Der erste Schnee ist gefallen, Glühwein wurde bereits zu süßem Saft zerkocht und auf der Leinwand geht es um die großen Gefühle. Also Taschentücher raus oder wenigstens eine Schulter zum Anlehnen suchen. Das tragische Liebesleben Anna Kareninas steht diese Woche hoch oben auf der kreuzer-Filmliste. Für jene Kinogänger, die es dieser Tage nicht so mit den Gefühlen haben, hält Martin McDonagh (»Brügge sehen... und sterben?«) mit seinem neuen Film »7 Psychos« witzige Unterhaltung und einen großartig aufgelegten Sam Rockwell bereit. Und ansonsten können Sie im Kino einiges darüber erfahren, was eine Libelle mit einem Nashorn so treibt und warum Venedig zur Puppenstube verkommt.
Die zeitlose Geschichte »Anna Karenina« von Leo Tolstoi steht in der Literatur wohl wie keine andere für das Ausloten von Liebe. Die mit dem hochrangigen Regierungsbeamten Karenin verheiratete Anna verliebt sich in Moskau in den attraktiven Kavallerie-Offizier Wronskij und gibt für diese ungleiche wie unglückliche Liebschaft alles auf: ihren Status, ihre Familie, ihr Leben. Das ist grob zusammengefasst die Geschichte von Anna Karenina – wohlgemerkt kein neuer Stoff auf der großen Leinwand. Aber was Regisseur Joe Wright daraus macht, ist neu. Wright hat eine offensichtliche Vorliebe für Literaturadaptionen und Kostümfilme – »Stolz und Vorurteil« (2005) oder »Abbitte« (2007) –, ganz zu schweigen von seiner besonderen Verbindung zur immer wiederkehrenden Hauptdarstellerin Keira Knightley. In »Anna Karenia« manifestiert Wright die romantische Liebe als letzte Illusion der Moderne und bringt das Kino zu seinen Wurzeln zurück: zum Theater. Das tragische Liebesleben Anna Kareninas können Sie im Großformat in den Passage Kinos und im CineStar anschauen, die vollständige Kritik von Anna Wollner finden Sie im aktuellen Heft.
Es ist schon tragisch, wenn ein Gedanke nicht absolut der eigene ist. So empfindet das zumindest die Nachwuchsautorin Ada Hänselmann (Fritzi Haberlandt). Gemeinsam mit dem 50 Jahre älteren Schauspielstar Nino (Mario Adorf) sitzt sie unfreiwillig in einem luxuriösen Hotel fest – und sinniert über das Leben. »Überhaupt finde ich es total enttäuschend, dass ich noch nie einen richtig neuen und interessanten Gedanken gedacht habe, sondern dass alles, was ich jemals gedacht habe, jemand anderes auch schon gedacht hat«, blubbert es aus Ada heraus. Nino folgt geduldig dem Gedankenkarussell der jungen Frau. Um die Zeit totzuschlagen, lassen sie sich nicht nur auf ein lustiges Frage-Antwort-Spiel ein, sondern sich auch zu bizarren Rollenspielen hinreißen. Ganz dem Titel gleich lässt Lola Randl in ihrem Kammerspiel »Die Libelle und das Nashorn« zwei äußerste unterschiedliche Charaktere zusammenprallen und eine außergewöhnliche Nacht miteinander verbringen. Das Aufeinandertreffen von Fritzi Haberlandt und Mario Adorf wirkt zunächst äußerst hölzern. Doch je näher sich die beiden Figuren im Film kommen, umso wärmer wird auch der Zuschauer mit ihnen. »Die Libelle und das Nashorn« läuft ab heute in der Kinobar Prager Frühling.
