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Filmkritik

Geschichten vom Ende der Welt

Lars von Trier lässt in seinem neuen Film »Melancholia« die Erde untergehen

  Geschichten vom Ende der Welt | Lars von Trier lässt in seinem neuen Film »Melancholia« die Erde untergehen

Die Apokalypse ist zum Greifen nah. Der Planet Melancholia rast ungebremst auf die Erde zu. Auf einem Felsen ausgestreckt liegt Justine (Kirsten Dunst), angestrahlt vom blauen Licht des riesigen Planeten. Sanft streicht sie sich über ihren nackten Busen. Im Angesicht der Kollision scheint die sonst so depressive junge Frau ihre seelischen Strapazen abzulegen. Aus der Ferne beobachtet Justine ihre ältere Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg).

Lars von Trier erzählt in seinem neuen Film »Melancholia« die Geschichte zweier ungleicher Schwestern und begleitet sie bis zum bitteren Ende. Die schwer depressive Justine sehnt sich nach der Apokalypse, während sich die verheiratete und erfolgreiche Claire schwer damit tut, vom Leben Abschied zu nehmen – vor allem von ihrem kleinen Sohn Leo.

Beginnen lässt von Trier sein Endzeit-Drama mit einer zehnminütigen, bildgewaltigen Ouvertüre. Zu den Klängen von Wagners »Tristan und Isolde« und in Super-Zeitlupe zeigt er eine Braut, deren Kleid sich im Unterholz verfangen hat, Vögel, die vom Himmel fallen, und eine Frau, die mit einem Kind auf dem Arm im Rasen versinkt. Das Statement des Films lautet: Wir sind allein in der Welt.

Nach »Antichrist« setzt sich von Trier in »Melancholia« ein weiteres Mal mit dem Thema Depression auseinander. Der Regisseur selbst leidet darunter. Größtenteils mit Handkamera gefilmt, erinnert sein bis in die Nebenrollen mit Stars besetzter Weltuntergang den Dogma-Filmen von einst. Die Situation im Film ist angespannt, an jeder Ecke lauern Probleme und Zwist.

Von Trier erzählt das Geschehen in zwei Episoden: Im ersten Teil, »Justine«, feiert eine Hochzeitsgesellschaft auf einem riesigen Anwesen. Die Feier läuft nach und nach aus dem Ruder. Der Versuch Justines, der Braut, sich mit der Heirat zurück ins Leben zu kämpfen, endet im Fiasko. Das Fest stand ohnehin unter keinem guten Stern: Justine verliert zunehmend die Kontrolle über sich, die Brauteltern übertrumpfen sich darin, ihre Töchter zu schikanieren, und der Bräutigam verlässt frustriert das Fest. Aber was sind das schon für Probleme angesichts des nahenden Weltuntergangs?

Der zweite Akt, »Claire«, läutet den kosmischen Showdown ein. In ihm steht die Brautschwester im Vordergrund, die trotz der Beschwichtigungen ihres Mannes John (Kiefer Sutherland) zunehmend panischer wird. John, voller Vertrauen in die Wissenschaft, mit der der Mensch die Natur zu beherrschen glaubt, verneint den Zusammenprall von Melancholia und der Erde vehement, bis er plötzlich damit aufhört. Er begeht Selbstmord. Und dann sind die Frauen mit dem kleinen Leo allein. Ganz allein.

Kirsten Dunst spielt im Film, wie schon Charlotte Gainsbourg in »Antichrist«, das Alter Ego des Regisseurs – eine Depressive. Wie Gainsbourg zwei Jahre zuvor hat Dunst in diesem Jahr in Cannes die Goldene Palme für ihre schauspielerische Leistung erhalten. Zu Recht. Lars von Trier ist dafür bekannt, dass er seine Filmheldinnen gerne leiden lässt. In »Breaking the Waves« (1996) muss die junge Bess auf Wunsch ihres Ehemannes mit anderen Männern schlafen, in »Dancer in the Dark« (2000) wird Selma erhängt. Und in »Melancholia« fällt Justine aufgrund ihrer emotionalen Zerrissenheit aus dem Gefüge der Hochzeitsgesellschaft heraus. Allerdings verzichtet der Dogma-Erfinder darauf, Justine wie ihre Vorgängerinnen psychisch und physisch zu foltern. Stattdessen zelebriert er voller Fatalismus einen Weltuntergang, wie man ihn in einer solchen Ruhe noch nicht auf der Leinwand gesehen hat.

Unter der glatten Filmoberfläche, den kitschig-schönen, gemäldegleichen Bildern und dem traumwandlerischen Fortgang der Geschichte entfaltet von Trier einen Mikrokosmos voller Einsamkeit, Hass und Wahnsinn. Wir fühlen mit Claire, wenn sie zitternd vor Panik unter einem provisorischen Holzbau dem Untergang ins Auge blickt, und gehen gemeinsam mit Justine den Weg in den endgültigen Rückzug. Hier liegt die große Stärke des Films: »Melancholia« verstört nicht, sondern macht erfahrbar. Vielleicht auch, weil er anders als Terrence Malick kürzlich in »Tree of Life« (2011) keine Fragen stellt, sondern nur die seelischen Zu-stände der Protagonisten präsentiert. Statt wie Malick den Film mit sakraler Bedeutung aufzuladen, zeigt von Trier den Untergang in seiner ganzen Konsequenz. »Wir sind allein im All«, lässt er durch seine Heldin Justine verkünden. Da hat ohnehin alles keinen Sinn mehr. Wenn es aufs Ende zugeht, hört der Zuschauer auf, das Handeln der Figuren zu verurteilen. Gemeinsam mit ihnen empfindet er nur noch Angst. So also geht die Welt unter.


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