Händler, Sammler, Galerien, Auktionshäuser und sogar öffentliche Museen – sie alle sind Teil der zeitgenössischen Kunstblase. Im Rahmen der Halle 14-Ausstellung »To have and have not«, die nach Habgier, ihren Mechanismen, sozialen Effekten und psychologischen Dimensionen fragt, zeigte das LURU-Kino am Donnerstagabend den Dokumentarfilm »The Great Contemporary Art Bubble« des Kunstkritikers Ben Lewis. Im Jahr 2008, als die Preise für Kunst in Europa, Amerika und China ins Unermessliche stiegen, recherchierte der Brite die Hintergründe dieser Blase. Der Film nimmt den Zuschauer mit in eine Welt aus verschwiegenen Geschäften, Spekulationen, Steuererleichterungen und Marktmanipulationen. Wir sprachen mit Ben Lewis über seine Liebe zur Kunst, Berlin im Jahr 1989 und zukunftsweisende Taxifahrten.
kreuzer: Was hat Sie dazu bewogen, einen Dokumentarfilm zum Kunstmarkt zu drehen?
BEN LEWIS: Ich habe eine Fernsehserie namens »Art Safari« gemacht, in der es vordergründig um die Begeisterung für zeitgenössische Kunst und die Frage ging, warum die Kunstwelt einige wenige Leute berühmt macht, wie zum Beispiel Maurizio Cattelan, Matthew Barney und Sophie Calle. Als ich mit der Serie fertig war, ging der Kunstmarkt durch die Decke. Es gab einen richtigen Boom. Und der machte mich misstrauisch, weil er sich für mich sehr spekulativ anfühlte und der Enthusiasmus der Branche von einigen cleveren Geschäftsleuten ausgenutzt wurde. Sie machten Kunst viel teurer, verdienten eine Menge Geld damit und schufen einen kasinoartigen Markt rund um die Kunst. Für mich fühlte sich das falsch an. Als würde die Kunst für etwas Falsches missbraucht werden.
kreuzer: Wie wird das im Film deutlich?
LEWIS: Ursprünglich war der Plan, einen Dokumentarfilm für die BBC zu drehen, für den ich mir 50.000 Pfund von der Bank leihe, ein Jahr lang Kunst kaufe und wieder verkaufe, um möglichst viel Gewinn zu machen und zu zeigen, wie der Kunstmarkt funktioniert. BBC gab den Film 2007 in Auftrag. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich den Film aber so nicht mehr machen, weil ich dachte, dass der Kunstmarkt in spätestens einem Jahr zusammenbrechen würde. Stattdessen schlug ich ihnen vor, dass ich den Kunstmarkt von seiner damaligen Hochzeit bis zum Absturz begleiten könnte. Der Markt brauchte dann ein bisschen länger, als ich dachte, um zusammenzubrechen. Das passierte erst im Oktober 2008.
kreuzer: Welche Anzeichen haben Ihnen den Absturz des Kunstmarkts ankündigt?
LEWIS: Im Sommer 2007 gab es schon viele Anzeichen dafür, dass die Weltwirtschaft auf eine Krise zusteuerte. Der amerikanische Hypothekenmarkt und die Investmentbank Lehmann gerieten in erste Schwierigkeiten und zur gleichen Zeit kauften Leute sich für 70 Millionen einen Andy Warhol. Das war lächerlich! Mir kamen die Preise viel zu hoch vor. Ich dachte: Dieser Damien Hirst ist sein Geld einfach nicht wert. Und dieser Richard Prince auch nicht. Andy Warhol ist für mich ein guter Künstler, aber er ist keine 40 Millionen wert. Für mich war schon die Tatsache, dass die Leute so viel in Kunstwerke steckten, ein Zeichen dafür, dass bald etwas Schlimmes passieren würde.
kreuzer: Sehen Sie Alternativen zum Kunstmarkt?
LEWIS: Ich habe nichts gegen den Markt. Nur gegen die fehlenden Regulierungen. Wenn der Markt transparenter wäre, dann könnten auch mehr Künstler von ihm leben. Die Leute in der Kunstwelt gehen oft vom Gegenteil aus. Sie denken, dass Leute von der Kunst leben können, weil sie diesen Boom geschaffen haben. Nur weil ein Damien Hirst oder ein Richard Prince horrende Preise erzielen, heißt das aber nicht, dass alle von diesem Markt leben können.
kreuzer: Was wäre die Lösung?
