkiste gewühlt und erneut einen liebenswerten Film über Außenseiter herausgekramt. »Ein gutes Herz« lebt von einer gehörigen Brise trockenem Humor und viel Feingefühl für die Tragik. Dagur Káris Figuren erzählen vom Leben jenseits der Überholspur und davon, dass es eigentlich schön ist, das Leben – sogar in den heruntergekommenen Randzonen der Glitzermetropole New York.
Wenn es um das Gesetz des Stärkeren geht, glaubt jeder mithalten zu müssen. Wer will sich schon unterkriegen lassen? Mit vollem Übereifer wird gekämpft, um beim Mithalten nicht unterzugehen oder noch besser, die Nase vorn zu haben. Eine Lebensweise, die den Figuren in Dagur Káris neuem Film »Ein gutes Herz« gänzlich fern ist.
»Wenn es um das Überleben des Stärkeren geht, bleibt mir nichts anderes übrig, als das Handtuch zu werfen«, sagt der junge Obdachlose Lucas im Krankenhaus, in das er nach seinem kläglich gescheiterten Selbstmordversuch eingeliefert wurde. Hier auf dem Krankenbett trifft er Jacques, den kauzigen Besitzer einer heruntergekommenen New Yorker Spelunke. Jacques hat seinen fünften Herzinfarkt in Folge erlitten, weil er weder das Trinken noch das Rauchen lassen kann. Nach ihrer Entlassung nimmt Jacques Lucas unter seine Fittiche und weist ihn in die Regeln seiner Barkunst ein: keine neuen Kunden, keine Verbrüderung mit ihnen und schon gar keine Frauen!
Der isländische Regisseur Dagur Kári hat schon in seinem Erstlingswerk »Nói Albínói« (2003) über einen eigensinnigen Außenseiter und dessen Nachfolger »Dark Horse« (2005) seine Vorliebe für schräge Charaktere in emotionalen und sozialen Schieflagen bewiesen. In »Ein gutes Herz« sind es ein alter Grieskram, ein Obdachloser und ein bunter Haufen skurriler, aber liebenswerter Trinker, die den Film zum Auffangbecken für Verlierer und Randfiguren jenseits des Großstadtrummels machen.
Lucas etwa, wunderbar gespielt von Paul Dano, stets mit starrer Miene und großem Herzen, führt freiwillig ein Leben auf der Straße und kümmert sich aufopferungsvoll um ein kleines Kätzchen. Zu ihm gesellt sich der missmutige, alte Kauz Jacques, dessen zerfurchtes Gesicht und verwahrloste Erscheinung mehr Fragen aufwerfen, als Kári in den 95 Minuten beantworten wird. Der Isländer hält sich generell zurück, was jegliche Ambitionen seiner Figuren betrifft. Man erfährt nicht, woher sie kommen, noch wohin sie gehen. Warum hat Lucas ein Leben auf der Straße gewählt und warum versucht Jacques vor lauter Verbitterung jeden Funken Glück im Keim zu ersticken? Ohne große, ausschweifende Dialoge offenbaren sich die Charaktere vielmehr über winzige Gesten, karge Wortfetzen und ihr schauspielerisches Miteinander. Kleine Erlebnisse, manchmal zwischen Tür und Angel, liefern vage Anhaltspunkte und weisen auf eine brüchige Welt hin.
Angesiedelt in den heruntergekommenen Randzonen von New York zeichnet Dagur Kári hier ein ganz eigenes Bild der Glitzermetropole: Die Farben sind reduziert, draußen ist es dunkel. In den düsteren, braunen Räumen der Bar schimmert gelbgrünes Neonlicht. In dieser recht freudlosen Umgebung platziert er das Herz seiner Geschichte. Hier freunden sich der Alte und der Junge an; hier weist Jacques Lucas in eine obskure Barpolitik ein und ins Jacques'sche Geschlechterverständnis gleich mit: »Die Bar gehört uns. Dort kann ein Mann hinkommen und frei sein in dem Wissen, absolut abgeschirmt zu sein vor jeglicher Einmischung des anderen Geschlechts.« Denn Frauen gehören in Cafés und Konditoreien, nicht aber in eine Bar.
Umso schlimmer, als die betrunkene französische Stewardess April, die unter akuter Flugangst leidet, bei ihnen auftaucht und nicht nur Lucas Helferherz krabbelt, sondern es sich in der neu gewonnenen Männerfreundschaft breit macht und diese damit auf eine harte Probe stellt. Mit einer Brise trockenem Humor und viel Feingefühl für die Tragik seiner Figuren erzählt Dagur Kári erneut vom Leben jenseits der Überholspur und davon, dass es eigentlich schön ist, das Leben. Nicht immer fair, aber irgendwie schön.