Der französische Regisseur Cédric Klapisch (»L’auberge espanol«) hat mit »Mein Stück vom Kuchen« eine Komödie über die Finanzkrise gedreht. Der kreuzer sprach mit ihm über seine Beweggründe.
In Frankreich gilt Regisseur Cédric Klapisch (geb.1961) als Garant für intelligentes Unterhaltungskino. Nach dem Filmstudium in New York und zahlreichen Arbeiten für das französische Fernsehen, ist er 1996 mit seinem zweiten Kinofilm »…und jeder sucht sein Kätzchen« auch international erfolgreich. Die liebevolle Studentenkomödie »L’auberge espagnole – Barcelona für ein Jahr« (2002) wird zum gesamteuropäischen Kinohit. Zuletzt war von ihm »So ist Paris« (2008) in den deutschen Kinos zu sehen. Deutlich politischere Töne schlägt Klapisch in seinem neuen Film »Mein Stück vom Kuchen« an, in dem der gewissenlose Börsenmakler Steve (Gilles Lellouche) France (Karin Viard) als Haushälterin einstellt, die - wie sich bald herausstellt - durch seine Spekulationen ihren langjährigen Job als Fabrikarbeiterin verloren hat.
kreuzer: Das französische Kino hat bisher die Sphären von Arm und Reich, von Proletariat und Bourgeoisie sorgfältig voneinander getrennt verhandelt. Was hat Sie dazu bewogen diese beiden Welten in Ihrem Film aufeinander prallen zu lassen?
CÉDRIC KLAPISCH: In der französischen Gesellschaft gab es bisher eine Art Sozialvertrag. Die Armen und die Reichen, die Arbeiter und die Chefs haben versucht nett miteinander umzugehen. Man hat sich mit gegenseitigem Respekt behandelt. Dieser Vertrag ist in den letzten Jahren sukzessive aufgelöst worden. Das Verhältnis zwischen Arm und Reich ist sehr viel brutaler geworden. Deshalb war es mir so wichtig diese beiden Figuren, die Putzfrau und den Finanzhai, in einem Film zusammenbringen.
kreuzer: Worin liegt der Grund für diese Brutalisierung des Verhältnisses?
KLAPISCH: Die soziale Ungerechtigkeit hat stark zugenommen und die Beziehung in der Gesellschaft zwischen Oben und Unten wird immer gewalttätiger. Wir haben eine Grenze überschritten. Die Opfer der Krise und die Armen in der Gesellschaft werden kriminalisiert, während die wahren Verantwortlichen davon kommen. Die Bankiers und die Leute in der Finanzwelt haben das Leben von Millionen Familien zerstört. Ich bin der Meinung, dass diese Leute dafür vor Gericht gestellt werden müssten. Aber bisher sind die Verantwortlichen für die Misere ungestraft davon gekommen.
kreuzer: Die heutigen Strukturen in der Wirtschaft sorgen dafür, dass die Verantwortung etwa für die Schließung einer Fabrik anonymisiert ist. Ist Ihr Film ein Versuch, die Verantwortung zu re-personalisieren?
KLAPISCH: Im Film haben wir die Entscheidung, die Fabrik zu schließen, in den Händen von Steve vereinigt. In der Realität ist es eine ganze Hand voll Trader und Aktionäre, die an einer solchen Entscheidung beteiligt sind. Man sagt, dass es etwa zehn Menschen waren, die Griechenland in die Pleite getrieben haben, um mit dem Euro spekulieren zu können. Aber auch wenn es hundert sind, sind diese Leute für ihr Tun verantwortlich. Aber es findet kein Dialog mehr mit diesen Entscheidungsträgern statt. Sie müssen niemanden Rechenschaft ablegen.
kreuzer: Bei der Schließung der Fabrik in Dünkirchen zeigen Sie, dass die ehemalige Belegschaft sehr solidarisch mit einander umgeht. Gibt es in Frankreich noch diese klassische Arbeitersolidarität, von der in Deutschland kaum noch etwas zu spüren ist?
KLAPISCH: Ja, die gibt es noch. Da habe mich von Dingen inspirieren lassen, die ich in Vorbereitung auf diesen Film dort selbst erlebt habe. Man hatte in Dünkirchen gerade die Raffinerie von »Total« geschlossen und sehr viele Leute entlassen. Da war die Solidarität untereinander deutlich spürbar. Vor allem im französischen Norden halten die Menschen traditionell besser zusammen.
kreuzer: Hätte der Film auch ohne eine amouröse Verwicklung zwischen den beiden Hauptfiguren funktioniert?
KLAPISCH: Es geht darum, bis zu einem gewissen Grad die Wünsche der Zuschauer zu bedienen und das Vertraute dann durch neu aufkommende Widersprüche und dramaturgische Überraschungen zu brechen
kreuzer: Wie haben Sie die Dosis an Sympathie bemessen, die der Film einem Finanzhai wie Steve entgegenbringt?
KLAPISCH: Ich konnte ihn nicht zu schnell zum Hassobjekt machen. Steve musste auch mal charmant sein und an sich zweifeln, damit das Publikum nicht aussteigt. Das ist eine Frage von Nuancen. Es war klar, dass Steve ein Schweinehund ist, aber er musste trotzdem noch sexy und verführerisch sein, damit man bis zum Ende an der Figur dran bleibt.
kreuzer: Das französische Unterhaltungskino hat in den letzten Jahren zunehmend politische Themen aufgegriffen. Findet in Frankreich eine Repolitisierung des Kinos statt?
KLAPISCH: Die französischen Filmemacher sind heute wieder stärker politisiert. Das fing Mitte der Neunziger mit Filmen an, die sich für die illegalen Einwanderer engagiert haben. Es gibt immer wieder Epochen die apolitisch sind, wie etwa die achtziger Jahre, als die Inspirationen im französischen Kino eher aus der Werbung kamen. Heute interessieren sich die jungen Leute wieder viel mehr für die Politik. In dieser Generation gibt es ein erstaunliches soziales Bewusstsein. Es ist verblüffend zu sehen, wie Gymnasiasten gemeinsam mit Rentnern auf die Straße gehen, um für deren Belange zu demonstrieren. Und auch im Kino wollen die jungen Leute sich wieder mit der Realität konfrontieren.
kreuzer: Und warum greifen die meisten französischen Filme bei politischen Stoffen auf die Form der Komödie zurück?
KLAPISCH: Wenn man solche Themen nur als politischen Diskurs abhandelt, wäre das zu langweilig. Gerade für junge Menschen ist das Unterhaltungselement sehr wichtig. Die Filmemacher müssen genauso wie die Politiker ihre Sprache verändern. Wenn heute Gewerkschaftler von der linken CGT bei Entlassungen immer nur »Skandal« schreien, schläft das Publikum vor dem Fernseher ein. Man muss den politischen Diskurs wieder beleben und dafür ist das Mittel der Komödie sehr gut geeignet.