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Filmkritik

Mosaikartiges Familienporträt

Vivian Naefe hat »Der Geschmack von Apfelkernen« von Katharina Hagena verfilmt

  Mosaikartiges Familienporträt | Vivian Naefe hat »Der Geschmack von Apfelkernen« von Katharina Hagena verfilmt

Vielleicht können Häuser Erinnerungen sehr viel besser bewahren als das menschliche Gedächtnis. Denn nichts führt die Bilder der eigenen Kindheit plastischer vor Augen als eine Begehung des Ortes, an dem man aufgewachsen ist. In »Der Geschmack von Apfelkernen« machte die Hamburger Autorin Katharina Hagena ein altes Haus mit einem großen Obstgarten zum erzählerischen Zentrum ihres Debütromanes, der die Bestsellerlisten anführte, lange bevor die Feuilletons auf ihn aufmerksam wurden. Um das Gemäuer rankte sich eine Familiensaga aus weiblicher Perspektive, die nun Vivian Naefe für die Leinwand adaptiert hat.

Keine leichte Aufgabe, denn es gilt, das bewegte Leben von acht Frauenfiguren aus drei Generationen über einen Zeitraum von mehr als 80 Jahren ins Kinoformat zu bringen. Als narrative Zentralfigur, zu der die ausschweifende Erzählung immer wieder zurückfindet, dient die 28-jährige Iris (Hannah Herzsprung), die von ihrer Großmutter das Haus erbt, in dem sie als Kind stets ihre Sommerferien verbracht hat. Oma Bertha (Hildegard Schmahl) ist an Alzheimer gestorben, und um die Unfähigkeit des Erinnerns geht es auch in diesem generationsübergreifenden Familienporträt. Die Enkelin ist unschlüssig, ob sie das Erbe annehmen will, und während sie sich ein paar Tage Bedenkzeit nimmt, kehren die Bilder der Sommerwochen zurück, die sie Jahr für Jahr mit ihren Cousinen in Bootshaven verbracht hat. Der tragische Tod Rosemaries (Paula Beer) hat damals zu einem tiefen Riss in der Familie geführt und die rätselhaften Umstände des Unfalls gehören zu einem ganzen Netz von verdrängten Erinnerungen, das sich über drei Generationen hinweg ausbreitet. Geschmeidig lässt Naefe die Erzählung zwischen den verschiedenen Zeitebenen hin und her gleiten und setzt mosaikartig ein Familienporträt zusammen, das weniger von Schicksalsschlägen als von den tragischen Folgen menschlichen Fehlverhaltens geprägt ist. Im dramaturgischen Tropfverfahren werden die dunklen Familiengeheimnisse und Schuldverstrickungen sukzessive aufgedeckt, ohne dass man im Rausch der Rückblenden den Überblick verliert, wobei allerdings in der narrativen Anstrengung so manche Plotwendung ihr Überraschungsvermögen einbüßt. Nicht alle Erzählebenen funktionieren gleich gut. Die Reise in die Jugendzeit der neunziger Jahre, in denen die pubertierenden Mädchen grausame Machtkämpfe ausfechten, ist wohl am besten gelungen. Hier merkt man deutlich, dass Naefe von ihren Erfahrungen mit der Mädchen-Film-Trilogie »Die wilden Hühner« profitieren konnte und auch hier wieder ein gutes Gespür für die emotionalen Verwirrungszustände der Kindheit unter Beweis stellen kann. Vor allem Paula Beer (»Poll«) ragt in der Rolle der »bösen« Cousine erneut als vielversprechende Nachwuchsschauspielerin heraus. Deutlich weniger überzeugend ist die Erzählung auf der Gegenwartsebene geraten, auf der Hannah Herzsprung als narratives Medium durch Haus und Garten streift und in eine hölzerne Liebesgeschichte mit einem Verehrer aus Kindheitstagen (Florian Stetter) manövriert wird, der als Notar nun mit der Testamentsvollstreckung beauftragt ist. Fast schon als Störung empfindet man die regelmäßige Rückkehr in die erzählte Jetztzeit eines Filmes, der sich in nostalgischen Rückblenden sichtbar wohler fühlt. Vor allem die finale Auflösung verdrängter Schuldvorwürfe verpufft in dem Haupterzählstrang, der über seine Funktion als dramaturgische Klammer hinaus zu wenig emotionale Eigendynamik entwickelt.


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