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Konzertkritik

Gewitter auf Erden

Das Festivaltagebuch, Teil 2: Torgau in Flammen

  Gewitter auf Erden | Das Festivaltagebuch, Teil 2: Torgau in Flammen

Beim In Flammen Open Air begeisterten Todes-Stahl und Froschkotze die Metal-Familie. Nur der Gulasch hatte zuviel Möhren.

Über dem Leipziger Land toben Blitz und Donner, von denen Torgau seltsam verschont bleibt. Dafür erleben dort rund tausend Metal-Heads ein Unwetter auf Erden: Stromgitarren-Stöße und Schlagzeug-Getöse sind die bestimmenden Klimafaktoren für das atmosphärisch perfekte In Flammen Open Air. Massig Death Metal, ordentlich Grind Core und deutliche Spurenelemente von Black Metal standen hier vom 5. bis 7. Juli auf dem Programm. Irgendwie kannte man die Hälfte der Gäste, der Rest wurde einem vorgestellt. Wunderbar persönlich ging’s zu und dieses unglaublich sympathische Festival ließ sich auch nicht durch die, sagen wir: angespannte WC-Situation kaputt machen. Ein Schwarzes oder eher weißes Schaf der Metal-Familie hat das Herren-Klo zerstört – wer nicht nur mal für kleine Skelettkrieger wollte, hatte weite Wege auf sich zu nehmen.

Aber man war ja nicht zum Stuhltanzen nach Torgau gereist. Im schönen Flecken Entenfang am Großen Teich, einem Naturschutzgebiet, das – natürlich – vom Schwarzen Graben gespeist wird, loki-lockte eine dreitägige Metal-Party. Ohne Security-Schleusen und mit dem Zeltplatz gleich neben der Bühne fand der tighte Stuff auf engstem Raum statt. Lokale Bekannte und internationale Größen waren am Start, etwa die Leipziger Glam-Rocker Prowler oder das ebenfalls Pleißenstädter Grind-Gewitter Human Prey. Während erstere als Festival-Opener zwischen Turn-Schuhen und Jeans-Zwickel den Heavy-Metal vergangener Jahrzehnte aufleben ließen, hackten und sägten die anderen am zweiten Tag mit tatkräftiger Fanunterstützung alles nieder. Völlig zurecht als junger, regionaler Upstart gefeiert wurden Deserted Fear (Eisenberg). Einmal mehr begeisterten die vier Jungs mit Old-School-Death, der nicht aus der Retorte kam, sondern hübsch eigenständig zusammengerührt und -geschüttelt wurde; ein Cocktail, der auf den Nacken schlug, wie eine Waschmaschinenladung nasser Handtücher.

Ebensolche verteilten die alten Helden von Benediction (UK) – ihre dunklen Segnungen besorgten einen derb daherwalzenden, offiziellen Festivalabschluss und ließen die Noch-nicht-Müden konditionell angeschlagen an der Bar namens Froschkotze zurück. Dort konnte man sich diese – ein Pfeffi-Abkömmling – und andere nicht minder gewöhnungsbedürftige Alkoholika nicht nur ums Maul schmieren. Zuvor bereits, noch in der Dämmerung, nahm October Tide (Schweden) Baudelaire beim Wort: »Oft nimmt Musik mich wie ein Meer gefangen!« In doomigen Wellen schwappte ihre Melodic-Death-Ursuppe über das Publikum. Apropos, dieser kleine Hinweis sei gestattet: Jemand möchte der »Entenfang«-Gastwirtschaftbetreiberin Renate einmal sagen, dass Gulasch nicht hauptsächlich aus Möhren besteht – auch wenn gegen Wurzelgemüse gar nichts einzuwenden ist.

Obituary (USA) jedenfalls läuteten zur Halbzeit Freitagnacht die Glocken zum Sturm. Die Death-Legende sprühte vor Kraft und Spielfreude, als wenn sie erst seit kurzem existierten. Ein Sturm brach plötzlich los und das Publikum vor der kleinen Waldbühne kannte kein Halten mehr, als Obituary ihren 360-Grad-Todes-Stahl abfeuerten. Über dieses i-Tüpfelchen wie über das In Flammen insgesamt sei noch einmal Baudelaire bemüht, der über die Schönheit urteilte: »Ich seh' dich achtlos über Leichen schreiten; / Zu deinem Schmuck gehört auch das Entsetzen; / So kann, bei deinen kleinen Kostbarkeiten, / Der Mord auf deinem Bauche sich ergötzen.«


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