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Kultur

Wanted: eine bürgerliche Oper im 21. Jahrhundert

Die Intendanz von Tobias Wolff endet schon nach fünf Jahren – fehlt der Oper Leipzig nun die Perspektive?

  Wanted: eine bürgerliche Oper im 21. Jahrhundert | Die Intendanz von Tobias Wolff endet schon nach fünf Jahren – fehlt der Oper Leipzig nun die Perspektive?  Foto: Kirsten Nijhof

Tobias Wolff gibt seinen Intendantenposten an der Oper Leipzig nach einer ersten Runde, nach fünf Jahren, im Sommer 2027 ab. »Unterschiedliche Auffassungen über die zukünftige Ausrichtung und Entwicklung der Oper Leipzig« wurden schmallippig als Grund genannt. Was ist da schiefgelaufen? Und wie stellt sich die Stadt die Nachfolge vor?

Viel hängt vom Selbstbild der Stadt ab. Seit 2019 vermarktet sich Leipzig als »Musikstadt« mit Fokus auf klassischer Musik. Für die Oper heißt das, dass sie im jährlichen Wechsel mit dem Gewandhaus ein »hochkarätiges Festival« stemmen soll, das internationale Gäste lockt. Mit der lange geplanten Aufführung sämtlicher Opern Richard Wagners ging das Konzept 2022 auf. Knapp 17.000 Besucherinnen und Besucher kamen. Das nächste Opernfestival 2024 »Leipzig tanzt!« ging im Juni im EM-Taumel unter, schaffte knapp 6.700 Gäste und blieb hinter den Erwartungen zurück.

Das Gewandhaus konnte 2023 mit einem Mahler-Festival besser punkten. 2025 ist Schostakowitsch dran und 2027 vermutlich Beethoven. Das Rezept ist bewährt: Man nehme mindestens einen halbrunden Geburts- oder Todestag, würze mit Lokalbezug, führe sämtliche Sinfonien auf und garniere mit ein bisschen Kammermusik und Symposien. Mit ihren Jubilaren hatte das Gewandhaus sogar so viel Glück, dass es den Säulenheiligen Bruckner 2024 in den Skat drücken musste, weil die Oper dran war. Diese hat für 2026 ein Lortzing-Festival geplant. Im Gegensatz zu Wagner spielt Albert Lortzing nicht in der Champions-League. Wer sollte für diesen aus den USA, Japan oder dem europäischen Ausland anreisen, wie es das Konzept Musikstadt vorsieht? Andererseits: Für eine Oper bedeuten diese Festivals viel Arbeit. Ein Konzerthaus muss, verkürzt gesagt, nur ein paar Gastspiele planen. Erklärt dieser Fakt, warum die Oper bei der Festival-Perfomance schlechter als das Gewandhaus abschneidet?

Wie geht es nach Beethoven weiter? Welche Pläne hat die Stadt langfristig? Kulturbürgermeisterin Skadi Jennicke verweist auf die künstlerische Verantwortung der Häuser, merkt aber an: »Langfristig denken wir über einen Goethe-Schwerpunkt 2032 gemeinsam mit Weimar und Frankfurt/Main nach, und 2033 müssen und können wir uns zu Richard Wagner erneut positionieren.« Das war schon 1933 so, als der jüdische Operndirektor Gustav Brecher eine Aufführung sämtlicher Werke initiiert hatte. Die Nazis dankten es mit seiner Entlassung. Brecher nahm sich das Leben. »Wagner33« zum 150. Todestag des Komponisten ist gesetzt, aber eigentlich ein Gewandhaus-Festivaljahr. Und Goethe ohne Schauspiel in der Oper: Ist es an der Zeit, den Rhythmus, der für eine Startphase gut war, zu überdenken und ab 2028 flexibler zu handhaben?

Wie soll »Wagner33« überhaupt aussehen? Wieder alle Werke auf der Bühne? Die Erfahrung »Wagner22« zeigte auch, wie viel liegen bleibt, wenn man den einen, großen Erfolg will. Das Repertoire, Publikumslieblinge wie »Carmen« oder »Tosca«, blieben lieblos in Szene gesetzt. »La Traviata« ist seit fast dreißig Jahren zu sehen. Ist diese Regie- und Repertoirevernachlässigung wirklich angemessen, wenn im Graben ein Gewandhausorchester spielt und Werkstätten großartige Bühnenbilder bauen und Kostüme schneidern können?

