anzeige
anzeige
Kultur

»Wenn Selbstbestimmung bedeutet, 'Schlampe' zu sein...

...dann sind wir es gern« - Leipzigs erster Slutwalk

  »Wenn Selbstbestimmung bedeutet, 'Schlampe' zu sein... | ...dann sind wir es gern« - Leipzigs erster Slutwalk

Es ist wahrscheinlich noch nicht vorgekommen, dass in Leipzig eine Demo angemeldet wurde, weil jemand in Kanada dummes Zeug erzählt hat. Auslöser des Ganzen war ein Polizist aus Toronto, der auf einer Schulveranstaltung sagte, wenn Frauen nicht zu Opfern von Sexualverbrechen werden wollten, sollten sie sich halt nicht wie Schlampen - englisch »Sluts« - kleiden. Aus Protest gegen diese fragwürdige Äußerung ist eine weltweite Bewegung geworden: selbst ernannte »Schlampen« demonstrieren rund um den Globus gegen Sexismus und für sexuelle Selbstbestimmung - jetzt auch in Leipzig. Corinna Marie Wolff, eine der hiesigen Organisatorinnen, erklärt, was es damit auf sich hat.

Kreuzer: Was ist denn ein Slutwalk?

Corinna Marie Wolff: Es geht dabei um einen Protest gegen sexualisierte Gewalt, gegen Vergewaltigungsmythen, und gegen das bipolare System, in dem es nur Mann und Frau geben darf. Wir setzen uns für sexuelle Unversehrtheit ein, sei sie körperlich oder psychisch, und für das Recht selbst über unsere Sexualität entscheiden zu können.

Kreuzer: Es gibt doch aber schon ein Recht auf sexuelle Unversehrtheit...

Wolff: Es gibt sicherlich die Gesetze. Aber die Anmachsprüche, die Berührungen, ohne gefragt zu werden, der sexuelle Missbrauch - das findet dennoch tagtäglich statt. Vor Gericht müssen die Betroffenen oft auch körperlich nachweisen, dass sie sexualisierte Gewalt erfahren haben, dabei fängt diese bereits im psychischen Bereich an.

Kreuzer: Sie haben von Vergewaltigungsmythen gesprochen. Welche sind das?

Wolff: Ein großer Mythos ist, dass die Frauen selbst schuld sind, wenn sie vergewaltigt werden, weil sie sich aufreizend, eben wie Schlampen kleiden. Wir wollen zeigen, dass es ganz egal ist, wie Menschen aussehen. Kein Mensch möchte sexuell belästigt, missbraucht oder auch nur berührt werden, ohne vorher ein ganz klares Ja zu signalisieren. „Nein heißt Nein“ ist unser großes Motto.

Kreuzer: Wo fängt sexualisierte Gewalt an?

Wolff: Die Grenze zieht jeder Mensch letztendlich selbst. Wenn ich ein Erlebnis hatte, das mich psychisch belastet oder mir eine körperliche Berührung mit sexuellem Kontext unangenehm ist, so würde ich die Grenzen definieren. Das muss natürlich auf einem gegenseitigen Verständnis beruhen. Derzeit ist der gesellschaftliche  Konsens aber häufig auf der Seite der Beschuldigten. Die sogenannte Definitionsmacht gibt den Betroffenen das Recht, sich auszusprechen, und man sollte ihnen erstmal glauben.

Kreuzer: Unser Rechtssystem fußt aber auf dem Grundsatz: Unschuldig bis zu Beweis des Gegenteils.

Wolff: Diese gesetzliche Grundlage ist gut und richtig so. Natürlich muss man versuchen, die Wahrheit herauszufinden. Aber wenn sich Betroffene immer wieder verteidigen müssen, wird weiterhin vieles gar nicht erst zur Sprache oder gar vor Gericht kommen. Wenn eine Frau jemanden beschuldigt, würde ich annehmen, dass sie einen Grund hat, das zu behaupten, und nicht per se von der Unschuld des Täters oder der Täterin ausgehen. Wir wollen aber weniger etwas auf juristischer Ebene bewegen, sondern erstmal in den Köpfen eine Sensibilisierung für diese Zustände schaffen.

