Am Montag hat die Filmgalerie Alpha 60 die Karl-Liebknecht-Straße verlassen, ein Burger King wird hinziehen. Kurz vor Beginn der zwei Jahre andauernden Bauarbeiten in der Straße wirken diese Veränderungen wie die vorausgeworfenen Schatten eines Prozesses, an dessen Ende Anwohner eine gesichtslose Südmeile fürchten.
»Die Karli ist Leben, die Karli ist eine der vitalsten Straßen der Stadt!« Derart kam Matthias Hasberg, Sprecher der Stadtverwaltung, Ende Oktober ins Schwärmen. Sein Publikum lässt sich nicht mitreißen. Bei der Informationsveranstaltung zum Umbau der Karl-Liebknecht-Straße wussten die Anwesenden bereits um die Vitalität »ihrer« Straße, denn sie sind deswegen dorthin gezogen oder haben darauf ihre Existenz aufgebaut. Notwendig ist der Umbau des Abschnitts zwischen Martin-Luther-Ring und Körnerstraße, weil Fahrbahn und Gehwege einer Erneuerung bedürfen, außerdem Anlagen für den Radverkehr und Parkplätze fehlen. Schließlich wird der Verkehr in Richtung Connewitz oder Markkleeberg und durch Anwohner, Geschäfte und Kneipen nicht weniger.
Der ursprüngliche Umbauplan wäre einer Komplettsperrung der Straße in 2014 und 2015 gleichgekommen. Gewerbe und Gastronomie fürchteten, aufgeben zu müssen, weil zu wenig Publikum den Weg zu ihnen findet, das danach freilich auch nicht mehr in die neu gemachte Straße gelockt wird. Es gründete sich die Interessengemeinschaft (IG) Karli, ein Zusammenschluss von Gewerbetreibenden und Gastronomen, die zusammen mit dem Verkehrs- und Tiefbauamt der Stadt eine Lösung erarbeiteten, die die Situation für die Einzelnen entspannt. »Wir sind froh, dass mit der Stadt ein Kompromiss gefunden wurde«, sagt IG-Sprecher Falk Weinrich. Ruhe hat die IG Karli aber nicht zu erwarten. Es kommt vor, dass seitens der Stadt getroffene Abmachungen gebrochen, die Betroffenen entgegen der propagierten dialogorientierten Bürgernähe mit Tatsachen konfrontiert werden, die im Hintergrund geschaffen wurden. Das erzeugt Ohnmachtgefühle und Enttäuschung und bedeutet Neuverhandlungen.
Weil der Umbau trotz des Kompromisses Einschränkungen mit sich bringt, gehen die Betroffenen weiterhin davon aus, dass einige der ansässigen Laden- und Kneipenbetreiber werden aufgeben müssen. Die Sorgen um Arbeitsplätze, Existenzen und den Charakter der Straße werden von der Stadt weitgehend ignoriert, von Entschädigungen ist keine Rede. Angesichts der existenziellen Ängste wirkt es mutig, dass die Fastfood-Kette Burger King demnächst ihre größte Filiale in der Stadt ausgerechnet hier eröffnet. Inhaberin Martina Hamelow will auf zwei Etagen 107 Plätze anbieten, außerdem eine Lounge und einen Freisitz. Hamelow möchte mit der Eröffnung »Teil der dynamischen Entwicklung« der Straße sein, die sich vor allem durch »Vielfalt und Offenheit« auszeichne, wie sie sagt. Nun muss, wer auf der Karli unterwegs ist und Fastfood oder Bulette im Brötchen verspeisen will, ganz bestimmt nicht auf Burger King zurückgreifen. Dennoch kalkuliert Hamelow mit 25.000 bis 30.000 Gästen im Monat. Ein Teil davon könnte aus den Schulen kommen, die sich in der Nähe befinden. »Die Schüler freuen sich darüber, auch wenn manche lieber einen McDonald’s hätten«, sagt ein Lehrer der Petrischule in der Paul-Gruner-Straße. Den schulinternen Kampf gegen Softdrinks betrachtet er als verloren. Burger-King-Betreiberin Hamelow sagt, es sei für sie »nicht von großer Bedeutung, dass das Restaurant in der Nähe einiger Schulen entsteht«.
Während die Ansiedlung von Systemgastronomie einen Kulturbruch bilden mag, hat ein anderer Bruch schon stattgefunden. Der Filmverleih Alpha 60 verlässt die Karli Richtung Westen. In erster Linie ausschlaggebend dafür waren Mietsteigerungen. »Ohne den bevorstehenden Umbau hätte ich vielleicht darüber nachgedacht, ob ich noch ein, zwei Jahre bleibe«, sagt Sarah Schipschack, Gesellschafterin der Filmgalerie, über ihre Erwägungen im Zusammenhang mit der zu erwartenden Baustellenbelastung. Die erhöhten Mieten betreffen auch die anderen Mieter im Volkshaus-Gebäude. Die Gerüchteküche brodelt im Viertel, hinter vorgehaltener Hand wird gemunkelt, welches Geschäft demnächst wohl wegziehen oder ganz verschwinden wird. Dahinter steckt keine Häme, sondern ebenfalls Angst. Falk Weinrich fasst die gegenseitigen Abhängigkeiten zusammen, die auch für die nicht von der Baustelle tangierten Inhaber jenseits des Südplatzes gelten: »Die Vielfalt des Angebots macht die Karli aus. Wenn einzelne Geschäfte eingehen, fehlt etwas, das letztlich auch den noch Verbliebenen fehlt.«
Gedanken an die Zeit nach 2015 sind mit Unbehagen verbunden. Das Schreckensszenario beschreibt Weinrich so: »Die Straße wird leergemietet und verödet, große Ketten setzen sich fest und die Preise steigen.« Die Karli wäre dann eine Ausfallstraße, die vielleicht schicker ist als die Lützner Straße, aber nicht mehr das Etikett »Szenemeile« verdient. Bereits seit November sind die Vorboten des Umbaus zu spüren: Bäume wurden gefällt – sie werden nachgepflanzt –, Fahrradbügel und Werbeträger entfernt. Die Frage wurde laut, warum dies so früh geschah, von »Totmachen« ist angesichts der kahlen Straße die Rede. Das mag übertrieben sein, zeigt aber, wie blank die Nerven bereits liegen und wie mächtig die Befürchtungen sind, dass das vom Stadtsprecher beschworene Leben tatsächlich die Karli verlässt.