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»Ich hatte nie eine Goldkettchenphase«

Flowerpower-Wirt André Streng übers Kellnern, Burnout und einen heimlichen Kredit von seinem Opa

  »Ich hatte nie eine Goldkettchenphase« | Flowerpower-Wirt André Streng übers Kellnern, Burnout und einen heimlichen Kredit von seinem Opa

Seit 15 Jahren rotiert die Flowerpower-Kuh ununterbrochen über dem Tresen der bunten Kneipe in der Riemannstraße. Wir haben den Erfinder der Kultkneipe, André Streng, gefragt, wie er als gelernter Autoschlosser und ehemaliger Punk auf die Idee für sein schräges Kneipenkonzept gekommen ist. Nebenbei hat er uns die Tief- und Höhepunkte seiner Karriere als Wirt offenbart.

kreuzer: Wie kommt man als 25-jähriger Punk auf die Idee, eine Flower-Power-Kneipe zu eröffnen?

André Streng: Das war der größte Zufall überhaupt! Der Laden gehörte vorher dem Leipziger Unterweltkönig Noeske. Als der im Knast saß, wollte der neue Eigentümer hier Ruhe haben. Ich musste also ein Konzept finden, das die angestammten Gäste draußen hielt. Flowerpower traf das genau.

kreuzer: Aber gastronomische Erfahrungen braucht man doch auch?

Streng: Ich hatte bereits seit wilden Wendezeiten in Kneipen und Diskos gejobbt. Als Gast im Chopper in der Weißenfelser Straße sah ich einmal, dass Lenin, der Chef, Hilfe brauchte. Durch meine offene Art und mein Durchsetzungsvermögen qualifizierte ich mich schnell zum Kellner. Seitdem war ich bestimmt in 40, 50 Kneipen und Diskos, darunter im Speedy Gonzales, im Opera, in der Gosenschenke bei Hennebach. Ich war glücklich, fuhr einen 5er BMW, hatte eine Wohnung, Freizeit, und das Geld stimmte.

kreuzer: Warum dann der Wechsel?

STRENG: Irgendwie hatte ich einen Minderwertigkeitskomplex aufgebaut, denn als Kellner wird man ja nicht immer nur gut behandelt. Und so fragte ich mich, ob mir die Gäste nicht entgegenkämen, wenn ich eine eigene Kneipe eröffne. Von Flowerpower hatte ich keine Ahnung, bin dann nach London und Amsterdam gefahren, um Plüschstoffe zu kaufen und mich der Szene zu nähern.

kreuzer: Die Ausstattung ist das eine, die Musik aber das andere. 

STRENG: Da ich auch von der Musik keine Ahnung hatte, traf ich die zweite Wahnsinnsentscheidung, täglich DJs reinzunehmen, die Rock und Oldies spielten. Wirtschaftlich war das völliger Blödsinn. Ein Schuss Naivität gehörte schon dazu!

kreuzer: Wie haben Sie das finanziell gestemmt?

STRENG: Ich habe 50.000 DM Brauereikredit bekommen und 18.000 DM von meiner Oma, ohne dass Opa es merken durfte... Den Vertrag mit der Brauerei konnte ich nach zwei Jahren beenden, weil ich viel mehr Hektoliter Bier pro Jahr abnahm, als damals üblich und vereinbart war.

kreuzer: Wie waren die ersten Reaktionen der Gäste?

STRENG: 1996 gab es eigentlich schon genug Kneipen. Ich hatte aber entschieden, keinen bekannten Laden zu übernehmen, sondern etwas neues aufzubauen. Da ich längst als bunter Hund einen Namen und gute Kontakte hatte und auch selbst viel als Gast unterwegs war, haben sich viele auf das Flower Power gefreut. Das war ein Ansturm, als es endlich losging!

kreuzer: Das Flowerpower ist eine feste Größe, während ringsum viele Kneiper pleite gingen und gehen …

STRENG: Ich hatte nie eine Goldkettchen- oder Koksphase, sondern habe alles gut angelegt, bin keine geschäftlichen Risiken eingegangen, bezahle immer alle Rechnungen. Und ich belaste mich nicht mit negativer Energie. Ich war und bin immer ein loyaler Mensch und Geschäftspartner.

kreuzer: Worauf basiert der Flower-Power-Reiz?

