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Kultur

»Kultur darf nicht komplett umsonst sein«

Der Altin Village-Labelbetreiber Marcel Schulz über DIY im Internet, Verträge mit Handschlag und die Abschaffung seines CD-Players

  »Kultur darf nicht komplett umsonst sein« | Der Altin Village-Labelbetreiber Marcel Schulz über DIY im Internet, Verträge mit Handschlag und die Abschaffung seines CD-Players

Das Label Altin Village & Mine veranstaltet zum fünften Mal das Festival La Familia Y Amigos mit Künstlern wie Radio Burroughs, Von Spar, Pttrns oder Sven Kacirek. Im Vorfeld haben wir uns mit Marcel Schulz darüber unterhalten, was es in den Zeiten von MP3 bedeutet, ein Label zu betreiben und wieso er trotz des nie mehr sterbenden Kapitalismus immer weiter macht.

kreuzer: Wie entstand das Label?

MARCEL SCHULZ: Das erste Release war eine Single unserer eigenen Band. Da war es nahe liegend, alles selbst in die Hand zu nehmen und ein Label ins Leben zu rufen. Anfangs veröffentlichten wir auf Altin Village & Mine vor allem Post-Punk, Screamo und Singer-Songwriter-Musik. Über die Jahre öffnete sich mein musikalisches Spektrum und das hatte eine durchaus positive Auswirkung auf meinen Musikgeschmack, welcher sich natürlich subjektiv im Label widerspiegelt. Inzwischen ist es auch denkbar, einen Tonträger eines guten Techno-Acts zu veröffentlichen. Die soziale Komponente zwischen Band und Label ist genauso wichtig wie die Qualität des künstlerischen Outputs.

kreuzer: Warum?

SCHULZ: Wir wollen wissen, wo wir unser Geld investieren. Es ist uns wichtig, dass wir eine freundschaftliche Basis zum Vertrieb, zum Presswerk und anderen Partnern pflegen. Da gehören regelmäßige Telefonate und Treffen selbstverständlich dazu. Bei uns läuft alles auf Handschlag-Basis. Das fühlt sich besser an. Wenn eine Band wie Future Islands dann auf ein größeres Label wechselt, bin ich nicht sauer. Das ist deren Entscheidung und diese steht auf gar keinen Fall zwischen uns.

kreuzer: Wie gehen im Jahre 2012 DIY und Label-Management bei Altin Village & Mine zusammen?

SCHULZ: Die Vernetzung ist durch das Internet viel einfacher geworden. DIY in Reinform stößt inzwischen bei unseren Veröffentlichungen an seine Grenzen, da unsere Künstler nicht mehr nur über den Tausch von Platten und Beiträge in ausgewählten Szenezeitschriften bekannt werden. Ich bevorzuge mittlerweile den Begriff Independent für unsere Arbeit, auch wenn es sich immer noch wie DIY anfühlt, da wir viele Strukturen selbst verwalten. Letztlich zählt aber nicht die Bezeichnung, sondern dass unsere Arbeit gehaltvoll ist. So bunt wie der Label-Katalog ist, bin auch ich. Sowohl musikalisch als auch bei den Denkstrukturen: Ich möchte mich nicht limitieren. Das würde mich als Person einengen.

kreuzer: Was sind Nachteile des Internets?

SCHULZ: Ich habe es lange unterschätzt, aber vielen jungen Leuten reicht es aus, Musik als MP3s auf ihrem Rechner zu besitzen. Auch wenn ich das Herunterladen von Musik nicht per se schlecht finde, ist es auch wichtig, dass Musik nicht grundsätzlich kostenlos sein kann. Rechtsanwälte oder andere Berufsgruppen arbeiten schließlich auch nicht umsonst. Ganz klar distanziere ich mich dennoch von Menschen, welche permanent jammern und behaupten: »Früher war alles besser«. Man kann der größte Antikapitalist sein, aber wir werden mit Sicherheit in keiner anderen Gesellschaftsform mehr leben. Dafür ist Kapitalismus zu komplex. Was nicht heißen soll, dass es falsch ist, Kritik daran zu üben – ganz im Gegenteil. Kultur darf nicht komplett für umsonst sein. Auf der anderen Seite sind Verbote keine wirksame Maßnahme. Ich habe leider auch kein Patentrezept parat, aber es sollte einen ständigen Diskurs und eine neue Sensibilisierung für Musik geben, zum Beispiel durch interessantere Cover, beigelegte Poster oder schwereres Vinyl. Wenn wir das Produkt aufwerten, erkennen die Leute vielleicht eher, dass das Kunst ist und es sich auch lohnt, dafür zu zahlen.

kreuzer: Die Veröffentlichungen auf Altin Village & Mine und das Line-Up des Festivals sind ein guter Beweis für diese Durchmischung von Szenen und Stilrichtungen, die früher klarer getrennt waren. Die Grenzen zwischen Indie, Post-Punk und Post-Rock, experimenteller Musik und World Music verschwimmen immer mehr. Ist es eine bewusste Entscheidung eurerseits, das mit zu tragen oder eine zwangsläufige Entwicklung?

