Einer kommt in die Wüste, ist allein und kann nicht entkommen: Dieses surreale Szenario ist der Ausgangspunkt für Shang-Chi Suns neueste Produktion. Der 33-Jährige hat in Taipeh und Berlin Tanz und Choreografie studiert und bereits mit verschiedenen europäischen und asiatischen Kompanien zusammengearbeitet.
kreuzer: »Je sans paroles« ist von Samuel Becketts »Akt ohne Worte« inspiriert. Worin liegt die Kraft des Texts?
SHAN-CHI SUN: Der Text handelt vom Körper, vom Verlangen und vom menschlichen Geist. Es ist eine Herausforderung, das umzusetzen. Man befindet sich bei Beckett wie im Kreis: Dinge tauchen immer wieder auf, es ist wie in der Falle. Gleichzeitig wird etwas gesucht, was nicht da ist und auch nie eintreten wird. Beckett enthält aber noch mehr Ansätze, den Körper einzusetzen. Bei ihm hat der Körper den Wunsch, einen anderen zu finden.
kreuzer: »Je sans paroles« war in Frankreich in einer Vorab-Version zu sehen, in Leipzig gibt es eine abendfüllende Inszenierung. Was ist der Unterschied zwischen beiden?
SUN: Die zweite Version ist eine ganz neue Produktion, wie eine Fortsetzung. Die Geschichte ist abstrakter, die Video-
Elemente wurden weggelassen, dafür liegt der Fokus viel mehr auf dem Körper. Die Elemente jetzt sind ein leerer Raum, der Körper und das Licht – das macht die Dinge klarer. Ich weiß nicht, was das Publikum sagen wird, aber die Produktion war bisher eine Entdeckungsreise für mich. Das ist ein weiterer Kontrast zur ersten Version. Aber auch der neue Komponist hat dazu beigetragen: Helmut Lachenmanns Musik ist ganz anders.
kreuzer: Wie kreieren Sie eine Tanzaufführung?
SUN: Ich bin so etwas wie der Regisseur: Es wird viel probiert und gegen Ende schaue ich, wie man das alles zusammenführen und minimalisieren kann. Erst dann suche ich nach einer Bedeutung oder frage mich, wie wir einer bestimmten Aussage näherkommen, ob wir Sachen austauschen können. Es gibt aber immer einen Ausgangspunkt, eine Idee, von der aus ich beginne.
kreuzer: Was lässt sich mit Tanz ausdrücken, was mit anderen Künsten nicht möglich ist?
SUN: Das Tolle am Körper ist, dass er eben kein Text ist: Worte sind klar, der Körper ist abstrakt. Körpersprache ist außerdem universell, das ermöglicht eine einzigartige Weise des Ausdrucks. Zwischen Körpern bestehen auch immer Verbindungen. Und es lässt sich im Prinzip nichts wiederholen, weil der Tänzer immer eine andere Grundstimmung mitbringt. Man kann dieselbe Sache nicht zweimal machen.
kreuzer: Seit zehn Jahren haben Sie Ihre eigene Compagnie Shang Chi Move, mit der Sie häufig touren. Wie anstrengend ist das Umherreisen?
SUN: Es kommt recht häufig vor, dass ich zum Beispiel von Taiwan nach Deutschland komme und gleich am nächsten Tag wieder weiter nach Frankreich muss. Das ist manchmal anstrengend, und genau genommen reise ich immer mehr. Ich werde mich darüber aber nicht beschweren, denn ich bin ja noch jung. Unterwegs zu sein und zu reisen, gibt mir Energie.