STRENG: Ich habe an der Einrichtung nie etwas verändert. Und wir machen heute das gleiche wie vor 15 Jahren: Rock & Oldies. Am Anfang habe ich mit meiner Person den Laden gefüllt. Heute haben wir feste Themenabende wie Karaoke, den Gitarrenklub oder Musikquiz. Wir sind die Kneipe im Kiez und ein Rockladen, wo die DJs das spielen, was die Gäste sich wünschen.

kreuzer: Woran liegt es, dass die Kneipe seit 15 Jahren funktioniert?

STRENG: Mit uns arbeiten 10 bis 20 Leute. Die Wichtigsten im Team sind seit 8 bis 15 Jahren dabei. Das ist meine sichere Bank und entscheidend für die Qualität des Ladens, der ja auch ein Familienbetrieb ist. Meine Mutter erledigt zum Beispiel die Buchhaltung. Es macht einfach Spaß, auf Gäste zuzugehen, sie auch zu hofieren, mit ihnen zu flirten, sie zu verkuppeln, sie aber immer ernst zu nehmen und zu unterhalten. Entertainment ist die wichtigste Eigenschaft von einem guten Kellner!

kreuzer: Inzwischen gibt es Ableger des Flowerpower auch in Jena, Magdeburg, Halle, Dessau, Wittenberg und Chemnitz. Berlin, Dresden und Gera  haben wieder geschlossen. Funktioniert das Konzept im Franchising?

STRENG: Die sieben Läden laufen in den jeweiligen Städten mindestens unter den Top Drei der Szene. Berlin lief nur kurz, Gera auch. Das beste aller Zeiten war Dresden. Leider hat es der Chef nicht geschafft, nach zehn Jahren den Mietvertrag zu verlängern. Ich suche dort nach einem neuen Laden in der Neustadt.

kreuzer: Jahr für Jahr ging es für Sie nur vorwärts, der Burnout blieb nicht aus. Wie übersteht man das?

STRENG: Vor 15 Jahren gab es für mich nur Essen, Schlafen, Arbeiten. Ende der Neunziger habe ich innerhalb kürzester Zeit fünf Kneipen eröffnet, oft 18 Stunden gearbeitet und unterschätzt, wie endlich meine Kraft ist. Dann kam die Phase, in der ich drei Monate lang in meiner Wohnung über der Kneipe dahinvegetierte, Pizza bestellte, Videos schaute. Ich habe dann einen Schnitt gemacht. Seitdem plane ich die Arbeit rigoros und gehe nie unvorbereitet in ein Projekt.

kreuzer: Eine Küche gibt es bei Ihnen nicht. Keine Lust, nachzurüsten?

STRENG: Niemals! Ich wollte immer Geld verdienen und ansonsten meine Ruhe haben. Das passt mit einer Küche nicht zusammen.

kreuzer: Wie läuft es heute?

STRENG: Ich forciere die Kette nicht weiter, obwohl die Eröffnung neuer Läden meine Lieblingstätigkeit ist. Das ist jetzt mein Hobby. Klingt naiv, aber die Erfahrungen über all die Jahre sind unbezahlbar. Ich habe zu mir gefunden, sehe das alles nicht zuerst als Arbeit. Inzwischen fühle ich mich als Konzeptschmiede für die Kulturprogramme, die ich dann in die anderen Läden kolportiere.

kreuzer: Wie sieht die Zukunft aus?

STRENG: Ich bin jetzt 40, seit vier Jahren verheiratet und habe vier Kinder. Die nächsten zehn Jahre werden die schönsten meines Lebens. Ich habe ein super Team, Freizeit, das nötige Kleingeld und bin offen für alles. Aber ich möchte in meinem Leben eigentlich keine Risiken mehr eingehen. Obwohl ich nicht Nein sagen kann. ... Ich habe mich ein bisschen zurückgezogen, weil ich im Beruf zu viel von mir gegeben habe. Bei abendlich teilweise 1000 Gästen, für die man möglichst alle die maximale Öffnung im Herzen haben will,  muss man sich etwas zurückziehen, sonst verliert man sich. Aber vielleicht mache ich auf der Karli eine Flowerpower-Disko auf, mit Daniel Weise zusammen, meinem kleinen Bruder.


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