Es ist ein grauer und kalter Samstagmorgen im November in Thekla. Vor der Tauchaer Straße 100 steht eine Gruppe von Menschen und wartet auf den Einlass zu einem Gelände, auf dem drei neue Gebäuden mit frischer weißer Fassade stehen. Bei der Anlage handelt es sich um eine Unterkunft für Geflüchtete, in die in wenigen Wochen die ersten Bewohner einziehen sollen. Heute lädt die Stadt zu einem Tag der offenen Tür für alle Anwohner und Interessierten, nachdem es in den letzten Monaten zu Gewalt und Protest gegen die Unterkunft gekommen war.
Proteste und Brandstiftung
Nach Bekanntgabe des Vorhabens im Juni gab es nur einen Monat später einen Brandanschlag auf die Gebäude, die Fassaden wurden mit rassistischen Parolen beschmiert. Tatverdächtig ist ein 24 Jahre alter Mann. Kurz darauf plante die neu gegründete »Bürgerinitiative Leipzig-Thekla« eine Demonstration gegen die Unterkunft, zu der unter anderem in einem Telegram-Kanal der rechtsextremen Partei »Freie Sachsen« aufgerufen wurde. Diese wurde zwar vom Veranstalter abgesagt, es fanden sich am geplanten Datum Ende Juli trotzdem über 200 Menschen zu einer Spontandemo zusammen, darunter die Landtagsabgeordneten Holger Gasse (CDU) und Holger Hentschel (AfD). Aber auch eine Gegendemonstration hatte sich formiert: etwa 50 Leuten setzten sich für die Unterkunft ein, darunter die »Omas gegen Rechts«.
Für viel Unmut sorgte, dass auf dem Grundstück zuerst eine Seniorenwohnanlage geplant war. Diese Tatsache wurde zu einer einfachen Erzählung umgedichtet: Die Stadt kümmere sich um Geflüchtete aus anderen Ländern, aber nicht um die »eigenen, alten Leute«. Allerdings mietet die Stadt das Gelände nur. Der Eigentümer hatte die Gebäude der Stadt angeboten, nachdem er seinen Plan, eine Seniorenresidenz zu bauen, verworfen hatte. Die Gebäude sind nun vorerst für 10 Jahre gemietet, um 120 geflüchtete Personen, vor allem Familien, in Thekla unterzubringen.
Tag der offenen Tür in Thekla
Um 10 Uhr öffnet die Unterkunft ihre Pforten. Im Innenhof steht ein kleiner Stand des Deutschen Roten Kreuz (DRK), das die Unterkunft im Auftrag der Stadt betreiben wird. In den nächsten zwei Stunden kommen immer wieder Anwohner und Nachbarinnen in die Anlage, häufig ältere Paare oder kleine Gruppen von Bekannten und Familien. Sie besichtigen die Zimmer, unterhalten sich miteinander oder mit anwesenden Vertretern der Stadt wie etwa der Sozialbürgermeisterin Martina Münch. Es gibt keinen Gegenprotest und so bleibt die Stimmung bei der Unterkunft an diesem Tag – zumindest oberflächlich – ruhig.
In manchen Anwesenden aber brodelt es. Eine ältere Frau fängt auf Anfrage an zu grinsen und sagt, dass sie eigentlich nicht schimpfen wollte. Dann aber geht ihre Tirade los. Sie beklagt, dass der Neubau nicht für Senioren genutzt wird oder etwa für Obdachlose. Immer seien es nur »die Ausländer«, für die die Stadt sich einsetzen würde. Sie frage sich, wie viel die Unterkunft kosten soll, warum sie für ganze zehn Jahre geplant sei und fordert Oberbürgermeister Burkhard Jung zum Rücktritt auf. Sie sei enttäuscht, dass es nicht mehr Gegenprotest gebe und frage sich, ob die Stadt diesen Tag absichtlich wenig beworben habe. Die Vorstellung, dass hier Geflüchtete gegenüber deutschen Bedürftigen bevorteilt werden, sitzt tief bei ihr. Sie redet sich zunehmend in Rage und in ein ironisches Lachen mischt sich eine unverhohlene Gewaltfantasie: »Ich sprenge das hier noch in die Luft, wenn ich Wut habe.«
Mit ihrer Ablehnung ist sie heute nicht allein. Ein älteres Ehepaar spaziert über den kleinen Innenhof, gerade haben sie sich die Zimmer in einem der Gebäude angeschaut. Sie fürchten sich vor wachsender Kriminalität durch die Geflüchteten, wie die Frau sagt: »Wir haben Angst und Sorgen, wie das hier wird. Wir schließen bei uns um 18 Uhr die Türen und machen alles dicht.« Dass vor allem geflüchtete Familien hier einziehen sollen, beruhige sie ein wenig, wie es aber wirklich sein wird, müsse sich dann zeigen.
