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Stadtleben

LKW und Schiff in einem

Der Störmthaler See und seine Ufer können befahren werden, ohne dabei aussteigen zu müssen

  LKW und Schiff in einem | Der Störmthaler See und seine Ufer können befahren werden, ohne dabei aussteigen zu müssen

Ein Fahrzeug für Wasser und Land: Mit dem so genannten Amphibienfahrzeug »Krysta« kann man sowohl über den See schippern, als auch als auch übers Land tuckern. Ein Sonntagsausflugsbericht.

»Wenn die Füße nass werden, sagen Sie Bescheid, dann müssen wir nämlich alle das Boot verlassen«, ordnet Maja Albrecht an. Zwölf Passagiere in leuchtend-orangen Schwimmwesten schauen konsterniert nach unten, bis sie bemerken, dass diese Ansage wohl ein Scherz sein sollte. Niemand muss das Boot verlassen, zumindest nicht, solange es mitten im Wasser schwimmt. Auf dem Störmthaler See hält die »Krysta« unter Albrechts Erläuterungen Kurs auf das Ufer. Dort liegen Badende. Je näher das Schiff dem Ufer kommt, umso mehr Unruhe macht sich dort breit, Fahrradfahrer auf dem Hochweg halten an, um zu schauen, was das werden soll. Die »Krysta« drosselt nicht das Tempo, sondern verlässt das Wasser und fährt an Land einfach weiter: Das nennt man Amphibienfahrzeug. Die Badenden nehmen beruhigt wieder Platz, die Radfahrer setzen ihre Tour fort.

Schon letztes Jahr wollte das Krystallpalast Varieté Touren auf dem Störmthaler See anbieten. Das Amphibienfahrzeug stand auch schon bereit: ein DUKW-353 aus dem Jahr 1942. Bevor damit der See erkundet werden konnte, mahlten die Mühlen der Bürokratie, bis die Saison 2010 zu Ende war. Erst dieses Jahr war alles den Vorschriften entsprechend und so konnte die »Krysta« ihre schizophrene Existenz beginnen: Zu Land ein LKW, zu Wasser ein Fahrgastschiff. Inspiriert wurde der Geschäftsführer des Krystallpalasts in London, wo ein ähnliches Fahrzeug die Passagiere ebenfalls sowohl auf dem Wasser als auch an Land befördert – und zwar mitten durch die Londoner City.

Eine Fahrt durch die Stadt ist in Leipzig undenkbar. Das tut dem Spaß während der zwei Stunden auf dem und um den See keinen Abbruch. Nachdem die »Krysta« über die Uferhänge gewackelt ist – unter anderem an Sanddornbüschen und einem verhinderten Weinberg entlang – tuckert sie wieder mit etwa sechs km/h über das Wasser. Ziel ist der Kirchturm Vineta, eines der Projekte der Initiative »Kunst statt Kohle«, der auf einer Betoninsel mitten im See schwimmt und Veranstaltungsgebäude wie externes Standesamt bildet. Von hier aus lässt sich außerdem gut nachvollziehen, wo im Bereich der jetzigen Wasser- wie Uferflächen Ortschaften für den Tagebau Espenhain weichen mussten. Fächerartig haben sich die Bagger wie in Jahresringen vom Süden über den Westen bis in den Nordosten vorgearbeitet, dort noch 1990 ein Stückchen der Ortschaft Störmthal gefressen, die dem See ihren Namen gegeben hat.

Einer der zahlreichen Orte, die nicht mehr vorhanden sind, ist das Dorf Göhren, das zwischen 1981 und 1982 Geschichte wurde. Der Ortsname lebt nun in der Bezeichnung für die Göhrener Insel weiter. Diese wird ein Naturschutzgebiet beherbergen und somit für Normalsterbliche, die nicht zum Vogelberingen ausgebildet sind, nicht betretbar sein. Vielleicht handelt es sich bei dem Radfahrer, der von der »Krysta« aus bei der Weiterfahrt von Vineta auf der Insel zu sehen ist, um einen Ornithologen oder einen Entomologen, der mal nach dem Rechten sehen will. Wieder an Land, stellt man beim gemeinsamen Picknick fest, dass tatsächlich alle Füße trocken geblieben sind. Spätestens im nächsten Jahr wird der See seine endgültige Flutungshöhe erreicht haben und auch offiziell zum Baden und für den Wassersport freigegeben. Dann aber dürfen auf den Uferwegen keine LKW mehr fahren. Bleibt zu hoffen, dass dem Krystallpalast bis dahin eine findige Lösung und eine neue (Teil-)Identität für das Amphibienfahrzeug einfällt.


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