anzeige
anzeige
Kultur

»Ohne Tomte habe ich vielmehr Angst«

Thees Uhlmann übers Erwachsenwerden, Exhibitionismus und sein erstes Rockkonzert

  »Ohne Tomte habe ich vielmehr Angst« | Thees Uhlmann übers Erwachsenwerden, Exhibitionismus und sein erstes Rockkonzert

Im Sommer erschien Thees Uhlmanns erstes Soloalbum mit dem vielsagenden Titel »Thees Uhlmann«. Im kreuzer-Interview erklärt der ehemalige Tomte-Sänger, wie grauenvoll es ist, im Garten seiner Eltern zu spielen, warum er kein peinlicher Berliner ist und was er von RB Leipzig hält.

kreuzer: Dein Solo-Album klingt, als wärst du angekommen. Lieder über Heimat, die eigene Kindheit und übers Kinder-Großziehen. Ist es ein Album für Erwachsene?

THEES UHLMANN: Vor allem führe ich einfach nicht mehr das Leben eines 26-Jährigen. Ich weiß inzwischen, wo ich stehe, was ich tue und warum ich mir dieses Leben ausgesucht habe. Andererseits bekomme ich aber in Gesprächen auch mit, dass viele 37-Jährige alles andere als angekommen sind, sondern sich vielmehr fragen: Habe ich alles richtig gemacht? Wo ist der Platz in meinem Leben? Wo ist mein Zuhause? Davon handelt die Platte ja auch ganz viel.

kreuzer: In dem Video zur Single »Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf« zeigst du Bilder und Videoaufnahmen aus deiner Kindheit. Ist das so eine persönliche Zurückbesinnung auf deine Wurzeln?

UHLMANN: So persönlich finde ich das gar nicht. Ich wollte mit den Super-8-Aufnahmen repräsentativ als Künstler zeigen: So war das damals in den Achtzigern und was die Eckdaten eines Lebens sind. Eine Freundin meinte zu mir, der Song klinge wie Super-8-Aufnahmen. Und da fiel mir ein, dass es die ja wirklich gibt. Und ich überlegte, wie ich es finden würde, wenn ein Lieblingskünstler von mir die Eier hätte, diese Aufnahmen aus künstlerischen Aspekten her zu zeigen. Das hat nichts mit Exhibitionismus zu tun, wie auch die Reaktionen zeigen. Die einen sagen: Mist, wieso habe ich solche Aufnahmen nicht? Und andere: Alter, genauso war's bei uns. Und so funktioniert doch Kultur. Dass du als Künstler den Leuten etwas gibst, worauf die sich beziehen können.

kreuzer: Und wie war es dann, im Garten seiner Eltern zu stehen, um mit der Band zu spielen?

UHLMANN: Grauenvoll. Weil ich zwar wahnsinnig gerne Konzerte spiele, aber ein riesiges Problem damit habe, in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erregen. Schon die Nachbarskinder, die über den Zaun schauten, haben mich wahnsinnig nervös gemacht.

kreuzer: Du beginnst nun auch die Tour in deiner Heimatstadt Hemmoor. Warum?

UHLMANN: Weil ich das einerseits witzig und skurril finde, andererseits auch sehr logisch, dort anzufangen. Es gibt drei große Bands, die da gespielt haben: Terry Hoax, Echt und Madsen.

kreuzer: Oha.

UHLMANN: Sonst passiert da nicht viel. Terry Hoax war eines meiner ersten Rockkonzerte. Man muss sich seine Momente auch erfinden. Zwei Drittel des Publikums werden Leute sein, die ich aus der Schule oder über irgendwelche Ecken kenne. Das ist auch schon ewig her, dass ich in dem Umkreis dort gespielt habe.

kreuzer: Bei eurem Konzert beim Highfield hast du die Songs sehr straight durchgespielt. Bei Tomte-Konzerten war es immer ein Highlight, die Geschichten zwischen den Songs zu hören. Fällt das mit der neuen Band nun weg?

UHLMANN: Beim Festival ist das eh immer schwierig, weil man da nur so wenig Zeit hat und natürlich möglichst viele Lieder spielen will. Ich bin mit der neuen Band aber viel konzentrierter als noch bei Tomte, weil ich einfach viel mehr Angst habe. Bei Tomte wusste ich, dass jetzt Lied soundso kommt und die Leute das gut finden werden. Bei Thees Uhlmann dagegen habe ich einfach noch Angst vor den Reaktionen der Leute. Dafür ist die Freude natürlich umso größer, wenn man merkt, sie finden es gut.

kreuzer: Das Album fanden ziemlich viele Leute ziemlich gut. Ist die Angst jetzt weg?

