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Kultur

Mobbing – Jeder ein Opfer!

Premiere: Knapp zwei Jahre arbeiteten Schüler am Theaterprojekt »Jetzt knallt’s«

  Mobbing – Jeder ein Opfer! | Premiere: Knapp zwei Jahre arbeiteten Schüler am Theaterprojekt »Jetzt knallt’s«

Totenschädel und Knochenkreuz für die verwegenen Seeräuber, Geschmeide für die Prinzessin und goldene Schärpen für ihre Garde. »Jetzt knallt’s« ist der Titel eines Freizeitprojekts, an dem vier Schulen aus dem Leipziger Osten beteiligt sind und an dem 20 Monate lang gefeilt und sich abgearbeitet wurde. Am Sonntag nun war endlich Premiere im Spinnwerk.

Jetzt ist die königliche Garde nach irrlichternder Seefahrt doch noch zur Schatzinsel gelangt, wo sich die Piratenmeute versteckt. Die finsteren Freibeuter haben nicht nur die Kronjuwelen in ihren Besitz gebracht, sondern – und das wiegt viel schwerer – die hinreißende Prinzessin Elisabeth entführt. Nun kommt es zum Kräftemessen von Gut und Böse, zum finalen Gefecht zwischen Halunken und Helden. Eine Kanonade folgt auf die andere, gegenseitig gibt man sich die Breitseite. Kanonenkugeln fliegen umher – piff und paff, puff und peng.

»Jetzt knallt’s« ist der Titel eines Freizeitprojekts, an dem vier Schulen aus dem Leipziger Osten beteiligt sind. »Wir zeigen eine Collage aus verschiedenen Szenen, die ineinandergreifen«, beschreibt der am Projekt beteiligte Theaterpädagoge Paul Lederer das Resultat der 20 Monate langen gemeinsamen Arbeit. »Jede der vier Schülergruppen hat dabei das Thema ›Jetzt knallt’s‹ ganz eigen interpretiert und umgesetzt.« Neben der Seeräuberpistole, gegeben von Schülerinnen und Schülern der Förderschule am Thonberg, geht es um das Thema Mobbing: Jeder kann Opfer werden, heißt die Botschaft, die eine Gruppe des Humboldt-Gymnasiums auf die Bühne bringt.

Die lustigen Aspekte des geräuschvollen Überthemas werden vom Schülerteam der Neuen Nikolaischule als effektvoller Chemieunterricht inszeniert. Die Berufsschüler in der Theatergruppe schließlich gehen der Frage nach, was man mit seinem Leben anfangen soll. Sie beginnen mit einem Mädchen, das sich in zwei Jungen verliebt hat und sich nicht entscheiden kann. Von da aus gelangen sie zu immer abstrakteren Ebenen und letztlich zur allgemeinen Einsicht, dass man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen muss.

Das sächsische Kultusministerium machte die Förderung von »Jetzt knallt’s« davon abhängig, dass sich Schüler mit verschiedenen Begabungen aus verschiedenen Schultypen am Projekt beteiligen. Jetzt begegnen sich Schüler im Alter von 12 bis 26 Jahren; Behinderte und Nichtbehinderte spielen zusammen. »Natürlich können wir nicht kompensieren, was im Schulsystem nicht angelegt ist«, sagt Projektleiterin Regine Förster. Aber für die Beteiligten ist die gemeinsame Proben- und Entwicklungsarbeit eine wichtige Erfahrung.

Das Projekt ist eine pädagogische und künstlerische Kooperation: Die drei Tänzerinnen des Vereins Tanzzenit, die Schauspielerin Nina M. Föhr und der Theaterpädagoge Paul Lederer arbeiten mit den Schülern. Unter der Anleitung eines Medienpädagogen dokumentieren einige Schüler das allmähliche Gedeihen der gemeinsamen Produktion mit der Kamera, flechten aber auch eigene inszenierte Geschichten und einen Trickfilm mit ein.

Dass für die Förderschüler sofort feststand, eine Piratengeschichte zu erzählen, passt auf verblüffende Weise zur ihrer gesellschaftlichen Situation, sagt Koordinatorin Förster: »Sie leben ja gewissermaßen ein Inseldasein, sind behütet, und um sie herum tobt das Meer. Aber sie müssen auch einmal hinaus.« Das Hinausgehen findet im Stück in Gemeinschaftsszenen statt. Bei mehreren Zusammentreffen aller Gruppen – sie nennen es »Meilensteine« – haben sich die Schüler ihre Szenen gegenseitig vorgeführt und sich natürlich auch kennengelernt. Das gegenseitige Treffen sei der Dreh- und Angelpunkt, sagt die Psychologin Sonja Sobiraj.

Für die Uni Leipzig begleitet sie das Projekt wissenschaftlich und ermittelt, ob und wie die Bewegungs- und Theaterarbeit ganzheitliches Lernen fördert und sich auf Toleranz und Kreativität auswirkt. Ihre Auswertung ist noch nicht fertig, aber die bewusstere Körpererfahrung und das Selbstkennenlernen kann Sobiraj schon jetzt als positive Effekte benennen. Die Berufsschüler würden sich zudem darüber freuen, dass sie pädagogisches Wissen und Anregungen für ihren späteren Job gewonnen hätten. Und bei den Förderschülern hat die Stärkung des Selbstbewusstseins so gut funktioniert, dass die Schule an den Bewegungsstunden festhalten will.


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