Die Schuldfrage, Zwölf-Stunden-Fristen, späte Liebe und eine Tangostunde im Gefängnis stehen diese Woche auf dem Themenzettel der Leinwandneustarts.
Helmer lebt allein mit seinem alten Vater auf einem Bauernhof in Zeeland. 50 Kühe, ein paar Schafe, zwei Esel. Eigentlich hätte der verstorbene Bruder den Hof weiterführen sollen. Jetzt, mit Mitte fünfzig, fasst Helmer den Entschluss, ein eigenes Leben zu führen. Er bringt den Vater, der nicht sterben will, ins obere Stockwerk und richtet sich unten neu ein. Doch die ungelebten Träume wird er nicht so ohne Weiteres los. »Oben ist es still« ist die Verfilmung des gleichnamigen Bestseller-Romans von Gerbrand Bakker. In Szene gesetzt hat den Roman Nanouk Leopold (»Brownian Movement«), die zum ersten Mal ein Drehbuch zu einem ihrer Filme nach einer fremden Vorlage verfasste. Der Hauptdarsteller Jeroen Willems, der überraschend nach den Dreharbeiten verstarb, spielt hier eine seiner letzten Rollen.
»Oben ist es still«: 13.-16., 19.6., Schaubühne Lindenfels
In »The Place Beyond The Pines« verdient Ryan Gosling (»Drive«) als Stuntman seinen Unterhalt bei einer waghalsigen Motorradshow, treibt von Jahrmarkt zu Jahrmarkt, jedes Jahr zu den immer gleichen Orten. Eines Tages trifft er Romina (Eva Mendes) wieder, einen früheren One-Night-Stand, die seinen drei Monate alten Sohn auf dem Arm hat. Luke will Verantwortung übernehmen. Doch sein Wunsch, als Vater für sein Kind da zu sein, löst eine Tragödie aus. Der Film erzählt in drei Akten von dieser Schuld – ähnlich einer griechischen Tragödie. In jedem Akt steht ein anderer Schuldiger im Mittelpunkt, der sich nicht immer seiner Rolle bewusst zu sein scheint. Ein dramaturgischer Clou, der mit dem rauen Look Familiensaga und Thriller zugleich formt. Es ist nach »Blue Valentine« die zweite Zusammenarbeit von Regisseur Derek Cianfrance und Ryan Gosling, welcher hier zur Höchstform aufläuft. Doch auch Bradley Cooper beweist als aufstrebender Polizist seine Wandlungsfähigkeit. Die ganze Kritik von Anna Wollner können Sie im aktuellen kreuzer nachlesen.
»The Place Beyond The Pines«: ab 13.6., Passage Kinos, Regina Palast
Im Italien der siebziger Jahre werden die Geräusche für einen Horrorfilm des egozentrischen Regisseurs Santini (Antonio Mancino) aufgenommen. Um diese Laute bestmöglich auf Tonband bannen zu können, hat sich Santini den verschrobenen Briten Gilderoy (Toby Jones) an seine Seite geholt. Doch der weiß kaum, wie ihm geschieht, als ihm die blutrünstigen Bilder des Horrorfilms vorgespielt werden. Zuvor war er vor allem als Spezialist für die Vertonung von ruhigen Naturdokumentationen verantwortlich. Nun muss Gilderoy im Studio ein wahres Obst- und Gemüsemassaker veranstalten, um die Geräusche von Haaren, die herausgerissen, und Köpfen, die gespalten werden, angemessen wiederzugeben. Regisseur und Drehbuchautor Peter Strickland zeigt in »Berberian Sound Studio« keine einzige blutige Szene. Dennoch gelingt es ihm, den Horror im Kopf der Zuschauer ganz und gar bildlich werden zu lassen. Auf der Leinwand ist der brave Gilderoy zu sehen, der harmlosen Radieschen das Grün ausrupft. Das eigene Kopfkino aber erzeugt zu diesen Geräuschen ganz andere Bilder. Dank der schauderhaften Geräusche und der verworrenen Geschichte ist »Berberian Sound Studio« nicht nur ein sinnliches, sondern bis zum Ende nervenaufreibendes Kinoerlebnis. Die ganze Kritik von Hanne Biermann können Sie im aktuellen kreuzer nachlesen.