UHLMANN: Nee, die ist teilweise noch da. Aber nicht schlimm. Denn dazu mischt sich die Freude, dass diese Soloplatte tatsächlich geklappt hat.

kreuzer: Wieso hätte man diese Platte nicht mit Tomte machen können?

UHLMANN: Das wäre, wie wenn du vom kreuzer zur Vision wechselt und dich jemand fragt: Wieso hast du denn so nicht für den kreuzer geschrieben?

kreuzer: Der tip hat dich zu den 100 peinlichsten Berlinern gewählt ...

UHLMANN: Ich habe mich da auf dem Cover gesehen und erstmal gefreut, dass ich da mit so vielen berühmten Leuten bin ...

kreuzer: ...weil er deine Songzeile »Dein Herz ist eine Synagoge, es wird Tag und Nacht bewacht« nicht ganz nachvollziehen konnte. Erkläre sie doch bitte!

UHLMANN: Erstmal ist das eine Beobachtung. Man läuft durch Berlin und kommt an einer Kirche vorbei – was ja eigentlich eine total normale Sache ist –, nur dass vor dieser Kirche Polizisten mit Maschinengewehren stehen. Der zweite Gedanke ist: Wir sind hier in Deutschland. Leute, wisst ihr, was hier vor einem halben Jahrhundert getan haben? Und immer noch müssen Kirchen bewacht werden? An dem Punkt muss man doch am Gehirn des Menschen zweifeln. Und ich wollte mich nicht auf den Impuls einlassen, darüber könne man nicht singen. Denn ich betrachte Religion als eine kulturell ganz normale Sache.

kreuzer: Aber wieso ist das Herz von jemanden wie diese Synagoge?

UHLMANN: Das kommt natürlich aus meiner persönlichen Biografie. Ich wollte diese große kulturelle Symbol des jüdischen Glaubens auf so eine Sache wie Verliebtsein oder Liebe beziehen, weil dadurch wieder eine Normalität reinkommt. Und am meisten hat mich dann gefreut, dass die Jüdische Allgemeine den Satz zum Zitat der Woche gemacht hat. Und da ziehe ich doch so eine Zeitung einem spießigen Berliner Stadtmagazin vor. (lacht)

kreuzer: Eine Zeile, die ich dagegen sehr schön finde, ist: Ich bin jederzeit für »für immer« bereit...

UHLMANN: Ich mag Bedingungslosigkeit. Du bist das – und zwar für immer!

kreuzer: Daran kann man aber schnell scheitern. Wenn man nach zwei Jahren merkt, das »für immer« hat irgendwie nicht geklappt.

UHLMANN: Was soll ich sagen? Lieber stehend sterben als auf Knien zu leben? Ich weiß nicht.

kreuzer: Das wird dann unser Zitat der Woche. Aber zurück zu Dir. Es ist kein Geheimnis, dass du längst Vater bist, das zieht sich auch durch deine Texte. Wie beeinflusst dich deine Vaterschaft beim Songschreiben?

UHLMANN: Kinderkriegen ist für mich etwas ganz natürliches. Es beeinflusst mich genauso wie der Rest meiner Biografie, zum Beispiel, dass ich Hamburg ganz stark vermisse.

kreuzer: Und was sagst du zu Leipzig?

UHLMANN: Ich finde das aufgeklappte Buch geil, das man schon von der Autobahn aus sieht. Und als Fußballfan interessiert mich natürlich, was hier passiert.

kreuzer: Deine Meinung zu RB Leipzig?

UHLMANN: Da will ich mich nicht einmischen. Da interessiert mich die Diskussion mehr als das Ergebnis. Was mir aber aus soziologischer Sicht auffällt, ist wie das Image von Leipzig immer besser wird und die Leute von Berlin nach Leipzig ziehen, weil sie von Berlin nur genervt sind. Und das kann ich ja mal anbiedernd sagen: Ich fand die Aura der Stadt immer angenehm.

Die Kollegen von detektor.fm haben O-Töne aus dem Interview zu  einem kleinen Beitrag zusammengebastelt, den ihr hier hören könnt:


Kommentieren


0 Kommentar(e)