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Kultur

Die Leipziger Museumsinsel

Das Spinnereigelände ist noch immer beliebter Galerienstandort

  Die Leipziger Museumsinsel | Das Spinnereigelände ist noch immer beliebter Galerienstandort

Am Wochenende öffnen wieder die Galerien der Spinnerei zum Rundgang. Ihr großer Boom ist längst vorbei. Ein Blick auf die Stimmung der Galeristen, Käufer und Besucher.

»Näher als hier können Sie Neo Rauch nicht kommen«, scherzt Michael Ludwig. Der Pressesprecher des Leipziger Spinnereigeländes steht im Keller der Halle 18. Schon seit 1994 hat Neo Rauch hier sein Atelier. Wo genau, das erfahren die Besucher nicht, die für zehn Euro pro Person über die einstmals größte Baumwollspinnerei Kontinentaleuropas geführt werden. Dafür wird deutlich, dass die Idee des Zusammenlebens zu gegenseitigem Nutzen hier aufgeht: Während auffällig blond gefärbte Mitarbeiterinnen des ebenfalls in der Halle 18 ansässigen Callcenters in der Mittagssonne rauchen, ist der Parkplatz des gegenüberliegenden Großhandels für Künstlerbedarf Boesner hochfrequentiert. Im benachbarten Café mit Garten werden die ersten Mittagessen von der Tageskarte serviert – an Besucher wie an die Mieter des Privatgeländes.

Zu denen gehören neben einem nichtkommerziellen Kunstzentrum in der Halle 14 und den elf Galerien, die das Gelände vor allem im Zuge des Booms um die Neue Leipziger Schule bekannt machten, auch rund einhundert Künstler sowie diverse Werkstätten, ein Kino, Architekten, Designer, Schmuck- und Modemacher. Am Wochenende laden die Galerien wieder zum gemeinsamen Ausstellungsrundgang: Die Chance, dann auch Neo Rauch anzutreffen, ist hoch. Er wird bei seiner Stammgalerie Eigen + Art neue Arbeiten präsentieren – Luftlinie 100 Meter von seinem Atelier entfernt. 2006 stellte er zum letzten Mal hier aus, mitten im Hype um die Leipziger Malerei. Ihr großer Boom ist mit dem Platzen der great contemporary art bubble seit fünf Jahren vorbei. Darüber sind sich hier alle einig.

Was ist dieses Vorzeigeprojekt einer erfolgreich revitalisierten Industriebrache 2013? Immer noch Hotspot des globalen Kunstmarktes in den neuen Bundesländern? Touristenattraktion? Ort der Kunstproduktion? Und auch. wenn sie wohl von all dem etwas ist: Was hält die Galeristen hier?

Die Leipziger Sammlerschar wohl kaum. Auch 23 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es hier nicht mehr als eine Handvoll Kunstsammler mit entsprechendem Kontostand wie Kunstsachverstand. »Von den Leuten, die bei mir regelmäßig Kunst kaufen, kommen zwei aus Leipzig«, sagt Galeristin Arne Linde von der ASPN. Der Leipziger verirrt sich nicht zufällig aufs fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernte Gelände: Er präsentiert es stolz dem Besuch von außerhalb, nimmt vielleicht noch ein koffeinhaltiges Heißgetränk zu sich, kauft sich Materialien für den Volkshochschulkurs Aktzeichen oder unterstützt das kleine Programmkino. Der Interessierte wirft auch einen Blick in die laufenden Ausstellungen. Wer das Geld hat, lässt sich ein individuelles Fahrrad oder eine Gitarre zusammenbauen. Und einer von denen kauft vielleicht auch mal Kunst.

Unter den extra anreisenden Besuchern, »überwiegend aus den alten Bundesländern kommende kulturinteressierte Leute«, so Pressesprecher Ludwig, ist schon eher mal einer, der auch spontan kauft. Oder in seinem Bekanntenkreis von diesem urbanen Gelände schwärmt und somit indirekt zu dessen Markenbildung beiträgt. Denn die mit ihr verbundene Partizipation am Künstlerleben zieht.

»Es gibt auch den älteren Herren mit Kamera, der einfach in mein Atelier reinläuft und alles fotografieren will«, so der Fotograf Edgar Leciejewski. »Ich bin aber kein Ausstellungsstück in einem überdimensionalen Museum.« Trotz der gelegentlichen Grenzüberschreitung schätzt er das Gelände als Arbeitsort: Für 90 Quadratmeter zahlt er 460 Euro warm. Außerdem falle ihm das Durchboxen als freier Künstler dank der Spinnerei-Community leichter. »Wir sind hier aber kein Künstlerverein«, betont Christiane Baumgartner, die mit Neo Rauch eine der ersten war, die das Gelände Anfang der 1990er für sich entdeckte: »Ich habe hier immer noch ideale Bedingungen, parke direkt vor der Halle, habe einen Lastenaufzug und verkrieche mich dann in meinem Atelier.« Konzentrierte Arbeitsatmosphäre – ein Zustand, der trotz des zunehmenden touristischen Interesses gehalten werden kann. Übervolle Busladungen bleiben – noch – aus.

