Samstagvormittag, 2. November. Im Wind flattern drei weiße Banner, angebracht an den Hauswänden der Breitkopfstraße 1 in Reudnitz, mit der Aufschrift »BK-Eins bleibt meins!« und »Wohnen ist keine Ware. Vermieten ist kein Geschäft. Wir lassen uns nicht verdrängen«. Vor der Haustür gibt ein älterer Herr einem Bewohner verärgert zu verstehen, wie wenig er davon halte. Es ist einer der Eigentümer, die das Haus verkaufen möchten. Nach ein paar Minuten hängen die Bewohnerinnen und Bewohner die Banner wieder ab, noch bevor sich rund 40 Kaufinteressentinnen und -interessenten vor dem Haus versammeln.
»Wir sind gerade alle sehr gestresst«, erzählt Christian, einer der Bewohner. Mit der Idee der Banner sei er sich von Anfang an unsicher gewesen. Sie sollten ihr Anliegen deutlich machen, aber Konflikt mit den Eigentümern möchten die Bewohnerinnen und Bewohner nicht suchen. Dass die beiden Brüder das geerbte Haus verkaufen möchten, könnten sie nämlich gut verstehen. Schon länger hätten sie die Idee diskutiert, als Gemeinschaft das Haus aufzukaufen, und stünden seit Anfang des Jahres mit den Eigentümern im Dialog. Doch verliefen die Gespräche schleppend und vage, bis sie schließlich vor zwei Wochen die Freigabe auf dem Immobilienmarkt überrumpelt habe, erzählt er weiter. Seitdem heißt es: Alle Kräfte bündeln, damit das Haus an die Bewohnerinnen und Bewohner statt an Dritte verkauft wird. Ansonsten seien die zwei wahrscheinlichsten Szenarien entweder eine Luxussanierung mit steigenden Mieten oder eine Luxussanierung und die Umwandlung in Eigentumswohnungen. »Beide Optionen können wir uns nicht leisten«, sagt Christian. Um den Hauskauf zu realisieren, müssen die Bewohnerinnen und Bewohner die Gebote anderer preislich überbieten, das heißt: In kürzester Zeit eine Menge Geld auftreiben. Von mindestens 1,2 Millionen Euro ist die Rede, wenn man die Sanierungskosten nicht miteinberechnet. »Wir brauchen keine Luxussanierung«, sagt Bewohnerin Daria. Doch eine Sanierung samt grundlegender Sicherheitsvorkehrungen wie Brandschutz möchten sie dennoch vornehmen. Dafür bitten sie nun öffentlich Freiwillige um Privatkredite, sogenannte Nachrangdarlehen, deren Zinssatz zum einen niedriger als bei Bankkrediten ist und die zum anderen von Banken als Eigenkapital anerkannt werden können.
Punkt 12 Uhr: Dutzende Personen strömen ins alte Treppenhaus und werden freundlich vom Immobilienmakler begrüßt. Manche werfen einen verdutzten Blick auf den demonstrativ aufgestellten Kuchentisch im Foyer und die Bewohnerinnen, die Tee trinken. Ein Besucher fragt, ob sie auch für die Besichtigung hier sind. »Wir wohnen hier!«, antwortet eine laut. Zwischen die Kaufinteressenten mischen sich einige Nachbarinnen und Nachbarn mit hochgehaltenen Plakaten: »Wir haben schon nette Nachbarn, wir brauchen keine neuen!« Die Bewohnerinnen reagieren mit Jubel.
Bei der heutigen Hausbegehung habe Daria ein »komisches Gefühl«. Schon in der letzten Woche hätten Leute immer wieder versucht, unerlaubterweise das Haus zu betreten – zum Teil verkleidet als Pizzaverkäufer. Erst in letzter Zeit sei ihr bewusst geworden, welches Machtgefälle tatsächlich zwischen »Besitzenden und Besitzlosen« bestehe. Genau diese Hierarchie soll aufgehoben werden, wenn sie als Hausgemeinschaft das Haus kaufen: Dann solle jede Wohngemeinschaft der derzeit elf bewohnten Wohnungen je nach Kapitalvermögen einen angepassten Beitrag zahlen. Christian sieht in dem Vorhaben auch ein gesellschaftliches Zeichen gegen Gentrifizierung. »Wir wollen das Haus für immer vom Markt nehmen, sodass hiermit nie wieder Profite oder Spekulationen gemacht werden können«, erklärt der 55-jährige. Wenn das Haus erst einmal abbezahlt sei, könnten sie sich vorstellen, andere Hausprojekte finanziell zu unterstützen.
Vor dem Haus kommen Bewohnerinnen und Kaufinteressenten ins Gespräch. Der Makler findet die Situation »schwierig«. Er könne das Anliegen der Bewohnerinnen und Bewohner nachvollziehen, aber: »Letztlich hat es Leipzig auch Investoren zu verdanken, dass viele Häuser so schön saniert worden sind.« Ein Kaufinteressent habe ein mulmiges Gefühl nach der Begehung, da ihm das Haus stark renovierungsbedürftig scheine. »Das Haus wird bei allen Parteien für Kopfschmerzen sorgen«, prophezeit er. Eine andere Interessentin sei »überrumpelt«: »Ich wusste nichts von dem Wohnprojekt. Das Haus ist attraktiv, aber nun muss man die Situation neu bewerten«. Aus dem Haus tönt Kinderweinen und -lachen, Klavierklänge mischen sich unter die Gesprächsfetzen. »Wir sind in den letzten Monaten nochmal sehr als Gemeinschaft zusammengewachsen«, sagt Christian.
Dienstagabend, 12. November. Der Makler ruft an. Die Eigentümer hätten sich für andere Kaufinteressentinnen und -interessenten entschieden, Grund sei der zu lange Zeitplan der Abbezahlung.
Donnerstagabend, 14. November. Krisensitzung in der BK-Eins. Schnell kommt die Hausgemeinschaft zur Einigung: Sie möchten weitermachen. Denn die potenziellen Käuferinnen und Käufer haben vorerst nur eine vierwöchige Reservierung erhalten, sie könnten sich noch immer umentscheiden. Nun heißt es: Informationen über die Rechte als Mieterinnen und Mieter sammeln, aber vor allem Förderanträge stellen, um Privatkredite werben, in die Öffentlichkeit gehen. Auch mit der Kaufkonkurrenz möchten sie in den Dialog treten. »Wir haben alle noch Hoffnung«, sagt Marie, eine Hausbewohnerin, entschlossen. »Wir haben noch drei Wochen Zeit. Und die anderen haben drei Wochen, um abzuspringen.«
> Link für mehr Informationen: https://www.bk-eins.org/