LEWIS: Das Geld könnte gerechter verteilt werden. Da läuft einiges falsch, auch wenn ich grundsätzlich nichts gegen das Kaufen und Verkaufen habe. Aber es sollte Einschränkungen für Geschäfte geben, wie an der Börse auch. Und für Kunst gibt es keine Einschränkungen, sie wird wie ein Investment behandelt. Das ist das Problem.
kreuzer: Kaufen Sie Kunst?
LEWIS: Nein. Ich habe nur ein Bild von Sophie Calle, weil ich ein großer Fan von ihr bin und eine Erinnerung an die »Art Safari«-Folge mit ihr haben wollte. Sie ist großartig und in zwanzig Jahren wird sie noch großartiger sein. Nach »Art Safari« hatte ich etwas Geld und auf Ebay konnte man 2003 diese Hunde von Jeff Koons kaufen – die haben da 450 Dollar gekostet. Nun müsste er etwa 12.000 Euro wert sein. Und er steht in meinem Wohnzimmer!
kreuzer: Sind Sie Journalist oder Kunstkritiker? Oder beides?
LEWIS: Ich bin vieles. Journalist, Kunstkritiker, Filmemacher und habe ein Buch über kommunistische Witze geschrieben. Ich interessiere mich für all jene Gebiete, in denen das Politische auf die Kultur trifft. In den 1970ern sagten die Feministen: Das Persönliche ist politisch. Wenn ich einen Slogan für mich finden müsste, dann: Das Kulturelle ist politisch. Mich reizt es, auf die Kultur von einem anderen Blickwinkel aus zu schauen, aus einem wirtschaftlichen oder politischen. Meine Arbeit ist aber auch unterhaltsam. »Art Safari« ging deshalb anders mit Kunst um, als es Kunstkritiker sonst tun.
kreuzer: Wie gehen Sie sonst damit um?
LEWIS: Kunstkritik versucht meiner Ansicht nach oft bewusst darauf zu achten, wie sie den Künstler darstellt. Sie will einfühlsam und freundlich sein. Und versucht, auf eine vorsichtige Weise seine Ideen zu erklären. Sie wird beinahe zum Übersetzer zwischen dem Künstler und dem Betrachter. Ich sehe mich mehr als einen politischen Journalisten, der den Künstler hinterfragt und herausfinden will, ob dessen Ideen auch Sinn ergeben. Ich bin aber auch ein Kunstenthusiast, der Kunst liebt und wissen will, warum er das tut.
kreuzer: Für wen arbeiten Sie demzufolge? Für die Kunstszene? Für die Gesellschaft? Oder für den gebildeten Zahnarzt?
LEWIS: Das ist schwierig. Definitiv für meine Zuschauer. Wenn man Dokumentarfilme dreht, dann ist man auf der Jagd nach der Wahrheit. Also arbeite ich nicht nur für die Zuschauer, sondern auch für die Wahrheit an sich. Ich arbeite definitiv nicht für die Kunstwelt. Ich möchte Ideen, die ich für interessant halte, weitergeben. Ich möchte der Öffentlichkeit Dinge zeigen, die ich für wichtig halte. Und dann überlege ich, wie ich meine Ideen auf eine unterhaltsame und provokative Weise vermitteln kann.
kreuzer: Gibt es Dinge, über die Sie nicht schreiben würden?
LEWIS: Ich habe mit Marc Quinn studiert, den ich für einen der schlechtesten zeitgenössischen Künstler halte. Aber ich wollte ihn nicht in meinem Film kritisieren. Das hätte man für eine persönliche Abrechnung halten können. Außerdem greife ich nur Leute an, die an der Spitze sind. In der Kunstwelt seinen Lebensunterhalt zu verdienen ist harte Arbeit. Deswegen sollte man die Millionäre im Blick haben, wenn man einen kritischen Film macht. Christie's. Sotheby's. Oder Damien Hirst. Diese Leute sind groß genug, um sich verteidigen zu können.
kreuzer: Ihre Porträts für »Art Safari« leben von einer großen Nähe zwischen Ihnen und den Künstlern – zum Teil von zu viel Nähe?
