Sie ist unsere Frau in Bangladesch. Die Performance-Künstlerin Diana Wesser
gibt in der 13-Millionen-Stadt Dhaka einheimischen Künstlern einen Workshop zum Thema Performance im öffentlichen Raum. Und schreibt hier auch über ganz andere Schwierigkeiten. Heute: Sauerstoffschock in Leipzig.
Schon auf der Rückfahrt vom Resort spüre ich, dass sich etwas verändert hat. Es ist deutlich wärmer geworden. Und da es seit Wochen nicht geregnet hat, liegt dicker Staub in der Luft. In den Straßen von Dhaka schnürt es mir die Kehle zu, meine Augen tränen und mit der Ruhe ist es jetzt wieder vorbei. Beim Versuch, zu Fuß in der Stadt unterwegs zu sein, werde ich mehrmals fast überfahren und komme kaum vorwärts im dichten Gedränge. Da sind sie wieder, die Blicke, die mich mustern, mal neugierig, mal berechnend und ich wünsche mir nichts mehr, als unsichtbar zu sein. Ich sehe Hühner, die gleich am Straßenrand ihr Leben lassen und eine Schale voller lebendiger Fische – ohne Wasser. Eine Kuh wartet angebunden neben den Überresten ihrer Artgenossen auf ihr eigenes Ende, im Straßengraben fließen menschliche Exkremente an mir vorbei und stets werden mir bettelnde Hände entgegengestreckt. Der Hunger begleitet auch mich, denn die Straßenverkäufer verstehen nicht, was ich von ihnen will und ignorieren mich. Ich fühle mich fremd, einsam und isoliert und sehne mich nach ein wenig Normalität.
[caption id="attachment_15441" align="alignleft" width="250" caption="Freunde aus und in Dhaka"][/caption]
Gerade als ich versucht bin zu verzweifeln, tauchen meine Workshopteilnehmer und ihr gesamter Freundeskreis auf. Sie schmiegen sich um mich wie eine warme, weiche Wolke. Jeden Tag habe ich nun eine Einladung zum Essen, bei dem sich die Tische nur so biegen und ich bekomme meine erste warme Dusche seit Wochen! Meine Abende verbringe ich in einer selbst organisierten Freiluftgalerie, wo ich einen süßen Milchtee nach dem anderen in die Hand gedrückt bekomme und bengalische Lieder lerne. Mindestens zehn Telefonnummern in meinem Handy geben mir das Gefühl, nicht mehr allein zu sein und die Sicherheit, dass ab jetzt immer jemand da ist, wenn ich ihn brauche. Zu meinem Abschied wird ein Fest organisiert, bei dem wir bis in die frühen Morgenstunden zusammensitzen, essen, tanzen und singen und ich bekomme jede Menge Geschenke.
Zurück in Leipzig sehe ich meine Stadt mit völlig fremden Augen. Es ist kalt hier, still und leer und ich erleide nicht nur einen Sauerstoffschock, sondern auch einen umgekehrten Kulturschock: Alles, was für mich immer normal war, finde ich plötzlich total exotisch und die Menschen hier erscheinen mir wie weiße Riesen. Am meisten fällt mir auf, wie reguliert und kontrolliert der Stadtraum ist und wie distanziert wir uns dort begegnen. Plötzlich bin ich wieder einsam und vermisse nicht nur die wärmende Sonne, sondern auch die überwältigende Herzlichkeit und Offenheit, mit der mir viele Menschen in Bangladesch begegnet sind. Ja, Bangladesch ist ein sehr armes Land, wenn Armut als Mangel an finanziellen Mittel und fehlendem Zugang zu Trinkwasser, medizinischer Versorgung und Bildung für alle definiert wird. Aber gemessen an Lebensfreude, Intensität, menschlicher Nähe, Spiritualität, Musik und Farben ist Bangladesch unermesslich reich!
Trotz all der Probleme, mit denen ich dort konfrontiert war, steht mein Entschluss fest: Im Oktober fliege ich wieder hin.