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Kultur

Kein Harlekin, nirgends

Mythos Harlekin-Hinrichtung: Heute vor 250 Jahren starb Caroline Neuber in Laubegast bei Dresden

  Kein Harlekin, nirgends | Mythos Harlekin-Hinrichtung: Heute vor 250 Jahren starb Caroline Neuber in Laubegast bei Dresden

Die Aktrice und Theaterleiterin, die lange Zeit in Leipzig wirkte, wird als Vorreiterin für das bürgerliche Drama gefeiert. Caroline Neuber, die Neuberin genannt, habe vor dem Grimmaschen Tore den Hanswurst für immer von der Bühne gebannt. Doch dieser angebliche Startschuss des Bürgertheaters ist nie gefallen, wie die Theaterwissenschaftlerin Daniela Weiß-Schletterer bereits 1997 in einem Aufsatz zeigte. Eine glatte Lüge, findet auch unser Theaterredakteur Tobias Prüwer.

»Das 1737ste war das schreckliche Jahr, und eine Bude bei Bosens Garten in Leipzig war das Schavot, wo Gottscheds strenges Urteil an den Inquisiten Harlekin sollte vollzogen werden. Madam Neuberinn verfertigte selbst das Auto da fe« – So gibt eine drei Jahrzehnte später niedergeschriebene Theatergeschichte die Ereignisse wieder, die als Harlekin-Hinrichtung in die Historie eingehen sollten. Die Theaterprinzipalin Caroline Neuber, so das verbreitete Vorurteil, habe den buntgescheckten Possenreißer ein für alle mal verstoßen und die Epoche des literarischen Nationaltheaters begann.

Doch dieser angebliche Startschuss des Bürgertheaters ist nie gefallen, wie die Theaterwissenschaftlerin Daniela Weiß-Schletterer bereits 1997 in einem Aufsatz zeigte. Im Gegensatz zu zahlreichen Autoren vor ihr schaut sie sich die Praxis des damaligen (Wander-)Theaters an, statt mit ideologischem Blick ein bürgerliches Ideal des 19. Jahrhunderts in die Geschichte zurückzuprojizieren. Und siehe da: Die Neuberin war keineswegs humorlos.

Friederica Carolina Neuber, die Neuberin genannt, wurde 1697 im vogtländischen Reichenbach geboren. Wie ihr Gatte Johann Neuber war sie Mitglied der Hoffmannschen Schauspieltruppe und übernahm nach dessen Pleite 1727 einige der Schauspieler. Als Prinzipalin der Truppe konnte die Neuberin das kursächsische Theater-Privileg – die Erlaubnis in Leipzig spielen zu dürfen – erwirken und stand doch vor einem gravierenden Problem: Der Harlekindarsteller fehlte. Denn der Hoffmannsche Spaßmacher Ferdinand Müller hatte selbst Ansprüche auf die Gruppenführung angemeldet und ward der Neuberin nun spinnefeind.

Zudem fehlte der Neuberin das Repertoire in Form der Theaterbibliothek, weshalb sie sich vom Stegreifspiel löste und sich dem Literaturtheater öffnete – wofür man sie bis heute feiert. Das geschah allerdings aus pragmatischen, nicht inhaltlichen Gründen. Und die ersten Schritte dahin tat die Neuberin noch, bevor sie den Regelpoetiker Johann Christoph Gottsched überhaupt kennen lernte. Dennoch gelten nun beide als das Duo der deutschen Theaterreform, die im Hanswurst-Verstoßen ihren Kulminationspunkt fand. Auch die Stadt Leipzig, die seit 1998 den Caroline-Neuber-Preis vergibt, bezeichnet dies als große Leistung.

Dabei fehlt hierfür jeder Beleg. So verzichtete die Neuberin keineswegs auf das Lustige, agierte selbst als komische Figur in allerlei Verkleidungs- und Hosenrollen. Allerdings konnte die Truppe gegen die Harlekin-Konkurrenz nicht bestehen, wenn sie nur dem Lachen verpflichtet inszenierte, weshalb sie Gottscheds Stück-Übersetzungen dankbar annahm, sich dazu vielleicht gar gezwungen sah. So kam es zur Eigenart des Ensembles: Ihr Spielplan war gemischt, was sie der Kritik von zwei Seiten ausgesetzte. »Sie soll der klugen Welt, dem Pöbel auch gefallen«, klagt die Neuberin über die Lage der Dichtkunst. »Da steht der Künstler blos und wird verzagt gemacht«. Die literarisch-geregelten Stücke erwiesen sich als wenig bühnentauglich – von der ersten Begeisterung in gelehrten Kreisen abgesehen –, weshalb sie allein zum Broterwerb gar nicht taugten.

Neue Ernsthaftigkeit: Warum waren Hanswurst und Harlekin den Aufklärern verdächtig? Diese bedachten das Komische mit Angst und Scham, weshalb sie das regellose Improvisationsspiel der fahrenden Leute verachteten. Im Zuge der aufklärerischen Verhaltensregulierung hin zur Affektkontrolle, mit der sich das Bürgertum von Adel und unteren Schichten abgrenzte, kam auch das Bedürfnis nach einem anderen, gegen das Lachen imprägnierte Theater auf. Von diesem, so schreibt Weiß-Schletterer, „werden jene Werte eingefordert, die auch in der Lebenspraxis den Aufbau einer stabilen bürgerlichen Gesellschaft gewährleisten sollen.“ Der Narr wird allgemein geächtet, bleibt aber Wunsch- und Sehnsuchtsfigur, die an die unmittelbare und unbedingte Lusterfahrung erinnert.

Und die Verbannung des Harlekin? Als die Neuberin mit dem Ableben des Kurfürsten 1733 das Theaterprivileg verliert, geht dies ausgerechnet an den Erzrivalen Müller. Sie darf nur außerhalb der Stadtmauer ihre Spielstätte aufschlagen und wird – auch in ihren Vorspielen – ordentlich gegen Harlekin Müller gewettert und ihn gewiss von ihrer Bühne verbannt haben. Die Spitze der vermeintlichen Theaterreform war nichts weiter als eine Beleidigung, ein Marketingkniff. So kann die Neuberin ganz und gar nicht als Kronzeugin eines humorlosen Theaters herhalten. Sie stand, und das ist bis heute auch für Leipziger Debatten beispielgebend, für ein buntgeschecktes Theater, in dem zwischen zügellosem Stegreifspiel und bürgerlichem Konventionsschauspiel alles möglich ist.


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