»Oskar geht es heute gut. Er ist ein bisschen in der Pubertät, versucht den Weibchen zu imponieren. Aber das gelingt ihm noch nicht so gut. Typisch Mann eben.« Das sagt Christophe Boesch, Direktor der Primatologie am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, im Gespräch mit dem kreuzer Anfang März in Berlin (Ausgabe 05/2013). Im Interview ging es um den Disney-Dokumentarfilm »Schimpansen«, der die Geschichte des Affenbabys Oskar erzählt und an dem der renommierte Wissenschaftler Boesch mitarbeitete. Mittlerweile steht fest, dass es sich bei Boeschs Statement um eine Lüge handelt – das Schimpansenbaby starb während der Dreharbeiten, der Film ist über weite Strecken inszeniert.
Als Boesch dem kreuzer das Interview gibt, sind es noch knapp zwei Monate bis zum Filmstart und die Werbemaschinerie für das Disney-Hochglanz-Produkt »Schimpansen« läuft an. Boesch selbst spricht heute von einem Missverständnis und konstatiert, dass er mit der Vermarktung des Films nichts zu tun habe. Allein schon die Plakate sind herzzerreißend: Ein Schimpansenbaby schaut mit seinen dunkelbraunen Augen direkt in die Kamera – und uns an. Der Film schöpft dann dramaturgisch aus dem Vollen. Wir sehen den Schimpansen Oskar bei seinen ersten Spielversuchen, beim Nüsse knacken, beim Rangeln mit Altersgenossen. Dann der plötzliche Tod der Mutter bei einem Kampf mit einer rivalisierenden Affengruppe. Oskar, plötzlich auf sich alleine gestellt, ist dem Tode nahe und droht zu verhungern. Bis sich der Anführer des Clans seiner annimmt: Freddy, ein Alphatier mit Muttergefühlen. Oskar ist gerettet. Happy End im Urwald.
Disney hätte sich diese Geschichte nicht besser ausdenken können – und tatsächlich hat sie mit der Realität nicht viel zu tun. Christophe Boesch, der dem Filmteam um die Regisseure Mark Linfield und Alastair Fothergill als beratender Wissenschaftler zur Seite stand, ruderte schließlich in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel zurück. Auch auf Nachfrage des kreuzer bestätigt er nun: Oskar gibt es gar nicht. »Es sind insgesamt fünf Schimpansen zu sehen. Der Affe Viktor war zweieinhalb Jahre alt, als er Waise wurde«, gibt Boesch zu. »Die anderen Lebensabschnitte wurden mit anderen Schimpansen gedreht.« Oskar heißt also Viktor und weil im Englischen dieser Name mit einem alten Mann assoziiert wird, hat das Filmteam den Affen kurzerhand umbenannt. Was sie im Film ebenso verschweigen: Viktor stirbt sieben Monate nach der Adoption. Im Urwald nichts ungewöhnliches, für Disney allerdings der Supergau. »Disney möchte einen Kinofilm mit einer Geschichte erzählen, die sich gezielt an junge Zuschauer richtet«, erklärt Boesch das Vorgehen. Ein Happy End aus Tradition und nicht, weil es tatsächlich eines gegeben hat. An sich wird dieses Vorgehen im Tierfilmbereich durchaus praktiziert. Was hier aber aufstößt und hängen bleibt, ist die bewusste Verschleierung des Entstehungsprozesses des Films. Für das Image von Disney und die Macher ist aus dem süßen Affenmärchen an der Elfenbeinküste ein Alptraum geworden.