LEWIS: Nein. Einige der Künstler haben mich auch gehasst! Ich war ziemlich aggressiv. Murakami war schwierig zu interviewen, er wollte die komplette Kontrolle über den Film. Das machte mich sehr nervös. Und mit Gregor Schneider war es dasselbe: Gleich zu Beginn des Films sagt er, dass er Dinge von Wert nachbilden möchte. Eigentlich hat er aber eine schäbige Ecke im Rotlichtviertel von Hamburg nachgestellt. Ich frage ihn, wo darin der Wert liegt. Und er sagt gar nichts. Das war die erste Szene und mein Producer sagte mir danach: Ben, das war ein Desaster! Aber ich bin provokativ, auch wenn es den Film gefährden könnte. Ich war im Film kein Kunstkritiker. Ich habe eher versucht herauszufinden, was passiert, wenn ein Kunstliebhaber diesen Film macht.
kreuzer: Sie lieben Kunst?
LEWIS: Ja. Erst nach »Art Safari« wurde ich von Zeitungen gefragt, ob ich auch über Kunst schreiben möchte. Eigentlich verrückt. Die erste Folge war mit Andreas Gursky, sie steht online, weil ich die Rechte nicht habe, und man merkt, dass ich zu diesem Künstler aufschaue. Es ist ein Film darüber, was passiert, wenn ich Dinge mache, die ich nicht tun sollte. Anderen Künstlern fällt es sehr schwer über ihre Arbeit zu sprechen, mit ihm war das sehr leicht. Einmal schaue ich in die Kamera, nachdem er sein Werk erklärt hat, und sage: »Das ist eine wirklich tolle Antwort!«
Ben Lewis - Gursky World from TofuTasties on Vimeo.
kreuzer: Was ist so toll an Andreas Gursky?
LEWIS: Seine originelle Ästhetik und das seine Fotos, auch wenn sie inzwischen sehr kommerziell sind, uns viel über die Welt, in der wir leben, erzählen. Er hat den Geist der Zeit getroffen. That’s really fucking good.
kreuzer: Muss Kunst politisch sein?
LEWIS: Nein. Ich finde diese ganze Debatte um politische Kunst schwierig. Ist Ernst Ludwig Kirchner ein politischer Künstler? Ich denke an Ai Weiwei: Seine Kunst finde ich an sich nicht sehr gut, aber ich denke, er ist ein brillanter Künstler, weil er seine Kunst mitten in der Gesellschaft positioniert. Er ist der Nelson Mandela der demokratischen Bewegung in China. Und in diesem Sinne ist seine Kunst brillant.
kreuzer: Was macht Ihrer Meinung nach ein gutes Kunstwerk aus?
LEWIS: Da gibt es einige Kriterien: Es sollte im stilistischen Sinne innovativ sein. Es sollte etwas über den Geist der Zeit aussagen. Und es sollte grundlegende philosophische Fragen stellen. Mir ist egal, wer es gemacht hat. Und wenn der Künstler den Auftrag für das Werk mittels eines Telefonanrufs erteilt hat – das ist auch ok. Und: I am sorry, I came from London: I love Neo Rauch.
kreuzer: Sie haben in Berlin studiert – wann war das?
LEWIS: 1989. Einen Monat bevor die Mauer fiel, habe ich die Stadt verlassen. Es war großartig in diesem kleinen Getto voller deutscher Anarchisten und türkischer Nationalisten zu leben, vollkommen abgeschnitten von der Welt. Ich habe am Kottbusser Damm gelebt, heute ist meine ehemalige Wohnung ein Puff. Ich war in Berlin, um Kunstgeschichte zu studieren. Aber ich habe nicht wirklich studiert, denn es war die Zeit des Unistreiks. Mir war vorher nicht bewusst, dass Studenten streiken können, obwohl sie keinen Job haben.
kreuzer: Wie ging es danach weiter?
LEWIS: Ich kam zurück und hatte ein Jobangebot von einer Galerie. Sie hatten allerdings verpasst mir zu sagen, wie viel Geld sie mir zahlen würden. Dann stieg ich zum Galeristen ins Auto, fragte: »Wie viel werdet ihr mir zahlen?«, und er sagte »7.000 Pounds pro Jahr vor Steuern«. Und ich dachte: Ich habe doch nicht fünf Jahre damit verbracht, an den besten Unis zu studieren, um jetzt 7.000 Pounds im Jahr zu verdienen. Davon kann man nicht leben. Also stieg ich aus dem Taxi aus und lebe heute von Filmen. Ich hatte nicht genug Geld, um eine eigene Galerie aufzumachen, dafür fehlte mir der reiche Daddy.