Auch ein weiteres mittelaltes Paar schaut skeptisch auf die Gebäude. Als der Mann anfängt zu reden, wird die Skepsis zu offener Ablehnung: »Es ist eine Sauerei, dass die Gebäude hier nicht für die alten Leute sind.« Auch er findet, dass dieser Tag schlecht beworben wurde und denkt, dass ansonsten mehr Gegner hier wären. Seine Partnerin lehnt die Unterkunft ebenfalls ab und wähnt sich dabei auf der Seite der großen Mehrheit in Thekla: »Wir haben Angst. Und so denken 99 Prozent der Leute hier.«
Stadt und DRK: vorsichtig optimistisch
Dass dem nicht so ist, zeigt sich auch heute: Ein sportlicher Mann mit neonfarbenen Trikot und einer Brötchentüte in der Hand, wendet sich an den Stand des DRK. Er hat erst vor wenigen Minuten von dem Tag der offenen Tür gehört und ist spontan vorbeigekommen, um zu fragen, wie er sich engagieren kann und was die Unterkunft noch braucht. Er hinterlässt seinen Namen und Kontakt. Die Mehrheit im Stadtviertel sei gegen die Unterkunft, ist er sich sicher und verweist auf die Wahlerfolge der AfD in Thekla. Er allerdings sei schon damals beim Protest der »Omas gegen rechts« dabei gewesen und wolle sich jetzt mehr einbringen: »Ich will nicht nur reden oder nur demonstrieren. Ich will etwas tun.« Die Angst, dass geflüchtete Menschen automatisch mehr Unsicherheit in die Nachbarschaft brächten teilt er nicht: »Das ist Quatsch. Die sind doch nicht alle kriminell. Das sind Menschen wie wir.«
Es sind wohl Gespräche wie diese, denen auch die anwesenden Vertreter des DRK und der Stadtverwaltung Hoffnung machen. Jessica Steinberg, stellvertretende Bereichsleitung Soziale Dienste vom DRK, steht den ganzen Vormittag an dem Stand im Innenhof und führt viele Gespräche. Dabei habe sie eine große Bandbreite von Meinungen gehört: Leute, die Geflüchtete offen abwerten und andere, die ihre Unterstützung anbieten. Wichtig ist ihr, dass sie als DRK heute hier sind, damit die Leute sehen, wer in Zukunft der Ansprechpartner vor Ort sein wird: »Wir wollen uns mit unserem Gesicht vorstellen und den Leuten die Ängste nehmen.«
Ähnlich verhalten positiv beurteilt die Leiterin des Leipziger Sozialamts Martina Kador-Probst den Tag der offenen Tür. Auch sie hat heute viele Gespräch geführt: »Die meisten, die kommen und mit mir reden, sind offen für Gespräche, manche von ihnen sind auch positiv gestimmt. Das ist eine gute Grundlage.« Den Vorwurf, der Tag der offenen Tür sei nicht genügend kommuniziert worden, weist sie von sich. Er sei etwa im Leipziger Amtsblatt und der LVZ angekündigt worden. Mit Blick auf den baldigen Einzug der Geflüchteten gibt sie sich schließlich optimistisch und hoffnungsvoll: »Wenn die Unterkunft erst einmal eröffnet ist, wird schon alles klappen und gut werden.«