Beim Pokalderby treffen zwei Welten aufeinander: Das politische Engagement des Roten Sterns gegen Faschismus im Fußball und das traditionsbewusste und bei einigen Fans nach rechts offene Selbstverständnis der Leutzscher.
Das für kommenden Sonntag, den 4.9., angesetzte Landespokalspiel zwischen den beiden Vereinen Roter Stern Leipzig und Spielvereinigung Leipzig-Leutzsch wird aus Sicherheitsgründen nicht wie vorgesehen im Sportpark Dölitz, der Heimspielstätte der »Sterne« sondern im Stadion des Gegners, dem Alfred-Kunze-Sportpark in Leutzsch stattfinden.
Das wäre an sich keine besondere Nachricht wert. Das Klassifizieren von Sicherheitsspielen und das Abtreten von Heimspielrechten ist schließlich ein übliches, wenn auch für die Betroffenen ein lästiges und unerfreuliches Vorgehen im Fußball. Im Falle des anstehenden Sonntagsderbys kommen jedoch Faktoren zusammen, die der Sache eine zusätzliche Brisanz verleihen und die zeigen, dass es hier um mehr oder gar etwas ganz anderes geht, als Fußball. Ein Blick auf die Hintergründe:
Da ist zuerst einmal der Rote Stern Leipzig, frisch aufgestiegen in die Bezirksliga, sportlich erfolgreich, mit stetig wachsendem Beliebtheitsgrad und längst nicht mehr der herumdümpelnde Connewitzer Spaß- und Kiezverein, als der er mitunter wahrgenommen wird. Der Rote Stern kämpft seit Jahren erfolglos um einen eigenen Sportplatz, der die Anforderungen höherer Ligen und damit auch verschärfte Sicherheitsansprüche erfüllen könnte und Raum für die zahlreichen Herren-, Frauen- und Nachwuchsteams bietet. Gleichzeitig hat der Verein spätestens seit dem Herbst 2009, als ein Auswärtsspiel in Brandis von Nazis angegriffen wurde, eine problematische Rolle inne. Als Verein, der sich offensiv gegen Diskriminierung jedweder Art ausspricht und unter anderem mit dem Slogan »Love Football, Hate Fascism« Position gegen Nazis bezieht, gilt er in der Sächsischen Amateurfußballlandschaft als befremdliches Politikum und Außenseiter. Er wurde seiner Haltung und Positionierung wegen immer wieder zur, meist verbalen, Angriffsfläche von gegnerischen Anhängern und damit zum Sicherheitsrisiko.
Wo wir beim aktuellen Geschehen angekommen wären: Es besteht am Sonntag das Risiko, dass sich bestimmte rechtsorientierte und gewaltaffine Personenkreise eingeladen fühlen, es den Connewitzer »Zecken«, wie sie gern in den entsprechenden Internetforen tituliert werden, mal so richtig zu zeigen. Aufrufe hierzu gibt es, nicht zuletzt in der Form eines virtuellen Flyers für das Spiel »Roter Stern vs. Chemie«, auf dem ein Kreuzritter zu Pferd einen Sowjetstern zerschlägt. Begleitet wird die Darstellung von dem Spruch »Nur ein Leutzscher ist ein Deutscher«.
Richten wir damit den Blick nach Leutzsch, Heimat der Spielvereinigung Leipzig Leutzsch (SG LL). Diese sieht sich als Nachfolgeverein des insolventen und aufgelösten FC Sachsen (FCS), der wiederum das Erbe des DDR-Vereins BSG Chemie Leipzig angetreten hatte. Um dieses Erbe wird sich bis heute immer wieder gestritten. Ein Resultat der Auseinandersetzungen war die Abspaltung eines Teils der FCS-Fans, vornehmlich der großen Gruppe der Ultras und anderer Befürworter alternativer Fan- und Fußballkultur, und deren Neugründung einer eigenen jungen BSG Chemie. In der Folge schrumpfte die Anhängerschaft des FCS zusammen. Was blieb, waren vorrangig einige straffe Traditionalisten und eine Reihe von Fan-Gruppierungen, die zum Teil verhalten, zum Teil aber auch ganz offen rechts auftraten. Der so einhergehende Schub der Fanszene nach rechts äußerte sich in einer Zunahme von diskriminierenden Aktionen, wie z.B. homophoben Anfeindungen, und einem regelrechten Wiedererschallen (rechts-)nationaler Gesänge und Slogans. »Nur ein Leutzscher ist ein Deutscher« ist ein solcher Spruch, der in der Geschichte der BSG Chemie eine eigenwillige Tradition genießt. Diese Tradition begründet sich kurz gefasst in einer regimekritischen Haltung durch das übertriebene Hervorheben nationaler Gesinnung als provokante Geste in der DDR. Damals als Akt von Zivilcourage, Aufmüpfigkeit und radikaler politischer Kultur empfunden ist das heutige Festhalten an den Gesängen und Parolen dumpf anmutende Traditionstümelei und zugleich Begleitmusik rechter, nationalistischer und menschenfeindlicher Attitüden. Es überrascht somit nicht wirklich, dass ein über Szene- wie auch Landesgrenzen hinaus bekannter aktiver Neonazi und Kameradschaftsführer regelmäßiger Gast bei der SG LL ist. Stören tut dies, folgt man den Äußerungen in Fanforen oder auf anderen Internetplattformen, bei der SG LL niemanden so richtig. Ebenso wenig wie beispielsweise Thor Steinar-Klamotten. Denn: Politik hat nichts mit Fußball zu tun. Man ist überzeugt »unpolitisch«, auch wenn dies bedeutet rechts offen zu sein. Und unter der Maßgabe »Politik hat beim Fußball nichts zu suchen« ist ein Verein wie der Rote Stern Leipzig, der die Politik, auch noch die linke/sozialistische/kommunistische, quasi schon im Namen trägt, natürlich ein unwillkommener Opponent.
Die Hintergründe beider Vereine machen deutlich, dass hier völlig unterschiedliche Auffassungen aufeinander prallen. Beim Roten Stern Leipzig die dezidierte Bekenntnis zum politischen Engagement eben auch und gerade beim Fußball, bei der SG LL die Ablehnung solcher Einmischung und zugleich das Festhalten an - letztlich durch und durch politischen - Traditionen. Das jedoch heißt noch lange nicht, dass das kommende Spiel mehr oder schlimmeres werden muss als eine rein sportliche Auseinandersetzung. Neben vielen andern Dingen wäre dafür hilfreich, wenn die Nazis und all diejenigen, die auf Provokationen und Gewalt aus sind, zu Hause bleiben. Und darüber hinaus unbedingt wünschenswert wäre, dass das Transparent vom Roten Stern »Love Football, Hate Fascism« im Stadion hängt und sich vielleicht der eine oder andere SG LL-Anhänger nochmal überlegt, ob das, verglichen zu den Traditionssprüchen à la »Nur ein Deutscher...«, nicht die bessere »unpolitische« Parole wäre.