Und die Galeristen? Für die gibt es einfach keinen Grund zu gehen. »Wo sollen wir denn hin?«, fragt Galerist Gerd Harry Lybke von Eigen + Art. Die Standortfaktoren, gerade im Vergleich zu den Berliner Räumlichkeiten der Galerie, liegen auf der Hand: Der Ausstellungsraum in Leipzig ist größer, bot zuletzt Platz für eine überdimensionale Installation von Martin Eder oder die Volksboutique von Christine Hill. Das benachbarte Schaulager ermöglicht es, alle Künstler der Galerie permanent zu präsentieren. Zudem hat Eigen + Art auf dem Gelände zwei zusätzliche Lager, ein Großteil aller Transporte werden hier abgewickelt. Auch die kurzen Wege in die Ateliers der Künstler und in die Werkstätten erleichtern das Alltagsgeschäft.

Und samstags kommen bis zu 400 Besucher. So gesehen sind die Spinnereigalerien und das nichtkommerzielle Kunstzentrum Halle 14 in ihrer Gesamtheit das bestbesuchte Museum der Stadt – bei freiem Eintritt und ohne ihnen die Aufgaben des Sammelns, Bewahrens und Forschens zuzusprechen. Dass Besucher nicht zwangsläufig kaufen, ist Gerd Harry Lybke bewusst. Dennoch sollte man sie nicht unterschätzen. »Wir verkaufen regelmäßig Arbeiten an das Laufpublikum, und zwar mehr als in den letzten Jahren.« Während des Booms kamen die Spekulanten. Jetzt kommen die angehenden und die wahren Sammler.

Einer von ihnen ist Thomas Rusche. Das Sammelspektrum des Textilunternehmers und Wirtschaftsethikers reicht von Werner Tübke bis hin zu den Schülern Neo Rauchs. Die größte Veränderung der Spinnerei seit 2008? »Ich finde es charmant, nicht mehr in Konkurrenz zu vielen anderen Käufern zu stehen.« Er besucht die Spinnerei bis zu fünfmal im Jahr, schätzt das stressfreie Umherlaufen und die Möglichkeit, noch kurz in einem Atelier vorbeizuschauen. Hinzu kommt die Verlässlichkeit der Leipziger: In Berlin wechseln die Galerien ihre Standorte in vergleichbarer Frequenz wie ihre Ausstellungen, sodass es Rusche »weder zeitlich noch physisch« schafft hinterherzukommen. Drei der Leipziger Galerien haben dennoch Dependancen in der Hauptstadt: Eigen + Art, die maerzgalerie und Jochen Hempel. »Um in einer der oberen Ligen mitzuspielen, muss man als Galerist in Berlin präsent sein«, so dessen Einschätzung.

»Leipzig ist als Galerienstandort nicht interessant genug, um extra herzufliegen, dazu gibt es zu wenige Galeristen, die wirklich international arbeiten.« Warum zieht Jochen Hempel dann nicht ganz nach Berlin? »Ich komme aus Leipzig, ich liebe Leipzig und ich fühle mich diesem Gelände verbunden.« Zehn interessierte Kunstkenner sind ihm trotzdem lieber, als die vielen Besucher am Wochenende. Es könnte immer ein potenzieller Käufer unter ihnen sein.

Trotz einer Galeristengemeinschaft, die ihresgleichen sucht, sich seit Jahren kennt und gemeinsam Rundgänge plant – ein einheitliches Stimmungsbild ergibt sich nicht. Zu unterschiedlich die Levels, auf denen die Galerien agieren, zu individuell die Galeristenpersönlichkeiten. Nur darüber, dass das Label Spinnerei nach außen als Gütesiegel bewahrt gehört, sind sich alle einig: Jeder Zuzug einer neuen Galerie wird von Spinnereigeschäftsführer Bertram Schultze in der Galeristenrunde diskutiert.

»Die Galerien sind und bleiben unser Zugpferd«, so Schultze. Die Verortung auf dem Gelände hat sich für sie seiner Meinung nach bezahlt gemacht: »Wer während des Hypes ein wenig Speck angesetzt hat, der kann auch schlechte Zeiten überstehen.« Dies ist wohl die simple wie logische Antwort: Die Galerien waren auch vor dem Hype da. Und bleiben danach. »Das Interesse an Leipzig wird stetig steigen, weil es hier im Vergleich zur globalen Situation keine Aufblähung und Überdimensionierung gab«, ist auch Gerd Harry Lybke optimistisch. »Die Künstler arbeiten nicht mit einer riesigen Produktionskette. Und die Mietpreise im Verhältnis zu der Aufmerksamkeit, die wir auf dieser Insel haben – das gibt es kein zweites Mal.« Vor der Halle 18 steigt Neo Rauch auf sein Fahrrad und fährt vom Gelände. Die noch anwesenden Besucher erkennen ihn nicht. Es ist kurz vor 18 Uhr. Feierabend.


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