Am heutigen 29. Januar feiert Johann Gottfried Seume (1763 – 1810) seinen 250. Geburtstag. Auf die große Biografie haben wir indes vergeblich gewartet. Die umfangreiche Lebensbeschreibung, die der Grimmaer Kulturhistoriker Eberhard Zänker bereits 2005 vorgelegt hat, ist eine gründliche, jedoch eher schwung- und glanzlose Arbeit, honorig, aber nicht ganz das, was man sich für Seume gewünscht hätte. Mit Bruno Preisendörfers eben erschienenem Seume-Buch »Der waghalsige Reisende« verhält es sich genau andersherum: Der Schriftsteller und ehemalige Redaktionsleiter des Berliner Stadtmagazins Zitty erweist sich als erfrischend leidenschaftlicher, aber ziemlich schlampiger Seume-Verehrer.
Fairerweise muss man erwähnen, dass Preisendörfer sein Buch nicht als Seume-Biografie ausgibt. Tatsächlich haben wir es eher mit einer Essay-Sammlung zu tun, die sich an Seumes Leben entlang hangelt. Dass sich Preisendörfer dabei nicht streng an die Chronologie hält, lässt sich damit ganz gut entschuldigen, bringt aber den Leser bisweilen etwas durcheinander, zumal wenn er über Seume noch nichts weiß.
Aber das Gute zuerst: Subtil und mit viel Einfühlungsvermögen spürt Preisendörfer den Widersprüchen in Seumes Charakter und Denken nach. Indem er oft und ausführlich aus Gedichten, Briefen, den Reiseberichten und der Autobiografie zitiert, lässt er Seume selbst zu Wort kommen und macht auf diese nahe liegende (und zugleich bequeme) Weise den Leser mit diesem Ausnahmeschriftsteller der deutschen Literaturgeschichte bekannt. Dabei hält Preisendörfer eine sichere Balance zwischen Intimität und Distanz. Wir lernen Seume kennen, aber er bleibt uns letztlich doch rätselhaft.
Jetzt das Nervige: Leider hat Preisendörfer ein ausgeprägtes Faible für onkelhafte Redensarten und verheddert sich häufig in blödsinnigen Wortspielen. Nur ein Beispiel: »Im Wort Mündigkeit steckt der Mund, und den sollten die Unmündigen halten.« Tatsächlich steckt in »Mündigkeit« das althochdeutsche »munt«, und das bedeutet »Schutz« oder »Gewalt«.
Das darf ein studierter Germanist wie Preisendörfer eigentlich gerne wissen. Was solls, wird mancher da sagen, so etwas kann doch einmal passieren. Gewiss, nur Preisendörfer passiert so etwas am laufenden Band.
So sehr sich Preisendörfer für den Sozialkritiker und politischen Denker Seume interessiert, so wenig schert er sich um den Philologen Seume und die von Seume so verehrte antike Literatur. Er hält etwa den griechischen Schriftsteller Plutarch für »den Verfasser lateinischer Parallelbiographien berühmter Griechen und Römer«. Der gute Plutarch hätte es vielleicht noch mit Humor genommen, für einen Römer gehalten zu werden, aber was hätte der penible Korrektor Seume zu einem solchen Schnitzer gesagt? Oder zu Preisendörfers abenteuerlichen Etymologie des Wortes »Reporter«, bei der man sich fragt, ob er überhaupt erkannt hat, dass die lateinische Verbform »reporter« Konjunktiv ist?
Natürlich kann man eine solche Kritik für reichlich oberlehrerhaft halten, und das ist sie auch zweifellos. Aber wer Seume schätzt und ernst nimmt, kann über derartige Schludereien schwerlich hinwegsehen. Vor der zweiten Auflage des »Waghalsigen Reisenden« sollte sich ein fachkundiger Korrektor darum kümmern.