Kreuzer: »Slutwalk« heißt ja Schlampenmarsch oder -spaziergang. Sie nehmen für sich einen Begriff an, der eigentlich ein Schimpfwort ist. Warum?

Wolff: Es gibt eine große Kontroverse um dieses Wort. „Slut“ war der Ausdruck des Torontoer Polizisten, den hat man sich angeeignet und mit einer gewissen Ironie das Ganze „Slutwalk“ genannt. Wir in Leipzig haben das mit übernommen, weil es einfach eine gewisse Wirksamkeit nach außen hat. Aber das Wort wird auch oft in rassistischem Kontext benutzt, womit wir definitiv nicht konform gehen wollen. Und viele begreifen sich auch einfach nicht als Schlampe. Wir wollen aber definitiv niemanden ausschließen. Jeder möchte bitte so erscheinen, wie er sich wohl fühlt. Es geht überhaupt nicht darum, sich als Schlampe zu präsentieren.

Kreuzer: Aber ist es nicht besonders schwierig für die Opfer sexualisierter Gewalt, die schon mal als Schlampe bezeichnet oder als solche behandelt wurden?

Wolff: Mir ist nicht bekannt, dass eine Betroffene auf uns zugetreten ist und gesagt hätte: ich kann nicht dahinter stehen, ich finde es nicht gut, das nach außen zu tragen oder diese Worte zu benutzen. Das ist auch eine Selbstermächtigung, sich darüber hinwegzusetzen, als Schlampe oder Opfer abgestempelt zu werden. Wir sind keine Opfer, wir sind Betroffene. Und was soll daran so schlimm sein, wenn wir verschiedene Sexualpartner oder -partnerinnen haben, oder wenn wir ja sagen oder wenn wir nein sagen? Wenn Selbstbestimmung bedeutet, 'Schlampe' zu sein, dann sind wir es gern.

Kreuzer: Bei den Slutwalks weltweit sind viele Frauen sehr provokant aufgetreten, nur in Unterwäsche oder weniger. Was will uns das mitteilen?

Wolff: Für mich ist das ein Statement: Ich möchte egal wie durch die Welt gehen dürfen, ohne dass jemand das Recht hat, mich zu berühren, zu bezeichnen oder abzuurteilen.

Kreuzer: Ohne sexueller Gewalt das Wort reden zu wollen: Kleider machen Leute. Man wird so wahrgenommen, wie man sich präsentiert.

Wolff: Natürlich muss ich mir darüber im Klaren sein, wie das wirkt. Anders herum kann das ja nur funktionieren, wenn ich weiß, wie mein Gegenüber das wahrnimmt. Sicherlich kann das den einen oder anderen Menschen sexuell stimulieren, wenn ich wenig bekleidet durch die Straße laufe. Das heißt aber nicht, dass er oder sie deswegen zu einem Übergriff übergehen darf oder ich dazu einlade. Man sollte sich der Reaktionen bewusst sein, aber es ist schlimm, wenn man sich einschränken muss, weil andere der Meinung sind, sie hätten deswegen ein Recht auf irgendwas.

Kreuzer: Slutwalks gib es inzwischen weltweit. Ist das eine neue feministische Bewegung, die wir hier erleben dürfen?

Wolff: Ich will es hoffen (lacht). Aber was heißt neu. Feminismus gibt es schon lange. Ich hoffe aber tatsächlich, dass sich durch die Slutwalks eine Menge Menschen, die sich nicht gerne mit theoretischen Diskursen befasst haben, angesprochen und betroffen fühlen, und sich solidarisieren.

Kreuzer: Sie haben selber gesagt, dass der Begriff Slutwalk ironisch ist. Wie wollen sie Missverständnissen vorbeugen?

Wolff: Durch Gespräche. Auch mit der Presse, aber vor allem dadurch, dass wir jeden Tag mit verschiedensten Menschen darüber reden. Ein Missverständnis waren übrigens auch die Pressemeldungen: »Frauen protestieren dafür, sich sexy kleiden zu dürfen.« Das hat nun relativ wenig mit unserem Diskurs zu tun. Natürlich wollen wir uns so kleiden wie wir wollen, aber gerade »sexy« bedeutet, der männlich sozialisierten Welt gefallen wollen.


Kommentieren


0 Kommentar(e)