Dass Venedig zur Puppenstube verkommt, hat sich ja schon rumgesprochen. Massen von Touristen in den Gassen, Massen von Booten auf den Kanälen, Massen von Menschen auf den riesigen Kreuzfahrtschiffen, die in der Stadt alles plattwalzen könnten. Nachts dagegen ist es eine Geisterstadt, weil nur noch wenige tatsächlich hier wohnen – der rare Raum ist teuer. Die hier Geld lassen, kaufen einen Abklatsch der Vergangenheit. Am berühmten Maskenball nimmt nur noch der internationale Jetset teil. Andreas Pichler bündelt in seinem Dokumentarfilm »Das Venedig-Prinzip«, der im Deutschen Wettbewerb bei DOK Leipzig lief, verschiedene Stimmen, um in reibungsloser Dramaturgie das Ausmaß dieses Niedergangs zu zeigen, in dem die Infrastruktur verschwindet und die Einwohner vertrieben werden. Dass er keine Lösungsansätze aufzeigt, liegt wohl daran, dass es einfach keine gibt. »Das Venedig-Prinzip« ist ab heute im Cineding zu sehen. FR
Wenn Drehbuchautoren Drehbücher über ihre Arbeit als Drehbuchautoren schreiben, werden die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zwangsläufig durchlässig. Außer dem klangvollen Titel »7 Psychos« hat Marty (Colin Farrell) noch nichts zu Papier gebracht. Die Schaffenskrise seines Freundes nimmt sich der arbeitslose Schauspieler Billy (in Höchstform: Sam Rockwell) sehr zu Herzen und schaltet ein Zeitungsinserat, mit dem waschechte Psychopathen als Inspirationsquelle angeworben werden sollen. Aber auch ohne Annonce kommen die beiden Freunde bald in direkten Kontakt mit dem durchgeknallten Gangsterboss Charlie (Woody Harrelson). Aber Charlie ist nur einer von sieben in Aussicht gestellten Psychopathen, die in erzählten Geschichten und der Lebensrealität des kriselnden Drehbuchautoren auftauchen, welche sich in der filmischen Wirklichkeit immer weniger voneinander trennen lassen. Auf der Folie eines Serienkiller-Thrillers entwirft Martin McDonagh in »7 Psychos« seinen verwinkelten Plot, der das abgegriffene Genre und dessen gewalttätige Fantasien lustvoll ad absurdum führt. Die vollständige Kritik von Martin Schwickert finden Sie in der aktuellen Printausgabe. »7 Psychos« läuft ab heute in den Passage Kinos, im CineStar und ab dem 27. Dezember in der Kinobar Prager Frühling.
Eine nackte Frau räkelt sich in einem prunkvollen Arbeitszimmer. Kurz darauf verschwindet sie im Rachen eines Krokodils. Mit dieser Traumsequenz charakterisiert Regisseur Pierre Schoeller gleich zu Beginn des Films seinen Aufsteiger: das aufstrebende Polittalent Bertrand Saint-Jean (Olivier Gourmet), der es bis zum französischen Transportminister gebracht hat. Aus Amerika sind wir Politthriller mit hochdramatischer Action gewohnt. Im Gegensatz dazu geht das französische Pendant »Der Aufsteiger« deutlich subtiler an das Thema heran. Bertrand verliert sich und seine Ideale beinahe unbewusst im Spiel der Macht: »4000 Kontakte und kein einziger Freund« im Handy, so sieht sein Leben aus. Doch mit solch oberflächlichen Aussagen macht es sich der Film zu leicht. Und spätestens als Bertrands Limousine auf sein Verschulden hin verunglückt, bedient sich »Der Aufsteiger« einer hinlänglich bekannten Machtmetapher: Die kleinen Leute müssen die Entscheidungen der hohen Politiker tragen, und diese versuchen im Krokodilteich möglichst lang zu überleben. Die ganze Kritik zu Schoellers »Der Aufsteiger« finden Sie in der aktuellen Ausgabe. Der Film läuft in der Kinobar Prager Frühling.
Eigentlich ist er ein ganz lieber: Bösewicht Ralph aus einem 8-Bit-Videospiel. Er hat die Nase voll davon, immer nur die Rolle des Bösewichts innezuhaben. Ihm reicht es schlichtweg. Er bricht aus seinem eigenen Videospiel aus und schleicht sich in einen modernen Egoshooter. Dabei beschwört er versehentlich eine neue Gefahr herauf. Disney schickt ein fantasievolles 3D-Animationsabenteuer für Jung und Alt an die Kinostartlinie: »Ralph reicht's« läuft im Regina Leipzig und im CineStar.
In seinem neuen Film »Müll im Garten Eden« widmet sich Fatih Akin einem kleinen Dorf in der Türkei: Çamburnu, dem Heimatort seiner Großeltern. Hier zerstört eine Mülldeponie die dörfliche Idylle. Akin begleitet die Anwohner bei ihrem Protest gegen das riesige Areal, das den Menschen nach und nach die Lebensgrundlage entzieht. Unser Autor Denis Demmerle hat mit Fatih Akin über seinen Dokumentarfilm »Müll im Garten Eden« gesprochen.
Filmfutter fernab der Kinostarts:
Statt Gänsehaut und Gruselschocker verspricht das LURU-Kino am 11. Dezember wohlige Wärme im Kinosessel: Im »Feuchte-Träume-Doppel« sucht eine adlige Lady auf Wunsch ihres gelähmten Ehemannes einen Liebhaber (»Lady Chatterleys Liebhaber«, GB 1981) und Bo Derek sucht als Abiturientin nach einem Mann, der sie in die Geheimnisse körperlicher Liebe einweihen kann (»Ekstase«, USA 1984).
LURU-Kino in der Spinnerei: 11.12., weitere Informationen unter www.luru-kino.de
Mehr Filme finden Sie auf hier und in unserer Printausgabe.
Wie immer: Gute Unterhaltung!