»Berberian Sound Studio«: ab 13.-15., 21.-23.6., Schaubühne Lindenfels (OmU)
Er hält sich lieber im Hintergrund auf, verrichtet pflichtbewusst seine Arbeit und schreitet lautlos durch die Flure des großen Gefängnisses: Jean-Christoph, kurz JC (François Damiens), arbeitet dort als Gefängniswärter. Neben seinem Mitbewohner, ein Goldfisch, der mit seinen 15 Jahren an Altersschwäche leidet, scheint J.C. keinerlei private Kontakte zu pflegen. Selbst in dem Tangokurs, den er wöchentlich besucht, steht er öfters allein rum und kümmert sich deswegen eher um die Musik. Bis Alice (Anne Paulicevich) im Kurs auftaucht, die er kurze Zeit später im Gefängnis wiedertrifft. Alice besucht nicht nur ihren inhaftierten Ehemann (Sergi López), sondern zugleich auch noch ihren Liebhaber (Jan Hammenecker). »Tango Libre« ist ein komischer und dramatischer Film zugleich, der neben seinen undurchsichtigen Beziehungsgeflechten vor allem eine äußerst leidenschaftliche Hauptfigur hat: Tango.
»Tango Libre«: ab 13.6., Passage Kinos
Die als Elfjährige aus dem zutiefst antisemitischen Wien vertriebene Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger ist Theresienstadt- und Auschwitz-Überlebende. Sie will sich jedoch keineswegs nur über ihre Opferrolle definiert wissen. Anhand ihrer Biografie wird die Frage gestellt, wie sich das Leben nach der Shoah gestalten lässt und wie nachhaltig es von diesen schrecklichen Erfahrungen geprägt wird.
»Das Weiterleben der Ruth Klüger«: 14.-18.6., Cinémathèque in der naTo
Auf der Erde der Zukunft wurde fast die ganze Menschheit von den sogenannten Seelen besetzt. Diese außerirdischen Parasiten nisten sich in den Körpern ihrer Wirte ein und führen fortan deren Leben. Einige Menschen leisten zwar noch Widerstand und verstecken sich in entlegenen Bergen, Wüsten und Wäldern, aber diese Rebellen sind stark in der Unterzahl. Eine von ihnen ist die junge Melanie (Saoirse Ronan). Auf einem ihrer Streifzüge trifft sie auf Jared (Max Irons) und verliebt sich.
»Seelen«: ab 13.6., Cineplex im Alleecenter, CineStar, Regina Palast
Einmal im Jahr gibt es eine Zwölf-Stunden-Frist, während der jedes Verbrechen, egal ob Diebstahl, Einbruch oder Mord, nicht geahndet wird. Dann sind weder Polizei noch Feuerwehr oder Notarzt zu erreichen. Diese glorreiche Idee hatte die amerikanische Regierung, als sie der Kriminalität im ganzen Land nicht mehr Herr wurde und die Gefängnisse an Überfüllung krankten. Mit diesem Freibrief zum Zuschlagen soll den Bürgern die Möglichkeit gegeben werden, ihre Probleme zu lösen, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. James Sandin (Ethan Hawke), der sein Geschäft mit Sicherheitssystemen für Wohn- und Geschäftshäuser macht, schließt sich in diesen Nächten mit seiner Familie zuhause ein. Doch als sein Sohn über die Überwachungskamera einen Obdachlosen entdeckt, der vor ihrem Haus um Hilfe schreit, öffnet er noch einmal das Sicherheitsschloss und gewährt dem Fremden Zuflucht. Das setzt eine Kette von Ereignissen in Gang, in deren Folge auch James und seine Familie gezwungen werden zu kämpfen – um zu überleben. Es ist nicht einfach, dieser Low-Budget-Produktion in jeder Sekunde mit voller Aufmerksamkeit zu folgen, blickt sie doch in die tiefsten Abgründe der Menschen. Natürlich hätte Regisseur James DeManoca das teuflische Spiel dieser Säuberungswütigen noch weiter auf die Spitze treiben können, aber auch so erreicht der gesellschaftskritische Unterton dieses durchaus spannenden Thrillers das Publikum.
»The Purge – Die Säuberung«: ab 13.6., Cineplex im Alleecenter, CineStar, Regina Palast
»Facebook hat inzwischen quasi alle Inhalte dieser Seite zum Filmstart von »Fuck For Forest« gelöscht und mehrere Admins blockiert. Darunter einen Beitrag des ARD-Magazins »Titel Thesen Temperamente«, einen Link zu einem Artikel des Tagesspiegels zum Film und natürlich das Filmposter«, hieß es vergangene Woche auf der Facebook-Seite zum Dokumentarfilm »Fuck For Forest«. Darin wird die Geschichte einer Gruppe erzählt, die mit Sex die Welt retten will. Doch nicht nur die Sperrung der Inhalte bei Facebook sorgte für einige Verwunderung im Vorfeld zum Kinostart. Mittlerweile soll auch die Gruppe Unmut über den Film bzw. ihre Darstellung darin geäußert haben. Unser Autor Stephan Langer hat sich für uns das streitbare Werk angesehen.
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Gute Unterhaltung im Kinosessel!