SCHULZ: Die Grundidee des Festivals war, dass wir einen Label-Show-Case etablieren. Seit Beginn haben wir aber auch vielen labelfremden Bands ein Podium geboten. Zum einen wollten wir das Festival nicht reproduzieren und immer wieder die gleichen Bands einladen. Zum anderen sind wir mit vielen Booking-Agenturen befreundet, die Bands vertreten, die uns am Herzen liegen. Musikalisch ist das breitere Spektrum beim Festival ebenso eine logische Konsequenz wie bei unseren Label-Veröffentlichungen.

kreuzer: Wie zufrieden seid ihr mit der Resonanz der letzten Jahre?

SCHULZ: Mehr geht immer. Es war durchaus immer noch ein wenig Platz im Conne Island. Das liegt vielleicht an der Preispolitik, aber man muss auch bedenken, dass die Bands Flüge, Equipment und Tourbus refinanzieren müssen und in der Zeit, wo sie in den USA nicht ihren Jobs nachgehen können, ein wenig Handgeld haben möchten. Wir zahlen den Bands keine Extremgagen. Aber uns ist es wichtig, dass wir ohne Sponsoren arbeiten. Daher muss das gesamte Geld für die Künstlergagen über die Abendkasse akquiriert werden.

kreuzer: Was steht zukünftig bei Altin Village & Mine an?

SCHULZ: Wir haben uns dazu durchgerungen, ab diesem Jahr unsere Vinyl-Veröffentlichungen auch digital zum Verkauf anzubieten. Ich habe mich lange dagegen verwehrt, weil ich persönlich MP3s keinen Wert beimesse und mir noch nie Musik entgeltlich heruntergeladen habe. Wenn mir etwas gefällt, kaufe ich mir immer die Vinyl-Ausgabe. Wenn ein Album nur auf CD erhältlich ist, kaufe ich es nicht, sondern warte ab, ob es nicht irgendwann als LP erhältlich ist. Ich habe daher gerade meinen CD-Player ausrangiert. Auch wenn Amazon und iTunes einen gewissen administrativen Aufwand haben, verdienen sie mehr an den MP3s als das Label und die Künstler, was Anlass zu gesunder Skepsis ist. Es gibt aber auch andere Plattformen, wo es möglich ist, MP3s anzubieten. Die Bands meinten aber: »Wir haben ja nichts zu verlieren. Wenn interessierte Leute unsere Alben vorhören können, ist das eine kostenlose Art der Werbung.« Wir verhandeln derzeit noch, wo wir unsere MP3s zum Download anbieten werden.

kreuzer: Wie sieht Eure demokratische Arbeit aus? Diskutiert ihr bei jedem Release neu, ob es zum Beispiel eine käufliche MP3-Ausgabe des jeweiligen Albums gibt?

SCHULZ: Ja, wir entscheiden für jede Veröffentlichung aufs Neue, da wir Transparenz für alle Beteiligten anstreben, und feilen solange an der Idee, bis es sich für alle gut anfühlt, auch wenn das manchmal lange dauern kann. Der Diskurs ist uns sehr wichtig. Wir hatten übrigens auch schon mehrere unmoralische Angebote von Bands, die ihre Platte erst einmal selbst finanzieren wollten, um schnell bei uns veröffentlicht zu werden. Auch wenn wir deren Alben vielleicht gut fanden, haben wir unseren eigenen Zeitplan und schlagen solche Angebote aus. Gerade mit Familie, Mailorder und Nebenjob lade ich mir keinen zusätzlichen Stress auf. Ich möchte nicht die gängigen Strukturen der Musikindustrie bedienen, sondern das Label machen, weil es sich gut anfühlt. Mittlerweile sitzen bedauerlicherweise bei vielen Labels mehr Betriebswirtschaftler als Musikliebhaber. Sehr zum Leidwesen der Musik, wie ich finde. Wir setzen eher auf Qualität als auf Quantität und sind keine Freunde von Massenveranstaltungen wie dem South By Southwest Festival. Ich bin nicht erpicht die ganze Arbeit selbst zu erledigen, besitze aber gern die Kontrolle und möchte keine neuen Mitarbeiter einarbeiten, um Aufgaben zu delegieren.

kreuzer: Ist es euer Ziel, dass ihr irgendwann euren Lebensunterhalt komplett über das Label bestreiten könnt?

SCHULZ: Ich hätte nichts dagegen, aber wir werden nicht die Maschinerie bedienen, um das zu forcieren. Nur mittels einer natürlichen Entwicklung würde sich das gut anfühlen.

 


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1 Kommentar(e)

MaThe 10.05.2012 | um 14:09 Uhr

Die Wurzel für die Probleme, die es jetzt bei illigalen Downloads gibt, würde ich aber auch schon tendenziell bei dem Versagen der Industrie suchen. Es hat sich eine Struktur entwickelt, die sich eben entwickelt hat, weil keine andere Struktur auf die auch ehrliche Kunden hätten zurückgreifen können, vorhanden war. Anfänglich - so hab ich das noch in Erinnerung - war es hauptsächlich Nischenmusik, die Strukturen zum legalen Downloaden für einen vernünftigen Preis zur Verfügung gestellt hat. Die großen Firmen haben die Vorteile von Online-Shops (wie sie heute in allen Branchen selbstverständlich sind, z.B. <a href="http://www.lifestyle-mag.de/moebeltransport-ihnen-vorteil-einkauf-schlange-_id831.html" rel="nofollow">dort</a> gelistet) anfänglich einfach nicht verstanden. Eins kam zum anderem und nu haben wir den Salat :-(