Zugespitzt: Will die Stadt ein Strohfeuer für internationale Gäste zünden oder mehr Oper für die Leipzigerinnen und Leipziger vorhalten? Oder legt die Stadt noch drei Millionen Euro drauf für eine Oper, die dann beides seriöser leisten könnte? 1993, zur 300-Jahr-Feier, hat die Oper Leipzig gezeigt, dass sie mit viel Repertoire und einem Festival Großes leisten kann. Sie ist bis heute der größte kulturelle Eigenbetrieb der Stadt mit 720 Angestellten und einem Volumen von etwa 52 Millionen Euro pro Jahr. Die Oper soll natürlich auch eine Oper für die Stadt sein. Hier kommt ein zweites Selbstbild der Stadt ins Spiel, das Bild einer weltoffenen Großstadt, die stetig wächst wie keine zweite in Deutschland. Der neue Leitsatz lautet: Leipzig wächst nachhaltig und dient dem Gemeinwohl. Und was leitet sich daraus für die Kulturpolitik ab?

Schaut man sich die kulturellen Pläne der Stadt an, sind Themen wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Erinnerungskultur, kulturelle Bildung und Freie Szene schnell aufgelistet. Transformation ist angesagt. Aber was bedeutet das für die Oper? »Die Kultur kann ein stabiler Anker in einer Gesellschaft sein, in der ein Transformationsimperativ bestimmend ist«, antwortet Jennicke auf die Frage, welches Themenfeld für die künftige Ausrichtung der Oper wichtig ist. Transformation bedeute auch, »dass Kulturinstitutionen sich selbst verändern, immer wieder neu fragen müssen, mit welchen Organisationsstrukturen sie am besten den Veränderungsherausforderungen der Gesellschaft begegnen können«. Nachhaltigkeit hatte sich Intendant Wolff auf die Fahne geschrieben. Für sein Management ist die Oper als erste deutsche Bühne in dieser Sache nach DIN ISO 20121 zertifiziert. Jennicke hält auch Publikumsentwicklung für ein wichtiges Thema: »Wie können die Betriebe noch gezielter Publikum gewinnen und halten?«

Blick in den Opernsaal
Blick in den Opernsaal/Kirsten Nijhof

Beim Halten könnte man sich auf eine Besucherumfrage von 2011 stützen. Eine neuere gibt es nicht. Gefragt wurde nach Opernkomponisten, die sich das Leipziger Publikum auf der Bühne wünscht. Nach Wagner folgten Verdi, Puccini, Mozart – die üblichen Verdächtigen mit Heimvorteil Wagner. Zurzeit hat die Oper je zweimal Verdi, Puccini und Mozart im Programm. In dieser Spielzeit kommt hier nichts hinzu.

Interessant wird es beim Gewinnen. Natürlich wächst junges Publikum heutzutage nicht mehr mit Opern auf, geschweige denn Operetten. Wen will man überhaupt gewinnen? Zwanzig Prozent der Leipziger haben einen sogenannten Migrationshintergrund, Tendenz steigend. Wie kann diese Gruppe an der Oper teilhaben? Wie kann sie der »stabile Anker« in dieser Transformationsgesellschaft sein? Kann das Ballett eine besondere Rolle spielen, weil Tanz ohne Sprache auskommt? Wie will die Musikalische Komödie künftig einen »Zigeunerbaron« aufführen, der – musikalisch exponiert – Klischees bedient wie: »Wo Zigeuner sind, Mann – gib Acht auf dein Pferd! Weib – gib Acht auf dein Kind!«

Wenn 2043 die Leipziger Oper ihr 350. Jubiläum feiert, könnte ein Festivalthema sein: Was ist eine bürgerliche Oper im 21. Jahrhundert? 1693 war in Leipzig das dritte bürgerliche Musiktheater in Europa eröffnet worden. Auf sein Bürgertum war Leipzig immer stolz. Wie geht es weiter? Im Vorfeld des Auswahlverfahrens will die Stadt in einen Werkstattprozess mit Oper, Gewandhaus, Stadtrat und Experten gehen. Ziel sei es, so Jennicke, »eine gemeinsame Perspektive zu skizzieren, die dann Grundlage für die Suche nach der neuen Leitungsposition wird«.


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