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Kultur

Wagnerweihe als Familienaufstellung

No pain, no gain? Die Freie-Szene-Produktion »Götterdämmerung« war ein Lichtblick

  Wagnerweihe als Familienaufstellung | No pain, no gain? Die Freie-Szene-Produktion »Götterdämmerung« war ein Lichtblick

Burn, burn, burn! Ganz am Ende wird der Ring symbolisch dem Feuer(-zeug) übergeben. Auch das Bayreuther Festspielhaus geht in Flammen auf. Wagners Walhalla brennt. Dunkel und ab. Applaus und Hip hip Hooray! Nach fünfeinhalb Stunden – zwei Pausen inklusive – ist die ungewöhnliche »Götterdämmerung« im Auditorium Maximum der Leipziger Uni passé. Ein Mammutabend für die Zuhörer und noch viel gigantischeres Projekt für alle Beteiligten, denn es wurde maßgeblich von der Freien Szene inklusive einiger institutionalisierten Akteure gestemmt. Mit gewitztem Inszenierungsansatz nahmen sie Wagner zwar nicht alle Längen, setzten aber einen angenehmen Kontrapunkt zur blinden Es-Dur-Euphorie.

Für Wagner braucht man Passion, ein Wagner-Abend ist immer Passionsspiel. Die einen leiden nur aufgrund der langen Sitzdauer. Wer keine Leidenschaft fürs Bombastische mitbringt, quält sich doppelt. (Muss Siegfried im Sterben liegend wirklich noch einmal erzählen, wie er den Drachen Fafner erschlug etc.?) »Mein Musik-Machen ist eigentlich ein Zaubern, denn mechanisch und ruhig kann ich gar nicht musizieren.« Wie ein Magier sah sich Wagner Musik schöpfend, die nicht von dieser Welt war. Ein Demiurg kreiert ein neues Universum, so inszenierte sich das PR-Genie, das bereits 16-jährig Opernkomponist werden wollte. Und (fast) alle folgten und folgen seinem Zauber. Wagner Hören und Sehen ist die letzte Kunst-Religion. Dergestalt ist sie ein bourgeoiser Fundamentalismus, der über das ästhetische Vergnügen hinaus nach etwas Höherem, einer transzendenten Schicksals-Hörer-Gemeinschaft zum organischen Volksklangkörper strebt. Das bürgerliche Subjekt kommt mit Gleichgesinnten zusammen, um die Wucht des Gesamtkunstwerkes zu genießen. Eine gewisse Leidensfähigkeit muss man hierzu mitbringen: Stunden lang auf unbequemen Gestühl sitzend zu verharren, ist notwendig für die Wagner-Ekstase. No pain, no gain.

Warum als einmal mehr Wagner im Wagner-Jahr? Weil man’s kann, und diese »Götterdämmerung« konnte sich sehen lassen. Konnte, denn sie wurde nur einmal an des Komponisten Geburtstag am 22. Mai aufgeführt. Die sich dafür vor elf Jahren gegründete Richard Wagner Gesellschaft 2013 wollte Wagner an seinem Geburtsort ins Gedächtnis rufen – sie konnten damals ja nicht ahnen, dass noch zig andere ebensolches planen werden und es an der Pleiße bis zum Gehtnichtmehr herumwagnern würde. Selbst der Bundesverteidigungsminister reiste ohne Drohne, aber mit großer Geste – »Wagner verkörpert wie kaum ein anderer Künstler unsere eigene gebrochene Geschichte« – an. Den Richard Wagner Bunker am Brühl ließ er aber nicht extra wieder öffnen.

Vom Pomp bloßen Abfeierns ist diese »Götterdämmerung« – Inszenierung: Joachim Rathke, musikalische Leitung: David Timm – ein gutes Stück entfernt. Den roten Faden bildet eine Familienaufstellung des Wagner-Clans. In verschiedenen Dekaden (1873, 1913, 1943, 2013) kommen die Wagners zusammen, um Richards Geburtstag zu feiern. Und was kann es da Lustigeres für das kollektive Ego geben, als das Nachspielen des finalen »Ring«-Stücks? Wagner und die Seinen liebten das Theaterspielen. Also gar keine unplausible Grundkonstellation, die durch das minimalistische Bühnenbild (Ausstattung: Heike Mondschein) – es reichen ein Sofa, ein Tisch und ein paar Requisiten – nicht überdeckt wird. So verbindet sich recht geschickt auch die Geschichte der Wagner-Rezeption mit dem Stoff. Durch die Jahrzehnte hinweg schwören die Verwandten immer wieder auf den »Ring«, ein schönes Bild für die Rangeleien um die Deutungshoheit im Clan. Schlussendlich sind es die über die Bayreuther Festspielherrschaft verkrachten Nike sowie Eva und Katharina, die noch einmal das »Rheingold – Reines Gold« besingen. Wenn der angeheiratete Houston Stewart Chamberlain, Dandy, Antisemit und Hitler-Inspirator, den Hagen gibt und zur Wacht am Rhein mit der Reichskriegsflagge winkt, ist das eine treffende Kontextualisierung. Wagners Geist erscheint als Alberich – auch ein netter Seitenhieb. Im letzten Aufzug kommt der Universitätschor als wilde Jagd vom Augustusplatz herein, das Schild »Protest gegen Audimax-Blockierung« wird mitgetragen. Vielleicht eine Entschuldigung für die vier Wochen, in denen die Studierenden Ausweichorte für den größten Hörsaal der Uni ertragen mussten?

Die Akustik überraschend gut, auch wenn das Orchester hinter der Bühne Platz genommen hat. Man muss die Musik halt mögen, sonst auch dieser Abend zähfließend, Wagner ist eben Wagner. Und wenn die Luft raus ist aus dem diesjährigen Jubiläums-Geburtstagsballon, kann man ja etwas Nietzsche lesen zur geistigen Erb- und Verdauung, der ironisierte: »Alles, was Wagner kann, wird ihm niemand nachmachen, hat ihm keiner vorgemacht, soll ihm keiner nachmachen [...] Wagner ist göttlich!«


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