Der Leipziger Regisseur Marcel Ahrenholz beschäftigt sich in seinem Dokumentarfilmprojekt »14 Arten, den Regen zu beschreiben« mit Familien, in denen sich die Kinder sozial zurückziehen. Wie sieht der Alltag einer solchen Familie aus? Wie gehen Geschwister und Verwandte damit um, was sagen Bekannte? Um dem plötzlichen Rückzug auf die Spur zu kommen, arbeitet der Wahl-Leipziger eng mit verschiedenen Unikliniken zusammen – und sucht den Kontakt zu betroffenen Familien.
Wenn Kinder einem entgleiten, sie sich plötzlich aus dem familiären Alltag in die eigenen vier Wänden zurückziehen, ohne erkennbaren Anlass, stehen Mütter und Väter vor einem Problem. Vorbereitet hat sie darauf niemand. Die eigenen Kinder will man doch beschützen und mit Unmengen an Liebe überhäufen. Doch plötzlich ist die Tür zu.
Nicht selten wird ein Rückzug von den Eltern, der Schule, vom familären Alltag der Pubertät und der damit einhergehenden Aufmüpfigkeit erklärt. Sind die Kinder kleiner, heißt es, sie sind sturr und trotzig. »Sie wollen einfach nicht«, lautet eine der einfachsten Antworten. Was aber, wenn traditionelle, nachvollziehbare Erklärungsmuster nicht mehr greifen und das Problem, was sich im Kinderzimmer verschanzt, viel größer und viel weniger erklärbar ist? Dann wird es schwierig und die meisten Eltern stehen ratlos vor der verschlossenen Tür, die sonst nur lapidar darauf verweist: »Eltern müssen draußen bleiben.« Dann entsteht eine unsichtbare Mauer, die das Kind von der Außenwelt abschirmt und auch von Innen zur unüberwindbaren Barriere wird.
Der Leipziger Filmemacher Marcel Ahrenholz hat sich genau dieser Problematik angenommen. Für sein Dokumentarfilmprojekt »14 Arten, den Regen zu beschreiben«, dass mit Mitteln der Filmstiftung NRW gefördert wird, will er ein Jahr lang Familien begleiten, die von einem solchen Schicksal betroffen sind. Wie sieht der Alltag einer solchen Familie aus? Wie gehen Geschwister, Verwandte und Bekannte damit um?
Mit seinem Kameramann Andreas Köhler – die beiden verbindet eine mehrjährige Zusammenarbeit – will der 33-jährige in größeren Abständen die Familien besuchen und beobachten, etwa wenn größere Ereignisse wie ein Arztbesuch oder eine Familienfeier anstehen. »Mit dem Wechsel der Jahreszeiten lassen sich vielleicht Bezugspunkte setzen und eine Entwicklung in der psychischen Erkrankung erkennen.«, so der Filmemacher.
Ein Zeitungsartikel über das Isolations-Phänomen »Hikikomori« in Japan brachte Ahrenholz auf das Thema. Anders als der Rückzug, um den es ihm in seinem Film geht, entschließen sich Menschen mit Hikikomori freiwillig, sich abzuschotten – sei es wegen Schulstress oder der schlechten Lage am Arbeitsmarkt. Was in Japan einer Verweigerungshaltung ähnelt, hat mit dem plötzlichen »Verschwinden« der Kinder aus dem alltäglichen Leben weniger zu tun. Dahinter verbirgt sich etwas vielschichtigeres, meist eine Angststörung, sagt der gebürtige Wolmirstedter. »Der Rückzug ist letztlich ein Symptom. Für verschiedene Krankheiten, soziale Phobien, Depressionen.« Eine Diagnose ist schwierig. Oft dauert es lange bis sich Eltern eingestehen, dass etwas ernsthaft nicht stimmt, sagt Ahrenholz.
Der 33-jährige hat Soziologie, Psychologie und Pädagogik studiert. Sein Interesse für die Untiefen des menschlichen Befindens kommt nicht von ungefähr. Bereits in früheren Kurzspielfilmen wie »Die Unsichtbare« (2004) oder »Stillleben« (2005) beschäftigte er sich mit Geschichten, die sich an die Tragik des Lebens klammern. Was ihn an seinem aktuellen Dokfilmprojekt interessiert, ist die Verknüpfung der persönlichen Schicksale mit gesellschaftlichen Gegebenheiten. »Gerade mit dem Film glaube ich etwas abzubilden, was unserer Zeit entspricht. Statt eines Miteinanders herrscht ein Gegeneinander. Die Rahmenbedingungen sind nicht mehr gegeben, um auf jeden Einzelnen zu achten. Da fallen einige zurück oder eben ganz raus.«
Um dem plötzlichen Rückzug auf die Spur zu kommen und auch Familien zu finden, die sich für eine Mitarbeit am Filmprojekt bereit erklären, arbeitet der Wahl-Leipziger eng mit den Unikliniken in Dresden, Köln und Leipzig zusammen – und gegen eine vielerorts verbreitete Medienskepsis. »Die Betroffenen haben Angst vor Reaktionen aus dem Umfeld, aber auch vor dem Film selbst.« Ahrenholz geht es jedoch nicht wie in einschlägigen TV-Formaten darum, Kinder und ihre Geschichten bloßzulegen. Er spricht von einem behutsamen Umgang mit den Bildern, einer reinen Beobachtung. Es soll weder zur Schau gestellt, noch der pädagogische Finger auf betroffene Familien gerichtet werden. Denn: Die Ursachen für einen plötzlichen Rückzug sind so vielfältig wie es Arten gibt, den Regen zu beschreiben.
Noch fehlen Ahrenholz weitere Protagonisten für sein Projekt. Interessierte Familien können sich per Mail (info@hor-grindel.de) mit ihm in Verbindung setzen.