Die Suche nach dem »richtigen« Leben, der Ausbruch aus den starren Konventionen des Alltags war schon immer ein grundlegendes Thema in Ulrich Köhlers Filmen (»Bungalow«, 2002, »Montags kommen die Fenster«, 2006). In seinem neuesten Film »Schlafkrankheit« verhandelt er das Thema neu und verlässt dafür die mitteldeutsche Provinz. Hauptfigur Ebbo ist am Ort seiner Träume – in Afrika, wo er als Arzt arbeitet. Die Vorstellung, wieder in die hessische Provinz zu ziehen, ängstigt ihn. Er weiß aber auch, dass er in Afrika immer fremd bleiben wird. »Schlafkrankheit« gewann auf der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären und läuft ab Donnerstag in der Cinémathèque in der naTo.
kreuzer: In Ihrem neuen Film erzählen Sie die Geschichte zweier Männer, die sich zwischen Europa und Afrika verlieren. Was war der Ausgangspunkt dafür?
ULRICH KÖHLER: Die Grundfrage, die ich mir gestellt habe, war, was es bedeutet, in einem Umfeld zu leben, in dem man aufgrund seiner Hautfarbe und der Tatsache, dass man wahrscheinlich sehr viel mehr verdient als seine Nachbarn, immer als Außenseiter auffallen wird. Was macht das mit einem Menschen, wenn er so lange in der Fremde lebt?
kreuzer: Ebbo, die Hauptfigur, geht nicht zurück nach Europa, wo seine Familie auf ihn wartet. Stattdessen wird aus dem einst idealistischen Arzt zunehmend ein verbitterter Mann. Was ist mit ihm passiert?
KÖHLER: Solange Ebbos Familie und seine Frau noch in Afrika sind, hat er einen Rückzugsraum und einen Bezug zu seinen Wurzeln. In dem Moment, wo er ganz auf sich alleine gestellt und ständig den Forderungen seiner neuen afrikanischen Familie ausgeliefert ist, hat er nicht mehr diesen geschützten Raum. Trotz
seiner Sehnsucht, Afrika eigentlich näherzukommen, vergrößert sich die Distanz. Er muss feststellen, dass er niemals Teil der Kameruner Gesellschaft werden und immer der Europäer bleiben wird. Mit dieser Situation kommt er offensichtlich nicht zurecht und wird zunehmend zynischer.
kreuzer: Sie setzen bewusst Leerstellen im Film, erklären nicht, warum Ebbo geblieben ist, und schaffen damit Freiräume für die Fantasie des Zuschauers.
KÖHLER: Die Welt ist so komplex, dass man ohnehin nicht alle Zusammenhänge erklären kann. Wir sind im Alltag ständig damit beschäftigt, Lücken zu füllen, die wir erleben, zum Beispiel, wenn wir jemanden kennenlernen. Insofern glaube ich, dass es nicht die Aufgabe des Filmemachers ist, dem Zuschauer die Welt zu erklären, sondern Fragen über die Welt zu stellen. Meine Hoffnung als Filmemacher ist es, dass die Dinge, die mich beschäftigen, auch andere Leute beschäftigen und dazu anregen, bestimmte Phänomene aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Aber Filme sollen keine Antworten liefern.
kreuzer: Sie thematisieren die heutige Entwicklungshilfe und schüren Zweifel an ihrem Sinn. Der zweite Teil des Filmes beginnt mit dem Vortrag eines Entwicklungshilfe-Kritikers. Spiegelt das Ihre persönliche Meinung wider?
KÖHLER: Der Vortrag greift neoliberale Diskurse von afrikanischen Ökonomen auf, die eine komplette Abschaffung der Hilfen einfordern, damit Afrika sich frei entwickeln kann. Das wurde in der westlichen Presse in den letzten Jahren gerne gefeatured. In der Kritik finde ich den Vortrag interessant, in der Lösung nicht. Ich glaube nicht, dass der Markt die Lösung ist, aber ich glaube, dass man darüber nachdenken muss, was es bedeutet, dass nach 50 Jahren Entwicklungshilfe viele Länder keine nennenswerten Fortschritte aufweisen können. Auch wenn es einzelne Projekte gibt, die sinnvoll sind: Es bleibt ein Fakt, dass auf der Metaebene die Erfolge eher spärlich sind.
kreuzer: Sie haben als Kind einige Jahre in Afrika gelebt. Für Ihren Film sind Sie dorthin zurückgekehrt. War das Filmemachen eine therapeutische Maßnahme für Sie?
KÖHLER: Ich bin eigentlich ein totaler Gegner von therapeutischem Kunstschaffen. Aber in dem Fall war es schon eine Überwindung, diesen Film zu machen, weil ich mit sehr vielen Ängsten zu kämpfen hatte. Ich habe oft darüber nachgedacht, ob ich überhaupt das Recht habe, als Europäer einen Film in Afrika zu machen, und ob ich das nicht den Afrikanern überlassen sollte. Und meine Antwort bestand eben darin, dass ich keinen Film über Afrika mache, sondern einen über Europäer in Afrika.